Coup der Senatorin: Bau-Revolution für günstige Mieten in Hamburg

Coup der Senatorin: Bau-Revolution für günstige Mieten in Hamburg

Zu wenige Wohnungen, zu hohe Mieten: Schon längst ist Wohnen in Hamburg zum Luxus geworden. Gleichzeitig stocken immer mehr große Vorzeige-Projekte in der Stadt, werden nicht vollendet oder gar nicht erst angefangen. Im MOPO-Interview erklärt Bausenatorin Karen Pein (SPD), wie mit dem neuen „Hamburg Standard“ die Baukosten um ein Drittel sinken sollen, welches neue Quartier damit schon bald entsteht – und spricht sich so deutlich wie nie für den umstrittenen neuen Stadtteil Oberbillwerder aus. 

MOPO: Frau Pein, wir müssen über den Elbtower reden. Was glauben Sie: Wird der Stummel fertig gebaut?

Karen Pein: Ich bin optimistisch, aber das liegt derzeit in der Hand des Insolvenzverwalters. Der hat ein Interesse, das Projekt so schnell wie möglich zu verkaufen, denn die Baustelle kostet jeden Monat eine Menge Geld. Im Oktober oder November sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein. Und bislang gab es keine großen Änderungswünsche, was das grundlegende Konzept angeht.


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Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
– Bau-Revolution: Wie die Bausenatorin Wohnen wieder bezahlbar machen will
– Stadt zahlt Wahnsinns-Mieten in den Tanzenden Türmen
– Der Radweg-Murks an der Elbchaussee
– Mojib Latif wird 70: Wie der Hamburger zum Klima-Erklärer wurde
– 20 Seiten Sport: FC St. Pauli-Kapitän Irvine gibt tiefe Einblicke in sein Leben, Interview mit HSV-Juwel Fabio Baldé
– 28 Seiten Plan7: Filme für lau beim Filmfest, Veranstaltungstipps für jeden Tag + Rätselbeilage

Wohnungen sind weiter keine Option?

Das ist ausgeschlossen aufgrund des Lärms.

Mehrere Hamburger Unternehmer wollen mitbieten. Wäre eine „Hamburger Lösung“ das Beste für die Stadt?

Der Insolvenzverwalter entscheidet nach der Höhe der Gebote.

Für die SPD wäre es nicht gut, mit einer Bauruine dort in den Wahlkampf zu starten. 

Ich hoffe, dass wir in diesem Jahr noch wissen, wie es weitergeht.

Im Überseequartier wurde die Westfield-Eröffnung schon wieder verschoben. Droht uns da ein ähnliches Desaster wie beim Elbtower? 

Das ist nicht vergleichbar. Der Elbtower steht im Rohbau und hat noch nicht einmal seine volle Höhe erreicht. Das Westfield-Überseequartier ist fast fertig, die Läden sind größtenteils schon betriebsbereit. Wir hoffen, dass das Überseequartier möglichst zügig in den Betrieb geht, weil es eine große Bedeutung für die HafenCity und die Menschen, die dort wohnen und arbeiten, hat.

Nicht weit entfernt baut die Stadt auf dem Kleinen Grasbrook ein komplett neues Viertel. Dort sollen wieder Tausende Quadratmeter Bürofläche entstehen. Es wäre doch viel sinnvoller, dort nur Wohnungen zu bauen.

Auf dem Kleinen Grasbrook entstehen rund 3000 Wohnungen. Der Grasbrook ist aufgrund seiner Hafennähe aber auch für Gewerbe sehr interessant. Tatsächlich liegt der Büro-Leerstand in Hamburg bei gerade einmal vier Prozent. Neue Objekte in guter Lage gehen gut weg, problematisch sind alte Büros mit schlechter Energiebilanz in schlechteren Lagen. Wie wir daraus Wohnraum schaffen, wird das Thema der Zukunft sein. Gerade überarbeiten wir die Hamburgische Bauordnung, um die Umwandlung solcher Gebäude zu erleichtern.

Mag sein, dass es auch auf dem Grasbrook Nachfrage nach Büros gibt. Aber überall in der Stadt herrscht ein gigantischer Mangel an Wohnraum. Das ist doch jetzt viel wichtiger.

Wir haben keine Flächenkonkurrenz zwischen Büros und Wohnen. Das Problem beim Wohnungsbau sind die Baukosten. Wir haben über die gesamte Stadt verteilt aktuell ein Flächenpotenzial von ca. 80.000 neuen Wohnungen. Da sind die großen Entwicklungsgebiete, aber auch Einzellagen in den Bezirken mit eingerechnet. Und ab April 2025 wird die „Grundsteuer C“ eingeführt. Das bedeutet: Wer eine Wohnbaufläche hat und sie nicht bebaut, muss in bestimmten Fällen extra Steuern zahlen.

Spekulanten werden zur Kasse gebeten?

Das sind nicht alles Spekulanten, aber wir gehen davon aus, dass einige Flächen dann auf den Markt kommen oder bebaut werden.

Was kostet das die Eigentümer?

Das hängt von vielen Kriterien ab. Der Hebesatz beträgt 8000 Prozent. Wenn ich also ein 1000 Quadratmeter großes Grundstück habe und die Messzahl aus Grund und Boden beispielsweise auf 40 Euro festgelegt wird, liegt der jährliche Betrag bei 3200 Euro.

Seit Jahren liegt zum Beispiel das Holstenareal brach. Sind Sie mit den Eigentümern der Adler Group noch in Kontakt?

Nein. Beim letzten Kontakt wünschte Adler Erleichterungen aus dem städtebaulichen Vertrag, erklärte aber auf Nachfrage, selbst nicht bauen zu wollen.  Sie wollten offenbar nur für den Verkauf des Grundstücks bessere Bedingungen. Wir haben erklärt, diese Frage mit den Investoren zu erörtern, die dann auch bauen werden. Unsere städtische SAGA und Quantum haben weiterhin Interesse an einem Ankauf.

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Und Oberbillwerder, das aktuell größte Bauprojekt der Stadt? 

Bis zum Jahresende werden die Planungen inhaltlich fertig. 

Die Lokalpolitik in Bergedorf will das Projekt verhindern.

Derzeit ist nicht klar, ob es eine stabile Mehrheit für Oberbillwerder gibt. Als Senat lassen wir das Projekt nicht vom Haken. Oberbillwerder ist ein toller Stadtteil und er wird kommen.

Das Ziel, jährlich 10.000 Wohnungen zu genehmigen, ist dennoch in weiter Ferne.

Es ist allen klar, dass das 2024 nicht erreicht wird. Die Gründe dafür sind bekannt. Der öffentlich geförderte Wohnungsbau entwickelt sich zwar dank unserer guten Förderung positiv, aber der frei finanzierte ist sehr schwach. Das liegt an den hohen Baukosten. Im Durchschnitt kostet es 4500 Euro ohne Grundstück, einen Quadratmeter Wohnfläche zu bauen. Das entspricht einer Miete von 18 Euro pro Quadratmeter und das ist viel zu hoch. 

Wann wird es endlich einfacher, günstig zu bauen? 

Bauen ist viel zu komplex geworden. Derzeit werden bei einem Wohnbau mehr als 5000 DIN-Normen beachtet. Teils mit absurden Folgen, etwa werden Balkone mit Schallschutz ausgestattet oder innenliegende Flure standardmäßig mit Fußbodenheizungen. Das ist zwar schön, aber nicht unbedingt notwendig. Auch Wände und Decken sind heute extrem dick, was hohe Materialkosten verursacht. Zwar ist die Einhaltung dieser Normen nicht zwingend Pflicht, aber Bauunternehmen und Investoren halten sich an die Normen, weil sie sonst von in Mängelhaftung kommen könnten. So entstehen unnötige Kosten. Deshalb arbeiten wir derzeit unter anderem mit Architekten, Wohnbaufirmen und Mieterverbänden im Rahmen unserer Initiative „kostenreduziertes Bauen“ an einem neuen „Hamburg-Standard“. 

Wie sieht der aus? 

Wir definieren, was wirklich notwendig ist für gutes Wohnen – darauf können sich dann Architekten, Baufirmen und Bauherren verständigen. Mit dem Außenbild hat das übrigens nichts zu tun, kein Haus wird dadurch hässlicher. Gemeinsam mit einer Optimierung von Planung und Management sowie einer Verfahrensbeschleunigung von Genehmigungsverfahren wollen wir so aufzeigen, wie die Baukosten um ein Drittel auf 3000 Euro pro Quadratmeter gesenkt werden können. Umgerechnet entspräche das 12 Euro Miete pro Quadratmeter im frei finanzierten Neubau.

Ist dann auch Schluss mit teuren Klimaschutz-Vorgaben? 

Auch die werden überprüft. Im Fokus steht die Frage, ob weiterhin in immer bessere Gebäudehüllen investiert werden soll, was hohe Investitions- und Betriebskosten nach sich zieht und wenig Effekte bei der Energieeinsparung hat oder die Investitionen nicht in erneuerbare Heizenergie investiert werden, um unsere CO2-Ziele zu erreichen. Wir setzen dabei auf die Wärmepumpe, die zu Unrecht in Verruf geraten ist. Es gibt eine neue Generation, die so effektiv ist, dass sie auch in kaum sanierten Häusern funktioniert. 

Wann kommt dieser Hamburg-Standard und werden den dann auch andere Städte übernehmen? 

Wir sehen jetzt schon ein hohes Interesse aus ganz Deutschland, es haben ja alle Städte das Kostenproblem. Um den Jahreswechsel herum werden wir die Ergebnisse präsentieren. 

So könnte es in dem Baugebiet Wilhelmsburger Rathausviertel einmal aussehen – das dauert aber noch.
BEHNISCH Circuit

So könnte es in dem Baugebiet Wilhelmsburger Rathausviertel einmal aussehen – das dauert aber noch.

Und dann können die Investoren direkt loslegen?

Ja, dann kann jeder nach diesem Standard bauen.

Werden so auch ganze Quartiere gebaut werden?

Tatsächlich soll das Wilhelmsburger Rathausviertel ein Pilotquartier werden. 60 bis 70 Prozent der Grundstücke sind bereits vergeben, unter anderem an Baugemeinschaften, das Studierendenwerk oder die SAGA. Alle straucheln allerdings derzeit wegen der hohen Baukosten. Genau an dieser Stelle können und wollen wir den neuen Hamburg-Standard direkt in die Praxis umsetzen und zeigen, wie drastisch er Kosten senkt. Eine 100-Quadratmeter-Wohnung kostet dann nicht mehr 450.000, sondern 300.000 Euro. 

So sollen die Häuser im Rathausviertel einmal aussehen.
IBA Hamburg

So sollen die Häuser im Rathausviertel einmal aussehen.

Wann geht es dort los?

Ende des Jahres erwarten wir für das Rathausviertel die Vorweggenehmigungsreife, das heißt die Grundstücke können ab diesem Zeitpunkt hergerichtet werden. Bis dann die ersten Baugenehmigungen folgen, ist die Hamburgische Bauordnung entsprechend an den neuen Standard angepasst. Insgesamt sollen im Rathausviertel 1600 und im angrenzenden Elbinselquartier 2100 Wohneinheiten entstehen.

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