Nun ist der Tag des Abschieds da, der sich so lange anbahnte, aber das ändert nichts an der Traurigkeit. Kapitän Schwandt ist tot. Was das bedeutet, werde ich erst später begreifen. Der Gedanke, dass ich ihn nicht mehr zum Kaffee treffen kann am Elbufer von Övelgönne, auf dem Deck mit Blick auf die Containerbrücken, schmerzt mich schon jetzt.
Jürgen war ein Kapitän, ein Kompass, ein Leuchtturm. Er war ein Freund.
Kapitän Schwandt hörte zu, ohne sich vorher ein Urteil zu bilden
Einer, mit dem man über alles reden konnte. Der zuhörte, ohne sich vorher ein Urteil gebildet zu haben. Er war gütig, hilfsbereit, er war Seemann und Mensch. Sein Engagement gegen Rassismus und Hass, sein Einsatz für Außenseiter und Ausgestoßene machten ihn zum Vorbild.
hfr
Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.
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Die Welle der Anteilnahme, die sein Tod ausgelöst hat, ist überwältigend. Zehntausende Menschen kondolierten auf der Facebook-Seite von Ankerherz, viele schrieben uns Nachrichten, in denen sie ausdrückten, was er ihnen bedeutete.
Kapitän Schwandt war der Großvater, den jeder gerne gehabt hätte.
Er pflegte eine unaufgeregte Renitenz
Aufrecht, witzig, mit klaren Ansagen, die nicht immer allen passten. Bis in hohe Alter pflegte er eine unaufgeregte Renitenz, die ich mochte. Kleines Beispiel? Auf dem Weg zu einem Schiff in Dänemark hatte frühmorgens nur ein McDonald’s an der Autobahn geöffnet. Der Kapitän – der noch nie zuvor in einem Fastfood-Restaurant eingekehrt war – grüßte auf Facebook mit einem Kaffee. Als wir im Hafen ankamen, war die Empörung groß – und wuchs weiter, als das Ziel unserer Reise klar war: die Färöer.
Florian Quandt
Auch für die MOPO schrieb der Käpt’n, hier ein Besuch in den Redaktionsräumen.
Wir wateten im „Blut toter Wale“, schimpften viele auf Facebook, wir zerstörten den Planeten mit „McDonald’s“, garniert mit den üblichen Beschimpfungen und dem Verdacht, wir würden nun von der amerikanischen Bulettenindustrie bezahlt. Jürgen amüsierte sich erst und wurde dann sauer.
Was den Leuten einfalle, solche Urteile zu fällen? Und auf diese Weise? Ich musste ihn auf der Rückfahrt davon abhalten, wieder unterm gelben „M“ einzukehren und ein Lob auf spanischen Stierkampf als Videobotschaft aufzunehmen. Den mochte er im Unterschied zur Waljagd gerne.
Er ließ sich von niemandem einschüchtern
Kapitän Schwandt ließ sich nicht einschüchtern, von niemandem. Ich vermute, in Matrosenjahren ist man ihm besser nicht dumm gekommen. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität gab es Morddrohungen. Ihm war das egal. Einmal, vor einer Lesung in Rostock, rief ein Rechtsextremist in SS-ähnlicher Uniform auf YouTube zum „Hausbesuch der Patrioten“ auf. Der Veranstalter wollte absagen. Kapitän Schwandt wollte sich auf den Markplatz stellen.
Jürgen war ein konservativer Mensch mit einem klaren Wertebild. Dass er am Ende seines Lebens erleben musste, wie die AfD stärkste Partei in ostdeutschen Landtagen wurde, widerte ihn nach seiner eigenen Familiengeschichte und einer Jugend in den Trümmern von Hamburg-St. Georg. an. Es machte ihn wütend – und auch ratlos. „Wieso lernen die Menschen nichts aus der Geschichte?“, fragte er.
Auf See waren wir häufig, denn da fühlte er sich zu Hause. Stürme gehörten dazu, auf dem Weg nach Island, vor dem Hafen von Belfast, auch auf der Ostsee mit Kurs Finnland. Jede Reise mit ihm empfinde ich als ein Geschenk. Wenn ich ihn an Bord suchte, musste ich nur raus aufs Raucherdeck.
Volker Schimkus
Käpt’n und der damalige Bürgermeister: Schwandt interviewt Olaf Scholz in der Haifischbar
Was bleibt, wenn man geht? Das habe ich ihn gefragt, als er noch etwas loswerden wollte. Für viele Menschen war er eine Art Ratgeber geworden, obwohl er das nie sein wollte. In einer neuen Version seiner Biografie „Sturmwarnung“ sprachen wir über das Leben, über Familie, Beruf und Fragen des Glücks. Er war stolz, dass wir das noch geschafft haben.
„Was man hinterlässt, das sind Erinnerungen der Menschen, mit denen man Zeit verbrachte. Daran sollte man das eigene Handeln ableiten. Wie will ich in Erinnerung bleiben?“
Er rauchte mehr als 1,5 Millionen Zigaretten
Angst vor dem Tod habe er keine, sagte er. Jedes Jahr über 80 sei eine „Bonuszeit“, auch wegen seines Lebensstils mit grob geschätzt mehr als 1,5 Millionen gequalmten Zigaretten und dem Alkoholismus der frühen Jahre. Sein Leben war spannend, abenteuerlich, mit der Pointe des späten Ruhms. Er konnte abmustern, fand er.
Natürlich wäre der Kapitän nicht der Kapitän, wenn er nicht selbst den Tod vorbereitet hätte. Seine Beerdigung plante er minutiös, hatte Musik auf CD gebrannt, das Motiv der Todesanzeige gestalten lassen, jemanden bezahlt, um die Adressliste der Einladungskarten zu aktualisieren.
Vor einigen Wochen schickte er mir eine Mail, der Betreff lautete: „Längeres Moin“. Er werde demnächst sterben, schrieb mir der Kapitän und „Jung, übrigens erbst du auch was“. Sämtliche maritimen Dinge, die sein Esszimmer schmückten, habe er mir hinterlassen. Inklusive dieses Schilds aus einem Stundenhotel in Norfolk, USA: „Street girls bringing Sailors into Hotel must pay in advance“, steht drauf.
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„Wäre doch schade, wenn das im Schrott landet. In deinem Verlag würde sich das gut machen“, schrieb mir Schwandt. Nur das ganze Zeug abbauen, das müsse ich schon selbst. Ich musste laut lachen, als ich das las.
Nun ist der Tag des Abschieds gekommen, der sich so lange anbahnte, aber das ändert nichts an der Trauer. Wir werden dich vermissen, Käpt’n. Wir und viele andere werden dich nie vergessen. Das bleibt.
Farewell, Käpt’n Schwandt! Darum schmerzt sein Tod so sehr wurde gefunden bei mopo.de