Der Tod kommt nicht wie im Film: „Man stirbt, wie man gelebt hat“

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Eigentlich sind Ehrenämter ja ein geeignetes Thema für Partygespräche: Man tut etwas Gutes und hat was zu erzählen. Ist doch interessant. Das gilt auch für Daniel LeBel (55), trotzdem scheuen viele Menschen zurück, wenn er erwähnt, was er ehrenamtlich tut: Sterbenden in ihren letzten Tagen und Stunden beizustehen, sie „über die letzte Schwelle begleiten“, wie er es ausdrückt. Wir sprachen mit dem Franco-Kanadier über letzte Atemzüge, Gespräche, die Menschen am Ende des Lebens nur mit einem Fremden führen können und wie es sich anfühlt, Menschen beim Sterben zu begleiten, die so alt sind wie man selbst.

Wer das Hospiz „Leuchtfeuer“ am Betty-Heine-Stieg auf St. Pauli betritt, den umfängt mit etwas Glück eine ganz besondere Musik: Sphärische Klänge, die durchs Treppenhaus schweben. Dann sitzt Daniel LeBel im ersten Stock an seinem Psalterium, einer Art Zitter, erbaut in einem südfranzösischen Kloster zur Begleitung der biblischen Psalmen. Klingt sehr meditativ, aber der Mann, der wenig später die Treppe herunterkommt, in Jeans und Hemd, wirkt sehr gegenwärtig, heiter und in sich ruhend. Chiropraktor hat er gelernt.

Seit 2015 ist Daniel LeBel ehrenamtlicher Sterbebegleiter im Hospiz, hat über die Jahre 25 Menschen begleitet, immer jeweils nur einen, danach ein paar Wochen Pause. Was beschäftigt Sterbende? Die Vorstellung, am Ende des Lebens käme es wie in Filmen zu dramatischen Szenen, zu bitterer Reue über verpasste Chancen oder großen Versöhnungen, die stimme so nicht, sagt LeBel: „Man stirbt, wie man gelebt hat. Wer mit Wut und Angst durchs Leben gegangen ist, und niemanden an sich herangelassen hat, der nimmt diese Gefühle bis zum Ende mit.“

Der Tod kommt anders als in Filmen

Das eine, erlösende Gespräch nach langem Schweigen mit dem Sohn oder der Tochter, so etwas gebe es zwar: „Aber das ist die Ausnahme.“ Dann erzählt er von einer Bewohnerin vor einigen Jahren, eine Frau, hart geworden durchs Leben, verkracht mit der ganzen Familie. Kurz vor ihrem Tod, sagt LeBel und macht eine drehende Handbewegung: „Da konnte sie sich plötzlich öffnen und sprach mit mir.“ Ein sehr besonderer Moment.

Es gibt Hospiz-Bewohner, die bitten ihren Sterbebegleiter darum, ihnen an ihren letzten Tagen auf Erden möglichst viel Normalität zu ermöglichen: „Die möchten noch einmal in ihre Wohnung, oder mit mir zu Budni, oder noch einmal die Reeperbahn entlang gehen.“ Er überlegt kurz: „Die möchten eher wissen, was heute in der MOPO steht, als sich mit ihrem Körper zu beschäftigen.“ Andere möchten noch einmal eine bestimmte Musik hören, dann legt LeBel eine CD ein – oder stimmt auch schon mal „La Paloma“ auf seiner Zitter an.

Und dann gibt es solche, die mit ihm über ihre Angst vor dem, was kommt, sprechen wollen: „Die größte Angst ist die vor Schmerzen. Viele haben auch Angst, am Ende keine Luft zu bekommen.“ Hier kann die Palliativmedizin viel bewirken, dass es nicht so kommt.

Wenn Sterbende ihre Kinder nicht belasten wollen

Manche Gespräche, sagt LeBel, führen die Bewohner lieber mit ihm: Etwa wenn es darum geht, dass sie „am liebsten in die Schweiz fahren“ würden, ein Synonym für den begleiteten Suizid: „Damit wollen sie ihre Kinder nicht belasten, aber sie möchten es wenigstens einmal ausgesprochen haben.“

Schwer ist es, wenn Menschen sterben, die so alt sind wie er. Oder jünger. Die noch voll im Leben stehen, noch lange nicht satt sind, die kleine Kinder haben: „Das trifft mich natürlich und erinnert mich an meine eigene Vergänglichkeit.“ Eine kleine Pause, dann: „Wir alle werden mit dem Tod auf den Schultern geboren.“ Vergisst man aber meistens, um nicht verrückt zu werden.

Hamburger Sterbebegleiter: „Der letzte Atemzug ist tief“

Bei fünf Menschen saß er bisher am Bett, als sie ihren letzten Atemzug taten. Die erste Sterbebegleitung war seine sehr geliebte Großmutter, die mit 96 Jahren starb, als er 31 Jahre alt war – und spürte: Ich kann das. Ich kann Menschen bis zur letzten Schwelle bringen, ich halte diese Machtlosigkeit aus. „Das war ein versöhnliches Erlebnis“, sagt er.

Der Tod kam viel zu früh in sein Leben, als in der dritten Klasse ein Freund starb und der kleine Daniel einer der Sargträger war. Später starb sein Cousin als Jugendlicher. „Der Tod hat mich schon begleitet, lange bevor ich die Ausbildung zum Sterbebegleiter machte“, sagt er.

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Wie ist das, wenn ein Mensch seinen letzten Atemzug tut? Daniel LeBel zögert, sucht die richtigen Worte, sagt dann: „Ich nehme unwillkürlich den Atemrhythmus des Menschen an. Der letzte Atemzug ist tief. Und dann passiert etwas. Etwas Bereicherndes.“ Er macht wieder eine Pause, sagt dann: „Es legt sich Frieden auf das Gesicht des Verstorbenen.“

Ob er gläubig ist? Daniel LeBel lacht: „Ich glaube schon.“ In einer großen, „stockkatholischen franco-kanadischen Familie“ aufgewachsen, habe er so „einen gewissen Grundglauben behalten.“ Dass da etwas ist, das einen trägt, hinter dieser Schwelle, die jeder einmal überschreiten muss, das sei ein tröstlicher Gedanke.

Der Tod kommt nicht wie im Film: „Man stirbt, wie man gelebt hat“ wurde gefunden bei mopo.de

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