Hamburger Klimaforscher Latif: Warum die Klimakrise so viele nicht interessiert

Hamburger Klimaforscher Latif: Warum die Klimakrise so viele nicht interessiert

Der Hamburger Mojib Latif ist der profilierteste Klimaforscher Deutschlands – und seit Beginn seiner Karriere ein gefragter Erklärer des Klimawandels und Mahner vor den Folgen. Am Sonntag wird Latif 70 Jahre alt. Im MOPO-Interview blickt er zurück auf seine Kindheit und Widerstände im Laufe seiner Karriere – und er erklärt, warum es Klima-Themen im aktuellen Diskurs so schwer haben und woher er trotzdem seinen Optimismus nimmt.

MOPO: Sie sind gebürtiger Hamburger, hier aufgewachsen. Woher kam bei einem Stadtkind das Interesse für die Natur – und später die Naturwissenschaften?

Mojib Latif: Als ich ein Kind war, sah die Stadt noch anders aus, es gab viel mehr Natur. Wir haben in Stellingen gewohnt, da war der Weg zum Niendorfer Gehege nicht weit. Da sind wir mit dem Rad hin, haben Rehe gesehen. Zuhause hatten wir einen Garten mit Blumen und Obstbäumen, ich konnte Insekten beobachten und wie sich Blüten entwickeln – das hat mich wahnsinnig fasziniert. Und auch das Wetter: Ich fand es spannend, in den Himmel zu schauen, meistens passiert da ja was mit den Wolken. Besonders interessiert habe ich mich für Gewitter, da habe ich kindliche Theorien aufgestellt: Die Wolken stoßen zusammen, dann rumst es – so dachte ich mir das. (lacht) Das Interesse an der Natur war immer da.

Sie haben trotzdem erstmal BWL studiert.

Genau, auf Wunsch der Eltern. Ich fand es aber nicht so prickelnd, dass es da immer nur um Kosten ging. Das war mir einfach zu lebensfern.

Haben Sie das Studium trotzdem durchgezogen?

Nee, nee – Ich glaube drei Semester habe ich durchgehalten. Dann bin ich zum Glück in die Meteorologie gewechselt – und geblieben.

Sie sind schon relativ früh in Ihrer wissenschaftlichen Karriere zum öffentlichen Erklärer des Klimawandels geworden. Es gibt Videos von Auftritten von Ihnen aus den 1980ern, als noch kaum jemand über das Thema sprach. Wie kam das?

Ich fand, dass das Thema so wichtig ist, dass man es in die Öffentlichkeit transportieren muss. Das wurde vor 40 Jahren nicht ausreichend gemacht – ich wollte das ändern. Ich war damals am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie und bekam Rückendeckung vom damaligen Chef – der wollte selbst nicht so gerne in die Öffentlichkeit.

Hatten Sie das Gefühl, dass Sie damit was bewegen können?

Bewegen vielleicht nicht – aber was mich damals schon motiviert hat, vielleicht auch heute motiviert: Ich habe das Gefühl, dass die Menschen das verstehen, was ich sage. Niemand hat etwas davon, wenn ich irgendwelche Fach-Termini verwende – und die versteht dann kein Mensch.

Die Menschen haben Sie verstanden – aber gehandelt haben sie nicht.

Nein, das stimmt – und das ist natürlich schade. Hätte man damals angefangen zu handeln, dann wäre es heute wesentlich einfacher. Jetzt stehen wir ja eigentlich schon mit dem Rücken zur Wand.

Gegen welche Widerstände mussten Sie in den frühen Jahren Ihrer Karriere ankämpfen?

Damals gab es mehr Widerstand aus der Wissenschaft. Es gab eine Reihe von Professoren – es waren eigentlich nur Männer, Professorinnen gab es kaum – die meinten: Ist doch alles völlig normal, Klima hat sich immer geändert, der Mensch hat da keinen großen Einfluss drauf. Solche Leute gibt es in der Wissenschaft glücklicherweise kaum noch – selbst die, die das damals anders sahen, haben irgendwann eingesehen, welch enorme Rolle der Mensch beim Klimawandel spielt.

Wie sah es mit Blick auf die Wirtschaft aus?

Damals wurde die Klimaforschung offen angegriffen. Es gab millionenschwere Kampagnen, die regelrechte „Fake News“ verbreitet haben: Da wurde sogar behauptet, mehr CO2 in der Luft sei ein Segen für die Welt, weil dadurch Pflanzen besser wachsen, was irreführend ist. Das war ziemlich heftig und gipfelte in der Gründung des so genannten „Global Climate Coalition“ – ein Zusammenschluss großer Konzerne, als Antwort auf die Gründung des Weltklimarats, um voll gegen die Klimaforschung zu schießen. Da war auch Daimler-Chrysler dabei.

Klimawandel-Erklärer Mojib Latif im Jahr 2009 in einer ZDF-Doku.
picture-alliance/ dpa | ZDF/Bertram Kropac

Klimawandel-Erklärer Mojib Latif im Jahr 2009 in einer ZDF-Doku.

Heute gibt es zwar auch noch „Fake News“, aber die meisten Menschen wissen um die Klimakrise. Im aktuellen politischen Diskurs sind Klima-Themen trotzdem kaum präsent.

Ja, das haben wir bei den letzten Wahlen gesehen, wie sehr die Themen aktuell in den Hintergrund geraten sind. Und wie sehr wir eigentlich wieder rückwärtsgewandt diskutieren: Es geht um den Wiedereinstieg in die Atomindustrie, die Abkehr vom Verbrenner-Aus, wir treten beim Klima-Schutz auf die Bremse – das sind keine guten Vorzeichen.

Woran liegt das?

Das ist in gewisser Weise ein Versagen der etablierten Parteien, die nicht das Gemeinwohl im Blick haben. Und sie lassen sich von der AfD treiben. Die riesigen Probleme, die wir gerade haben wie Fragen der Infrastruktur oder Digitalisierung oder Klimawandel haben nichts mit Migration zu tun.

Auch im gesellschaftlichen Diskurs war das Thema schon mal präsenter, die Klimabewegung war lauter. Was ist da passiert?

Es war eigentlich immer so, dass das Thema immer mal hochkam und große Aufmerksamkeit bekam. Beispielsweise 2007: Al Gores Film „Eine unbequeme Wahrheit“ haben Millionen gesehen, Klimaschutz war ein riesiges Thema, Al Gore bekam zusammen mit dem Weltklimarat den Friedensnobelpreis. Da dachte ich: Okay, die Welt hat es begriffen. Und was passierte dann? Der Zusammenbruch der Lehman Brothers-Bank, die globale Finanz- und Wirtschaftskrise – und das Thema war auf Jahre verschwunden. Durch Bewegungen wie „Fridays For Future“ kam das Thema in den letzten Jahren wieder hoch – und dann kam Corona. Zack, wieder weg. Und jetzt treiben Kriege die Menschen um.

Woran liegt das, dass die Klimakrise immer wieder in den Hintergrund tritt?

Neurowissenschaftler sagen: Wir leben im Hier und Jetzt. Die Zukunft interessiert uns nicht – weil wir sie nicht spüren können.

Andererseits kommen die Umweltkatastrophen ja näher.

Die allermeisten Menschen in Deutschland haben bislang keine persönliche Erfahrung mit dem Klimawandel gemacht. Selbst die heftige Ahrtal-Flut betraf auf die 80 Millionen Menschen in Deutschland bezogen nur sehr wenige.

Wachen die Menschen erst auf, wenn sie selbst betroffen sind?

Im Moment sieht es leider so aus.

Was muss aus Ihrer Sicht passieren?

Der Klimawandel ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Umdenken muss auf allen Ebenen stattfinden, aber den Rahmen kann nur die Politik setzen. Für Themen, die an die Grundlagen des Lebens gehen, wäre ein politischer Konsens so wichtig. Stattdessen wird zu viel gegeneinander gekämpft. So kommt höchstens der kleinste gemeinsame Nenner zustande. Im Prinzip haben wir ja alles: Wir stehen nicht hilflos vor den Problemen. Wir brauchen keine Kohle, kein Öl oder Erdgas verfeuern, wenn wir erneuerbare Energien ausbauen.

Wie sollte das aus Ihrer Sicht finanziert werden?

Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man baut die klimaschädlichen Subventionen ab – dann hat man Geld, das man investieren kann. Oder – großes Thema: Man hebt die Schuldenbremse auf. Das wird mutmaßlich sowieso passieren, auch wenn die nächste Regierung Unions-geführt ist, tippe ich. Die gewaltigen Aufgaben, vor denen wir stehen, dafür braucht man einfach Geld. Es ist innerhalb kurzer Zeit schon noch recht viel möglich. Aber dafür braucht es Konsens.

Im Oktober 2023 wurde Mojib Latif von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

Im Oktober 2023 wurde Mojib Latif von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Glauben Sie daran, dass es diesen Konsens in absehbarer Zeit geben wird?

Ja. Die Wetterextreme werden weiter zunehmen und sich intensivieren – von dort kommt Druck. Wir dürfen nicht vergessen: Man kann sich an solche Extreme kaum anpassen und sie kosten unendlich viel Geld. Allein die Ahrtal-Flut hat uns 30 Milliarden Euro gekostet. Es gibt Grenzen der Anpassungsfähigkeit und der Finanzierbarkeit. Und dann wird sich hoffentlich durchsetzen, dass eigentlich die erneuerbaren Energien konkurrenzlos gegenüber den fossilen Energien sind. Weil sie billiger sind, weil sie nicht nur das Klima, sondern auch die Gesundheit der Menschen schützen. Der Tod vieler Menschen durch Luftverschmutzung wird ja auch kaum thematisiert.

Deutschland wird das Problem allein nicht lösen können.

Es braucht natürlich auch auf internationaler Ebene Konsens. Und es gibt natürlich dicke Bretter zu bohren, für die ich auch keine Lösung sehe: Die Länder, die die fossilen Brennstoffe haben und damit viel Geld machen. Wie soll man Putin erklären, dass er jetzt kein Gas mehr fördern soll?  Immerhin: Weltweit gehen schon mehr Investitionen in erneuerbare als in konventionelle Energien. Schauen Sie nach China: Die bauen auch noch Kohlekraftwerke, ja. China hat mit Abstand auch den größten Zubau an erneuerbaren Energien – mit Abstand.

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Woher nehmen Sie generell Ihren Optimismus?

Ohne Hoffnung kann man nicht leben. Und kompletter technologischer Wandel ist in der Vergangenheit schnell passiert: Vom Pferdewagen zum Automobil, vom Festnetztelefon zum Handy – das hat nie lange gedauert. Technologie muss nützlich und bezahlbar sein, das sind die Voraussetzungen. Eigentlich ist das bei den erneuerbaren Energien gegeben – in dem Moment, in dem wir aufhören, die Umweltzerstörung zu subventionieren, haben die erneuerbaren Energien es viel leichter.

Wie lange wollen Sie das noch machen, den Leuten geduldig die Klimakrise erklären und Auswege aufzeigen?

So lange man mich fragt, so lange Menschen mir zuhören möchten – so lange mache ich das.

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