„Wir brauchen frisches Blut“: HSV-Boss Costa über Kaderplanung, Boldt und Glatzel

„Wir brauchen frisches Blut“: HSV-Boss Costa über Kaderplanung, Boldt und Glatzel

Claus Costa sieht sich nicht als ein Anhängsel von Jonas Boldt. Und das tut auch Stefan Kuntz nicht. Der neue Boss vertraut dem Sportdirektor, der den HSV-Kader seit Jahren mitgestaltet, der öffentlich aber selten im Fokus steht. Warum ihm das „völlig egal“ ist, erklärte Costa der MOPO bei seinem Redaktionsbesuch in Ottensen. Im Interview spricht der 39-jährige Ex-Profi (Bochum, Düsseldorf, Osnabrück) über die Diskussionen um Boldt und ihn, über die Kaderplanung, Prioritäten und die Zukunft von Robert Glatzel. Und er nimmt die HSV-Talente in die Pflicht.

MOPO: Herr Costa, als Spieler liefen Sie im Juni 2006 letztmals für den VfL Bochum II auf, Stefan Kuntz wurde zwei Monate vorher Sportlicher Leiter in Bochum. Gab es damals Berührungspunkte?

Claus Costa: Da gibt es sogar eine lustige Anekdote.

Bitte.

Ich habe in Bochums Profi-Kader damals eine untergeordnete Rolle gespielt und wollte im Sommer nach Düsseldorf. Beim VfL wurde mein Förderer dann aber U21-Trainer und wollte unbedingt, dass ich bleibe. Deshalb haben alle Stefan Kuntz angespitzt, noch mal mit mir zu sprechen. Er wollte, dass ich in sein Büro komme, ich hatte mich aber ja schon entschieden und gehofft, er hätte es vergessen.

Was dann nicht der Fall war?

Leider nicht (lacht). Er hat mich kurz strammstehen lassen, als er mich wiedergesehen hat, und meinte: Ich habe in sein Büro zu kommen, wenn er das sagt. Das habe ich dann doch noch getan und es war ein super angenehmes Gespräch. Gott sei Dank erinnert er sich nicht mehr daran (lacht).

Kuntz gab Baumgart und Costa direkt eine Jobgarantie

Als Stefan Kuntz beim HSV vorgestellt wurde, stellte sich die Frage nach Trainer Steffen Baumgart, aber auch die nach Ihrer Zukunft als Sportdirektor.

Stefan hat mir von der ersten Begegnung an ein super Gefühl gegeben, eine andere Richtung wurde nie an mich herangetragen. Wie die Trainer-Thematik hat er auch die Frage nach meinem Job direkt abgeräumt.


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Sie hatten ein enges Verhältnis zu Jonas Boldt. Wie haben Sie die letzten Wochen erlebt?

Ich kenne Jonas sehr lange, habe eng mit ihm zusammenarbeitet und bin ihm sehr dankbar. Deshalb hat es mich betroffen und beschäftigt. Aber ich bin Angestellter des HSV, nicht einer anderen verantwortlichen Person. Und das Schöne ist, dass Jonas das auch zu 100 Prozent so sieht. Es geht nicht um Loyalität zu irgendwem, sondern einzig um den Klub.

Wie es im Vorstand des Klubs weitergeht, war aber lange unklar.

Natürlich waren es Wochen, die ein bisschen unruhig waren. Dass der Aufsichtsrat Dinge hinterfragt, wenn das primäre Ziel, der Aufstieg, wieder nicht erreicht wurde, ist normal. Jonas hat sich mit sehr viel Größe verabschiedet und jetzt geht es darum, an den Status quo anzusetzen, nach vorne zu denken und zu handeln.

Auch Claus Costa wurde beim HSV in Frage gestellt

Sie sind als Sportdirektor mitverantwortlich für den Kader. War die Frage nach Ihrem Verbleib erlaubt?

Zu 100 Prozent, denn ich beziehe mich explizit mit ein. Die vergangenen Wochen haben mich sehr umgetrieben, weil ich die Verantwortung mit übernehme. Wir sitzen alle im selben Boot.

Im öffentlichen Fokus stand bis zuletzt Jonas Boldt, Sie arbeiten eher im Hintergrund. Rücken Sie nun verstärkt in die erste Reihe?

Das klingt bescheiden und nach einer Phrase, aber ich war schon als Spieler der Typ Teamplayer. Ein Beispiel aus meiner aktiven Zeit: In Düsseldorf war Marco Christ mein Mittelfeldpartner. Der konnte geil kicken, hatte aber nicht richtig Lust auf Drecksarbeit. Ich konnte nicht so gut kicken, hatte aber Lust auf Laufen und Zweikämpfe. Er war 2008/09 der Aufstiegsheld, aber mir ging es nur darum, dass wir in Liga zwei aufgestiegen sind. Und ich war auch noch Jahre danach in seiner Top-11 (schmunzelt).

Das klingt sehr bescheiden.

Und das ist es auch jetzt noch. Mir ist es egal, ob ich in der ersten Linie auf einem Foto bin oder medial eine entscheidende Rolle habe. Ich weiß um meine Aufgaben und Qualitäten. Mir geht es nicht um öffentliche Wahrnehmung, ich definiere mich über Inhalte.

Costa will beim HSV gerne Verantwortung übernehmen

Sie kennen den Kader so gut wie kein anderer. Übernehmen Sie nun, wo Jonas Boldt weg ist, nicht automatisch mehr Verantwortung?

Ich übernehme gerne Verantwortung und sage meine Meinung, weil ich mich für alle Kaderentscheidungen mitverantwortlich fühle. Aber es ist auch sehr wichtig, dass wir mit Stefan nun jemanden haben, der unbefangen ist und mit einem anderen, frischen Blick draufschaut.

Der Zweitliga-Verbleib zeichnete sich früh ab, die Entscheidung über die Freistellung von Jonas Boldt wurde aber erst zwei Tage nach dem letzten Spiel bekanntgeben. Ist der Vorsprung, den der HSV in der Kaderplanung hatte, ungenutzt geblieben?

Ich reduziere es darauf, dass wir früh wussten, bei welchen Spielern es nur noch sehr geringe Chancen auf eine Verpflichtung gibt. Manche Lösungen gab es nur für die Bundesliga, jetzt hat sich der relevante Markt verkleinert. Aber es ist noch sehr ruhig, es gibt bei vielen Vereinen unklare Personalien. Und wir haben die Zeit sehr gut genutzt, um vorbereitet zu sein. Ich sehe den Personalwechsel nicht als Zeitverlust.

Claus Costa (2.v.r.) besuchte die MOPO-Redaktion für das Gespräch mit den Reportern Tim Meinke, Simon Braasch und Florian Rebien (v.l.).
Arist von Harpe

Claus Costa (2.v.r.) besuchte die MOPO-Redaktion für das Gespräch mit den Reportern Tim Meinke, Simon Braasch und Florian Rebien (v.l.).

Dennoch: Wie schwer war es für Sie, die Kaderplanung voranzutreiben, ohne zu wissen, ob Jonas Boldt an Ihrer Seite bleibt?

Darüber darf man sich keine Gedanken machen. Prozesse, in denen man arbeitet, sind unabhängig von handelnden Personen. Es ist egal, welche personelle Situation, welche Ligazugehörigkeit oder welches Budget vorhanden ist: Wir müssen für alle Eventualitäten eine Lösung haben. Da spielen Personalien eine untergeordnete Rolle.

Claus Costa lobt die „Top-Mentalität“ der HSV-Profis

Welche Rückschlüsse hat die Saison für die Kaderplanung ergeben?

Es gibt nicht diesen einen Punkt. Ich kann nicht sagen: Wir brauchen genau das – oder es hat nur daran gelegen. Es ist sehr komplex. Wie definiert man zum Beispiel die in der Öffentlichkeit häufig diskutierte Mentalität? Mentalität ist es auch, wenn St. Pauli bei uns im Stadion aufsteigen kann, unsere Mannschaft aber so ein Spiel hinlegt und 1:0 gewinnt. Da würde ich jedem unserer Spieler eine Top-Mentalität attestieren.

Es gab aber auch viele Spiele, in denen das nicht zu erkennen war.

Dann kommen wieder Fragen auf: Wo sind denn die Führungsspieler, wo die Mentalität? Bei der Aufgabe, herauszufiltern, woran es genau gelegen hat, werden auch Steffen Baumgarts Eindrücke sehr wichtig sein. Ich bin überzeugt, dass in unserem Team alle Facetten stecken, die eine gute Mannschaft braucht.

Es wird Anpassungen im Kader geben. Aber es klingt durch, dass im Sommer nicht die halbe Mannschaft ausgetauscht werden wird.

Wir werden nicht den Stab über die Mannschaft oder einzelne Spieler brechen. Wir haben schon sehr klare Charaktere, gute Typen und ehrgeizige Jungs. Der erreichte vierte Platz ist nicht unser Anspruch und damit sind wir definitiv nicht zufrieden. Aber wir haben keinen Scherbenhaufen, der zusammengekehrt werden muss.

Zukunft von Glatzel, Bénes und Reis beim HSV ist offen

Den Verbleib von Robert Glatzel, László Bénes und Ludovit Reis hat der HSV nicht selbst in der Hand.

Deshalb haben wir es auch nicht selbst in der Hand, wie viele Veränderungen es geben wird. Natürlich brauchen wir frisches Blut, neue Energie und Reibung in der Gruppe, auch neue Konkurrenz. Von „Umbruch“ würde ich aber nicht sprechen. Wir werden Schritt für Schritt Klarheit bekommen.

Welche Personalien haben jetzt Priorität? Die genannten drei Spieler mit Ausstiegsklauseln?

Die sind auf der Agenda ganz oben. Das ist momentan eine Priorität, aber auch die Innenverteidigung, weil uns Stand jetzt Dennis Hadzikadunic und Stephan Ambrosius verlassen haben. Bei Mario Vuskovic hoffen wir auf ein positives Urteil für uns und halten parallel die Augen offen. So geht es Position für Position. Wir schauen, was wir proaktiv umsetzen können.

Auch im Vorjahr überzeugte der HSV Torjäger Robert Glatzel (M.) vom Verbleib. Schafft es Sportdirektor Claus Costa (l.) nun auch ohne seinen langjährigen Vertrauten Jonas Boldt?
WITTERS

Auch im Vorjahr überzeugte der HSV Torjäger Robert Glatzel (M.) vom Verbleib. Schafft es Sportdirektor Claus Costa (l.) nun auch ohne seinen langjährigen Vertrauten Jonas Boldt?

Schon in den Vorjahren hätte Robert Glatzel via Ausstiegsklausel gehen können. Sind Sie optimistisch, dass er erneut bleiben wird?

Bobby bekommt die maximale Wertschätzung von allen, die es mit dem HSV halten. Die Fans stehen komplett hinter ihm, in der Mannschaft hat er volles Vertrauen. Er weiß genau, was er hier hat. Und für einen Stürmer gibt es nichts Geileres als in einem Setting zu sein, in dem du weißt: Du kriegst immer deine Torchancen.

Sein Traum heißt aber: Erste Liga.

Es ist klar, dass Bobby Ambitionen hat und mit seiner Quote Begehrlichkeiten weckt. Er hat die Möglichkeit in seinem Vertrag, frei entscheiden zu können. Das ist völlig legitim. Wir wissen aber auch, was er am HSV hat. Die Chancen stehen wahrscheinlich gerade bei 50:50. Es wäre auch verwunderlich, wenn er keine Anfragen hätte – aber wir sind definitiv auch nicht die unattraktivste Braut.

Costa: HSV ist auf der Suche nach einem zweiten Stürmer

Benötigt der HSV auch bei einem Glatzel-Verbleib einen zweiten Stürmer, der verlässlich trifft?

Wenn ein Stürmer wie András Németh kein Saisontor macht, fehlen natürlich die Argumente. András ist selbst am meisten frustriert über die Situation. Wir würden die Entscheidung trotzdem zu 100 Prozent wieder so treffen, weil wir von András überzeugt sind. Zumal seine ersten beiden Ballkontakte beim HSV Tore waren. Leider kam danach die Verletzung. Zudem war Bobby so gut wie nie verletzt und András ist derjenige, der von hinten Druck aufbauen kann. Es kommt auf den einzelnen Positionen immer auf Konstellationen an. Steffen hat in der Vergangenheit häufig mit zwei Stürmern gespielt, deshalb gibt es Überlegungen und wir schauen uns im Offensivbereich um.

Stefan Kuntz hat angedeutet, die Einbindung der Talente unter Steffen Baumgart künftig zu verstärken. Wie sehen die Pläne konkret aus?

Es gab zuletzt die Wahrnehmung, als würde Steffen Baumgart nicht auf junge Spieler setzen. Das Erste, was er mit mir hier gemacht hat, ist nach Norderstedt zu fahren und bei zwei Grad unsere U21 anzuschauen. Dann hat er zu mir gesagt: Omar Sillah gefällt mir richtig gut, der soll morgen zum Training kommen. Seitdem ist Omar dabei – und nicht nur er. Steffen hat Bock auf junge Spieler, will sie an die Wettkampfhärte gewöhnen.

Das Training ist das eine. Fester Bestandteil der Profi-Mannschaft wurden in den vergangenen Jahren aber nur wenige Talente.

Es ist nicht so, als ob wir das verhindern wollen. Am liebsten würden wir mit 18 Jungs aus unserem Campus spielen. Das wäre das Schönste, dann müssten wir nie Geld für Transfers ausgeben. Aber so funktioniert es nicht. Am Ende liegt es auch an ihnen selbst, sich im Training aufzudrängen und dafür zu sorgen, dass kein Weg an ihnen vorbeiführt. Dann wird sich kein Trainer der Welt und schon gar nicht Steffen dagegen wehren, sie einzusetzen. Es geht aber nicht darum, die Spieler zu bringen, nur weil sie jung sind und wir nach außen etwas zeigen möchten.

Aufsichtsratschef Michael Papenfuß hat Stefan Kuntz und Ihnen nun zwei Jahre Zeit für den Aufstieg in die Bundesliga gegeben. Hilft das, weil es Druck herausnimmt?

Unsere Ansprüche ändern sich nicht. Wir sind maximal ambitioniert und treten nicht an, um einen einstelligen Tabellenplatz zu erreichen. Wir werfen alles rein, um eine Top-Mannschaft zusammenzustellen. Steffen wird als Trainer alles reinwerfen, um die Jungs auf ein Top-Level zu bringen. Und dann greifen wir mit allem, was wir haben, an – ohne irgendwelche Versprechungen abzugeben.

„Wir brauchen frisches Blut“: HSV-Boss Costa über Kaderplanung, Boldt und Glatzel wurde gefunden bei mopo.de

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