„Dreckiger Abschaum“: So wütend reagieren Sylter auf die Nazi-Gesänge im „Pony“

„Dreckiger Abschaum“: So wütend reagieren Sylter auf die Nazi-Gesänge im „Pony“

Wer an Rassismus denkt, der hat meist Dumpfbacken vor Augen: Glatzen, Springerstiefel, Dosenbier. Aber seit das Skandalvideo von Sylt die Schlagzeilen beherrscht, weiß die ganze Nation: Rechtes Gedankengut gibt es natürlich auch in den vermeintlich „besseren Kreisen“. Parolen wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ sind kein Widerspruch zu Champagner, Rolex und Kaschmirpullover. Wie denken die Menschen vor Ort darüber? Ein MOPO-Besuch.

Millionenfach wurde es angeschaut, das Handyvideo, das ein junger Mann aus München drehte, als zu Pfingsten Massen von jungen Leuten im exklusiven „Pony“-Club in Kampen den Beginn der Partysaison feierten. 156 Euro Eintritt zahlte jeder Gast, Champagner floss in Strömen – die Flasche Moët & Chandon für 130 Euro.

Szene aus dem berüchtigten Video: Einer der rassistischen „Sänger“ mimt dabei sogar den „Führer“.
hfr

Szene aus dem berüchtigten Video: Einer der rassistischen „Sänger“ mimt dabei sogar den „Führer“.

Als dann der DJ „L’Amour Toujours“ spielte, einen Song von Gigi D’Agostino, passierte es: Mindestens fünf Gäste sangen – vor laufender Handykamera – fröhlich und ausgelassen einen widerlich abgewandelten Text: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.“ Einer der Beteiligten hielt sich dabei zwei Finger unter die Nase und spielte „Führer“ – Hitlergruß inklusive. Das Video ging viral – die Empörung war riesig und ist sie noch.

„L’Amour Toujours“: Schon seit Monaten geistert das auf Hass umgetextete Lied durch die sozialen Medien

Was im „Pony“ geschah, ist kein Einzelfall. Beim Schlagermove in Hamburg ist das Gleiche passiert, außerdem auf einer privaten Feier in Bramfeld, im Elite-Internat Louisenlund, bei einem Schützenfest im niedersächsischen Löningen und und und …  Rassismus hat Eingang in die jugendliche Popkultur gefunden. Rassist zu sein, gilt als „in“ und lustig. 

Nüchtern ist von 500 Gästen des „Pony“ in Kampen auf Sylt niemand geblieben: Berge von Champagner-Flaschen im Müllcontainer.
Syltpress / Wolfgang Barth

Nüchtern ist von 500 Gästen des „Pony“ in Kampen auf Sylt wohl kaum jemand geblieben: Berge von Champagner-Flaschen im Müllcontainer.

Zurück nach Kampen auf Sylt, wo das Video entstand und der Skandal seinen Anfang nahm: Auch knapp zwei Wochen danach gibt es auf der Nordseeinsel kaum ein anderes Thema. Die Sorge der Insulaner ist groß, dass Sylt – seit Jahrzehnten als Treffpunkt der Schönen und Reichen bekannt – in den Ruf geraten könnte, eine Nazi-Insel zu sein.

Um dem vorzubeugen, haben die Bürgermeister der Gemeinden eine Erklärung abgegeben: „In diesen Tagen, in denen das Grundgesetz 75 Jahre alt wird und die liberale Demokratie unter Beschuss steht, möchten wir ganz unmissverständlich klarmachen: Solche Gäste brauchen wir nicht. Sie sind herzlich ausgeladen. Wir sind eine weltoffene Insel.“

Der Kampener Schmuckhändler Matthias Zimmer (66) sagt: „Wir müssen wieder für die Demokratie kämpfen.“
Syltpress / Wolfgang Barth

Der Kampener Schmuckhändler Matthias Zimmer (66) sagt: „Wir müssen wieder für die Demokratie kämpfen.“

Genauso sieht es Matthias Zimmer (66), Inhaber eines Schmuckgeschäfts in Kampen: „Das ist ein Fehltritt, den sich keiner leisten darf – mit oder ohne Alkohol. Ich habe meinen drei Söhnen schon vor Längerem gesagt, dass ich das Gefühl habe, es wird eine Zeit kommen, dass wir wieder kämpfen müssen für die Demokratie in Deutschland – ich glaube, diese Zeit ist jetzt.“

Der Kampener Immobilienmakler Tom Kirst (Dahler Sylt) nennt das Nazi-Gegröle eine „absolute Dummheit“ und fragt sich, ob den fünf Leuten überhaupt klar ist, dass sie ihre Party nur deshalb feiern konnten, weil in der Küche und unter den Servicekräften des „Pony“ etliche Migranten arbeiten. „Würden wir umsetzen, was sie da singen, ‚Ausländer raus‘, dann liefe in Deutschland gar nichts mehr.“

Jürgen Gosch: „Eine Schande, was die jungen Leute da gemacht haben. Eine Schande für ganz Deutschland“

Regelrecht wütend ist Jürgen Gosch (83), der berühmte Fischgastronom. Die MOPO-Reporter treffen ihn in seinem Restaurant in List an. „Eine Schande, was die jungen Leute da gemacht haben. Eine Schande für ganz Deutschland.“ Zwischen zehn und 20 Prozent seiner Angestellten seien Ausländer – je nach Saison – und er sei froh, sie zu haben. „Sehr froh sogar.“

Sylter Urgestein Jürgen Gosch (83): „Was passiert ist, ist eine Schande für ganz Deutschland.“
Syltpress / Wolfgang Barth

Sylter Urgestein Jürgen Gosch (83): „Was passiert ist, ist eine Schande für ganz Deutschland.“

Schließlich treffen wir noch zwei Insulaner, die von den Vorkommnissen auf besondere Weise betroffen sind: Beide haben Migrationshintergrund. „Ausländer raus“ – das nehmen sie persönlich. Geeta Gehrke (31), die in Indien geboren ist, nennt die fünf „Sänger“ vom „Pony“ einen „dreckigen Abschaum“. „Wir Sylter bringen unseren Kindern Benehmen bei, was den grölenden Partygästen anscheinend fehlt.“ Und Altan Öztürk (23), der türkische Wurzeln hat, sagt: „Es gibt keine Entschuldigung für dieses Verhalten, auch wenn sie jung und alkoholisiert waren.“

Altan Öztürk (23) hat türkische Wurzeln und lebt auf Sylt: „Es gibt keine Entschuldigung für dieses Verhalten, auch wenn sie jung und alkoholisiert waren.“
Syltpress / Wolfgang Barth

Altan Öztürk (23) hat türkische Wurzeln und lebt auf Sylt: „Es gibt keine Entschuldigung für dieses Verhalten, auch wenn sie jung und alkoholisiert waren.“

Zurzeit ist auf Sylt wenig los. Wer im Skandalvideo gesehen hat, wie es im „Pony“-Club zu Pfingsten zuging, erkennt das Lokal aktuell kaum wieder. Leise Musik dudelt im Hintergrund und gerade mal drei, vier Gäste genießen auf der Terrasse die Sonne.  

Club-Chef Tom Kinder (38) würde die Erinnerung an den Pfingstsamstag am liebsten aus seinem Gedächtnis löschen. Denn seitdem ist nichts mehr wie vorher. „Leute rufen an und fragen, ob sie als Ausländer bei uns sicher sind. Jede Menge Drohungen erreichen uns.“ Auch finanziell hat der Skandal Folgen, denn ein Sponsor hat sich zurückgezogen. „Am Anfang dachte ich, die anderen Sponsoren springen auch noch ab und alles geht den Bach runter …“

Geeta Gehrke (31) ist in Indien geboren: Die Sylterin nennt die Gäste, die Nazi-Parolen anstimmten, „dreckigen Abschaum“.
Syltpress / Wolfgang Barth

Geeta Gehrke (31) ist in Indien geboren: Die Sylterin nennt die Gäste, die Nazi-Parolen anstimmten, „dreckigen Abschaum“.

Immer wieder wird Kinder verdächtigt, die Nazi-Gesänge zwar gehört zu haben, aber nicht eingeschritten zu sein. Er schwört: „Weder meine Angestellten noch ich haben irgendwas davon mitbekommen. Unter 500 feiernden Gästen fünf zu hören, die faschistische Gesänge anstimmen, das ist nur möglich, wenn man direkt daneben steht.“ 

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Inzwischen ist über die fünf einiges bekannt: Es handelt sich u.a. um einen Unternehmensberater, einen Werber, einen Manager und eine Studentin. Sie stammen aus München, Coburg und Hamburg. Für einige von ihnen hatte der Sylt-Skandal schon Konsequenzen: Mindestens drei verloren ihre Jobs. Unter anderem zog eine bekannte Hamburger Influencerin Konsequenzen und feuerte ihre Assistentin. Und die Studentin – sie ist an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) eingeschrieben – wird sich wohl andere Uni suchen müssen. Sie soll exmatrikuliert werden.

Einer aus der Gruppe – der, der in dem Video den „Führer“ mimt – hat sich immerhin entschuldigt. Er habe einen „ganz schlimmen Fehler“ gemacht und schäme sich. Er habe sich der Polizei gestellt und wolle die rechtlichen Konsequenzen tragen.

Eine Entwicklung, die Demokraten mit großer Sorge erfüllen muss. Woran es liegt, dass rassistische Einstellungen wieder hoffähig geworden sind? Der Rechtsextremismus-Forscher Professor Matthias Quent (38) von der Hochschule Magdeburg-Stendal sieht die Verantwortung vor allem bei der AfD. Sie trage „planvoll und provokativ rassistische und rechtsextreme Positionen über die sozialen Netzwerke in den öffentlichen Raum“.

„Dreckiger Abschaum“: So wütend reagieren Sylter auf die Nazi-Gesänge im „Pony“ wurde gefunden bei mopo.de

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