Europawahl im Osten: Dieses Ergebnis war absehbar!

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Der Schock sitzt tief: Bei der Europawahl wurde die in Teilen gesichert rechtsextreme AfD in allen ostdeutschen Bundesländern, ausgenommen Berlin, stärkste Kraft. Die Reaktion: Überraschung, Entsetzen, gar Abscheu in großen Teilen Westdeutschlands. Ich (23) als geborene Brandenburgerin bin alles andere als überrascht. Im Gegenteil: Genau das war doch abzusehen. Und ich hoffe nur eines: Dass die Westdeutschen erkennen, dass sie jetzt dringend handeln müssen.

Die „Ossis“, ihre Wünsche und (vor allem) ihre Probleme sind, wenn es hochkommt, zweimal im Jahr interessant: Am 3. Oktober und zu irgendeiner Wahl, auf die ein völlig überraschter Aufschrei aus Westdeutschland folgt. In jeder Hinsicht zurückgeblieben, ewiggestrig, trotzig – so sind sie, die Ostdeutschen. Manche fordern halbironisch den „antifaschistischen Schutzwall“ aus DDR-Zeiten zurück, andere wollen die „neuen Bundesländer“ am liebsten an Russland verkaufen. Haha.

Es ist sicherlich nicht der Großteil der Ostdeutschen einfach dumm

Aber hat sich mal jemand die Mühe gemacht und geschaut, was die Gründe für diese – schon lange absehbare – Entwicklung sind? Denn es ist sicherlich nicht der Großteil der Ostdeutschen einfach dumm. Perspektivlos trifft’s eher.

Fangen wir mit mir an, denn ich bin Teil des Problems. Direkt nach dem Abitur in den Westen gegangen, wie der Großteil meiner weiblichen Freundinnen auf der Suche nach Karrierechancen. Zuhause geblieben: Deutlich mehr junge Männer, denen die Perspektive fehlt. In der Altersgruppe, in der man sich eine Partnerin fürs Leben sucht, also zwischen 18 und 30, besteht in den „neuen Bundesländern“ ein Männerüberschuss von teilweise 25 Prozent. Seit 1990 ist der deutlich gestiegen und führt zu veränderten Werten, Leitbildern und zu politischer Polarisierung. Kurzum: Sozial und gesellschaftlich unzufriedene Männergruppen, die sich am Stammtisch gegenseitig radikalisieren.

Im Osten gibt es mehr Arbeitslose, im Westen mehr Millionäre

Und auch finanziell nicht vorankommen. Denn warum ziehen junge, aufstrebende Frauen weg? Weil das Geld nach wie vor im Westen sitzt. Im Osten kann man laut dem Karriereportal „Stepstone“ durchschnittlich 37.250 Euro brutto verdienen. Arbeitnehmer im Westen kommen indes auf 45.000 Euro. Es gibt etliche solcher Statistiken: Im Osten gibt es mehr Arbeitslose, im Westen mehr Millionäre. Großkonzerne im Osten? Fehlanzeige. 20 Prozent der Deutschen sind ostdeutsch, aber nur 12,2 Prozent der gesamtdeutschen Eliten in Wirtschaft, Politik und Justiz. Mit Verlaub, aber Diskussionen über sichere Radwege und ÖPNV im Fünfminutentakt gehen an der Lebensrealität vieler Ostdeutscher einfach vorbei.

Warum brauchen wir nach mehr als 30 Jahren immer noch einen Ostbeauftragten?

Das kommt Ihnen alles bekannt vor? Ja, weil es seit Jahren zu passenden Anlässen heruntergerattert wird, die Verantwortlichen aber nicht sonderlich viel dagegen tun. Also wir alle. Die Politik, die strukturschwache Regionen im Osten weiter nicht ausreichend fördert und Konzerne anlockt. Die westdeutschen Medien, wenn sie von oben herab über die „neuen Bundesländer“ berichten. Arbeitgeber, wenn sie „Ossis“ weniger zutrauen. Warum brauchen wir nach mehr als 30 Jahren immer noch einen Ostbeauftragten der Bundesregierung? Wo sind die „blühenden Landschaften“, die Helmut Kohl versprochen hat? Im September sind Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg und wenn wir jetzt genauso weitermachen wie vor der Europawahl, werden deren Ergebnisse noch deutlicher.

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Zunächst ist es vielleicht einfacher, den Osten als verloren abzustempeln. Doch die Folgen davon haben wir am vergangenen Sonntag bitter zu spüren bekommen. Und wenn wir jetzt nicht handeln, war das erst der Anfang.

Lea Reinicke ist 23 und stammt aus Brandenburg.

Europawahl im Osten: Dieses Ergebnis war absehbar! wurde gefunden bei mopo.de

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