Hamburgs schönster Dampfer: Lügen, Pleiten, Pech, Krieg und eine wundersame Rettung

Hamburgs schönster Dampfer: Lügen, Pleiten, Pech, Krieg und eine wundersame Rettung

Sie ist das mit Abstand eleganteste Museumsschiff auf der Elbe. Der weiße Anstrich, der leicht geschwungene Rumpf, der golden verzierte Bug, die kupferne Krone des Schornsteins – einzigartig. Kein Wunder, dass mancher Fan die „Schaarhörn“ auch „Schwan der Unterelbe“ nennt. Unter dem leisen Zischen der beiden Dampfmaschinen schwebt das Schiff regelrecht übers Wasser. Manchmal, wenn die Menschen am Ufer nicht gucken, dann verschafft sie sich die Aufmerksamkeit, die sie verdient: Dann stößt das Signalhorn einen Ton aus, der durch Mark und Bein geht.

Die „Schaarhörn“ war lange weg. Es gab Probleme mit dem Dampfkessel. Weil der aus Sicherheitsgründen nicht angeheizt werden durfte, lag das Schiff drei Jahre fest vertäut am Kai im Hansahafen, direkt neben der „Peking“.

Die „Schaarhörn“ lädt wieder zu Ausfahrten ein

Aber jetzt ist die „Schaarhörn“ wieder da. Ihre 24-köpfige Crew aus lauter Ehrenamtlichen – Wissenschaftler, Ingenieure und ehemalige Kapitäne sind genauso darunter wie Verkäufer und Büroangestellte – lädt Wochenende für Wochenende zu Ausfahrten ein. Bis nach Schulau zum Willkomm Höft geht’s und dann wieder zurück. Wenn Sie Glück haben und eine Karte ergattern, dann weht Ihnen nicht nur der Fahrtwind um die Nase, Sie werden auch von der überaus spannenden Geschichte dieses Dampfschiffes hören.

Mitglieder des Vereins „Freunde des Dampfschiffs Schaarhörn“. Die aktuelle Crew.
Michael Böhnert

Mitglieder des Vereins „Freunde des Dampfschiffs Schaarhörn“. Die aktuelle Crew.

Denn alles begann mit einem Finanzskandal. Wir schreiben das Jahr 1908. Der Hamburger Senat wünscht sich eine elegante Staatsyacht, um damit hochgestellte Gäste wie etwa den Kaiser durch den Hafen schippern zu können. Dass die Senatoren dafür in der Bürgerschaft eine Mehrheit finden, ist allerdings zweifelhaft, zumal neuerdings neben den etablierten Parteien auch diese aufrührerischen „Socialdemokraten“ im Parlament vertreten sind.

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Kritischen Fragen möchte der Senat aus dem Wege gehen und bedient sich deshalb eines Tricks: Er lässt sich den Bau zweier Saugbagger und eines Peildampfers genehmigen – das ist ein Schiff, das zur Vermessung der Wassertiefe gedacht ist. Niemand im Parlament wird misstrauisch – die Elbvertiefung ist damals schon ein wichtiges Thema. Also wird die Zustimmung erteilt.

Am 9. Oktober 1908 wird die „Schaarhörn“ in Dienst gestellt. Dafür, dass es sich nur um ein gewöhnliches Arbeitsschiff handeln soll, ist es ausgesprochen luxuriös ausgestattet. Es gibt elektrische Beleuchtung und zentral beheizte Räume – beides damals ziemlich ungewöhnlich. Und dann ist da auch noch ein eleganter Salon, ausgestattet mit Jugendstil-Elementen und einem Skylight über der langen Tafel, das mit bemalten Scheiben und eingearbeiteten Mondsteinen gestaltet ist. 

Michael Bera vom Verein „Freunde des Dampfschiffs Schaarhörn“ putzt den Tisch im Salon des Schiffes (Archivfoto vom 10. September 2004).
dpa

Michael Bera vom Verein „Freunde des Dampfschiffs Schaarhörn“ putzt den Tisch im Salon des Schiffes (Archivfoto vom 10. September 2004).

Der Schwindel, der mit 213.000 Reichsmark den Steuerzahler äußerst teuer zu stehen kommt, bleibt nicht unbemerkt: Kaum ist die „Schaarhörn“ fertig gebaut, fällt einigen Bürgerschaftsabgeordneten auf, dass das Schiff ständig an den Landungsbrücken liegt, Tag und Nacht unter Dampf, aber offensichtlich ohne Aufgabe. Dem Senat werden unangenehme Fragen gestellt. 1910 setzt die Bürgerschaft eine Kommission ein, um der Sache auf den Grund zu gehen. Der Abschlussbericht führt zu einer hitzigen Debatte im Parlament. Die Wände wackeln.

Kaiser Wilhelm II. hat nie Gelegenheit, mit der „Schaarhörn“ eine Hafenrundfahrt zu machen

Übrigens: Der Kaiser, für den das Schiff offensichtlich bestimmt war, betritt die „Schaarhörn“ nicht ein einziges Mal. Nach dem Skandal wird dafür gesorgt, dass der ungeliebte Pott so schnell wie möglich aus dem Hamburger Hafen verschwindet. Ihren neuen Liegeplatz bekommt die „Schaarhörn“ in Cuxhaven, damals ein Teil Hamburgs, wo sie endlich das tut, wofür sie offiziell gebaut wurde: Sie vermisst Tiefen und Untiefen in der Elbmündung, damit die Riesendampfer jener Zeit – „Imperator“, „Vaterland“ und „Bismarck“ beispielsweise – ja nicht auf Grund laufen.

Er wurde im Ersten Weltkrieg auf der „Schaarhörn“ zum Leutnant befördert: Der Dichter Joachim Ringelnatz
dpa

Er wurde im Ersten Weltkrieg auf der „Schaarhörn“ zum Leutnant befördert: Der Dichter Joachim Ringelnatz

Am 1. August 1914 bricht der Erste Weltkrieg aus – und die „Schaarhörn“ mitsamt ihrer Besatzung wird zur Minensuche eingesetzt. Unter den Kriegsfreiwilligen an Bord befindet sich ein Mann, der schon damals nicht mehr ganz unbekannt ist und später noch größere Berühmtheit erlangen wird: Hans Bötticher alias Joachim Ringelnatz (1883-1934), ein Schriftsteller, Kabarettist und Maler, der vor allem für humoristische Gedichte und seine Kunstfigur Kuttel Daddeldu bekannt ist.

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Während seiner Zeit auf der „Schaarhörn“ hält Ringelnatz das Leben an Bord auf Papier fest. In einem Gedicht schreibt er: „Das Meer erglänzte hinten und vörn und links und rechts und daneben. Wir saßen von Wogen umbraust auf Schaarhörn und knobelten um das Leben.“

Er berichtet auch von seiner Beförderung zum Leutnant im Oktober 1917, die er mit seinen Kameraden an Bord ausgiebig feiert. Der Mannschaft spendiert er Zigarren und Schnaps, mit den Offizieren leert er im Salon einige Buddeln Sekt.

Als Minensuchboot im Ersten Weltkrieg: schwarz gestrichen und mit Bordgeschütz ausgestattet
Sammlung Vonarb

Als Minensuchboot im Ersten Weltkrieg: schwarz gestrichen und mit Bordgeschütz ausgestattet

1939 beginnt der Zweite Weltkrieg. Inzwischen schon sehr betagt und technisch veraltet, dient das Schiff zunächst keinen militärischen Zwecken mehr. Das ändert sich erst kurz vor dem Zusammenbruch, als es gilt, ostpreußische Flüchtlinge vor den sowjetischen Truppen zu retten. Die „Schaarhörn“ gehört im Januar 1945 zu einer Flotte jämmerlicher, alter und sogar defekter Schiffe, die Stolpmünde, Danzig und Swinemünde anlaufen, Flüchtlinge an Bord nehmen und sie Richtung Westen bringen. Wie durch ein Wunder bleibt die „Schaarhörn“ dabei unversehrt.

Die „Schaarhörn“ ist ab 1949 wieder Peil- und Vermessungsschiff

Ab 1949 ist sie dann wieder als Peil- und Vermessungsschiff in der Elbmündung bei Cuxhaven tätig. In den 50er Jahren wird sie technisch überholt und auf den neuesten Stand gebracht. Als dann aber der Preis für Kohle steigt, während Diesel ziemlich günstig zu haben ist, und der Wartungsaufwand für alte Dampfer die Kosten zusätzlich ins Unermessliche treibt, wird das Schiff 1971 außer Dienst gestellt und im Jahr darauf zum Abwracken ausgeschrieben.

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Ein Idealist aus Cuxhaven kauft die „Schaarhörn“, will sie retten, stellt aber bald fest, dass ihm dazu die finanziellen Mittel fehlen. Es gelingt ihm, den Pott weiterzuverkaufen, angeblich zum Vierfachen des Kaufpreises, und zwar an den Schotten Keith Schellenberg. Der hat die Idee, die „Schaarhörn“ zu restaurieren und für Kreuzfahrten herzurichten.

Im Hafen von Buckie (Schottland): In diesem Zustand befindet sich die „Schaarhörn“ 1979, bevor Hamburg sie zurückkauft und restauriert.
Stiftung Hamburg Maritim

Im Hafen von Buckie (Schottland): In diesem Zustand befindet sich die „Schaarhörn“ 1979, bevor Hamburg sie zurückkauft und restauriert.

Wie zu erwarten, wird nichts daraus. Schellenberg geht pleite, sodass das Schiff 1980 abermals den Besitzer wechselt: Diesmal sind die Brüder Amor und William Treolar, Kohlenhändler aus Maryport, verrückt genug, den Pott zu übernehmen. Auch sie haben Träume: Sie wollen ein Dampfschiff-Museum eröffnen, und die „Schaarhörn“ soll ihr Prachtstück werden.

Die „Schaarhörn“ verrottet 20 Jahre lang in Schottland, bevor sie nach Hamburg heimkehrt

Das Ende vom Lied: Die Brüder zerstreiten sich, ihr Kohlenhandel geht den Bach runter, und einer von den beiden bezieht Quartier auf dem Schiff, das inzwischen ziemlich heruntergekommen ist und immer mehr verfällt.

Zehn Jahre später die Rettung: Der Hamburger Marine-Historiker Joachim Kaiser entdeckt das Wrack und sorgt dafür, dass das Commerz-Collegium zu Altona, ein Zusammenschluss von Altonaer Kaufleuten, es kauft. Die „Schaarhörn“ – oder was davon übrig ist – wird 1990 von einem Dockschiff huckepack zurück nach Hamburg gebracht.

1990 wird die „Schaarhörn“ im Laderaum des Dockschiffes „Condock III“ nach Hamburg transportiert. Eine Heimreise auf eigenem Kiel wäre für den altersmüden Dampfer nicht mehr in Frage gekommen.
Flite

1990 wird die „Schaarhörn“ im Laderaum des Dockschiffes „Condock III“ nach Hamburg transportiert. Eine Heimreise auf eigenem Kiel wäre für den altersmüden Dampfer nicht mehr in Frage gekommen.

Es wieder instand zu setzen, ist eine Herkules-Aufgabe: Das Schiff hat leichte Backbord-Schlagseite, das Deck ist grasbewachsen, die Steuerbordmaschine ist festgerostet, überall liegt Gerümpel herum. Die Restaurierung ist nur möglich, weil sich in Cuxhaven die alten Baupläne wieder anfinden. Die arbeitslosen Jugendlichen, die im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme des Vereins „Jugend in Arbeit“ an dem Pott werkeln, leisten Hervorragendes: Nach fünf Jahren ist das Schiff fast wieder wie neu.

Seit 1995 ist die „Schaarhörn“ als fahrendes Museumsschiff in Betrieb

Seit 1995 ist die „Schaarhörn“ jetzt als fahrendes Museumsschiff in Betrieb. Eigner ist die Stiftung Hamburg Maritim. Betrieben wird es von Ehrenamtlichen. Sie halten es in Schuss und veranstalten regelmäßig Rundfahrten, um so das nötige Kleingeld in die Kasse zu bekommen.

Das Dampfschiff „Schaarhörn“ wurde 1908 auf der Hamburg-Steinwerder Schiffswerft und Maschinenfabrik als Peildampfer gebaut und bei der Baudeputation des Senates der Stadt Hamburg in Dienst gestellt. Die „Schaarhörn“ ist Eigentum der Stiftung Hamburg Maritim und kann gechartert werden.
Imago

Das Dampfschiff „Schaarhörn“ wurde 1908 auf der Hamburg-Steinwerder Schiffswerft und Maschinenfabrik als Peildampfer gebaut und bei der Baudeputation des Senates der Stadt Hamburg in Dienst gestellt. Die „Schaarhörn“ ist Eigentum der Stiftung Hamburg Maritim und kann gechartert werden.

Sie haben noch nie eine Ausfahrt mit der „Schaarhörn“ gemacht? Dann wird es Zeit. Das ist ein großes Abenteuer, vor allem bei gutem Wetter. Gäste dürfen alles an Bord erkunden. Jede Tür steht ihnen offen. Sie dürfen die Brücke besichtigen, den Maschinenraum und auch die Kombüse, wo ein ehemaliger Chirurg und dessen Frau, eine Krankenschwester, den Kochlöffel schwingen. Die Gäste dürfen sogar den Heizern – einer davon ist Schweizer – dabei zusehen, wie sie regelmäßig Kohle nachschaufeln, damit der Druck im Kessel gleichmäßig hoch ist.

Übrigens: Der Verein „Freunde des Dampfschiffes Schaarhörn“ sucht dringend Nachwuchs. Haben Sie Lust, Teil der Crew zu werden und mitanzupacken? Rufen Sie doch mal an!

Holger Blüher, 1. Heizer auf dem Museums-Dampfschiff „Schaarhörn“ (Baujahr 1908) schaufelt brennende Kohle vom Hauptfeuerloch in ein Nebenfeuerloch. Pro Stunde gehen bei Marschfahrt etwa 50 Schaufeln in die Feuerlöcher der „Schaarhörn“. Archivfoto von 2008.
dpa

Holger Blüher, 1. Heizer auf dem Museums-Dampfschiff „Schaarhörn“ (Baujahr 1908) schaufelt brennende Kohle vom Hauptfeuerloch in ein Nebenfeuerloch. Pro Stunde gehen bei Marschfahrt etwa 50 Schaufeln in die Feuerlöcher der „Schaarhörn“. Archivfoto von 2008.

Termine und Infos: www.schaarhoern.de, Preis für eine ca. 3,5-stündige Tagesfahrt: 45 Euro, Kinder bis 13 Jahre zahlen die Hälfte. Charterfahrten auf Anfrage. Im Herbst und im Winter werden auf dem Schiff regelmäßig Ringelnatz-Lesungen veranstaltet – die nächsten Termine: 26. Oktober, 9. November und 14. Dezember.

Hamburgs schönster Dampfer: Lügen, Pleiten, Pech, Krieg und eine wundersame Rettung wurde gefunden bei mopo.de

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