In Deutschland herrschen fantastische Bedingungen

In Deutschland herrschen fantastische Bedingungen

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser, im Leben ist alles eine Frage der Perspektive. Und manchmal hilft es, die Perspektive zu wechseln, um die Realität zu erkennen. Nimmt man in diesen Tagen die Äußerungen von Zeitgenossen in Umfragen und Internet-Foren, im Bekanntenkreis und an der Supermarktkasse zum Maßstab, erscheint die Lage hierzulande ziemlich düster: Vielen Menschen drücken die zahlreichen Krisen und Konflikte aufs Gemüt, wer wollte es ihnen verdenken? Als drängendste Probleme in Europa werden dem ZDF-Politbarometer zufolge genannt : die Migration, der Ukraine-Krieg, die Uneinigkeit zwischen den EU-Ländern, die Energie- und die Klimakrise sowie der Rechtsextremismus. Gewaltige Herausforderungen, keine Frage, und natürlich hat Deutschland für sich genommen darüber hinaus noch viel mehr zu bewältigen. Ich erspare Ihnen die Auflistung, Sie werden sich Ihren Teil schon denken. Nach dem Messermord in Mannheim steht nicht zuletzt der militante Islamismus wieder oben auf der Agenda (dazu unten mehr). Angesichts all der Bedrohungen haben viele Menschen den Eindruck, um das Leben hierzulande sei es mittlerweile besonders schlecht bestellt. Als gehe hier alles den Bach runter, während andere Länder sich besser schlügen. Das ist falsch. Wie falsch es ist, erschließt sich bei einem Rundblick um den Globus. Zum Beispiel nach China, wo heute niemand an den 35. Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens erinnert. In der Nacht zum 4. Juni 1989 schlug die sogenannte Volksbefreiungsarmee die demokratischen Studentenproteste nieder. In Pekings Straßen wurden vermutlich Tausende Menschen ermordet oder verletzt. Das Regime stoppte seinen Reformkurs und begann, das Land in einen totalen Überwachungsstaat umzubauen. Heute kann kein Chinese mehr Piep sagen, ohne dass Xi Jinpings Stasi zuhört; aufmüpfige Bürger verschwinden in Konzentrationslagern. Deshalb wird sich niemand trauen, anlässlich des heutigen Jahrestags mehr Freiheit zu verlangen. Oder schauen wir auf die andere Seite des Globus’, wo die Mexikaner gerade eine neue Präsidentin gewählt haben: Mehr als 30 Politiker wurden dort im Wahlkampf umgebracht, Hunderte von Drogenbanden terrorisieren die Bevölkerung. Durchschnittlich elf Feminizide gibt es pro Tag, 70 Prozent aller Frauen erleiden körperliche Gewalt. Oder blicken wir nach Süden in den Iran, wo die Menschen wieder und wieder versucht haben, die Mullah-Diktatur abzuschütteln: Hunderte Demonstranten wurden dort von den Staatsschergen ermordet, Tausende in Foltergefängnisse gesperrt. Nach dem Unfalltod von Präsidentendiktator Raisi organisiert das Regime eilig die Nachfolge, sogar der irre Ahmadinedschad greift wieder nach der Macht. Es ist ein Elend und es ist niemandem zu verdenken, wenn er in so einem Land nicht länger leben will. Aber was, denken Sie nun womöglich, hat Deutschland mit China, Mexiko oder dem Iran zu tun? Mit Verlaub: eine ganze Menge. China ist unser wichtigster Handelspartner, ohne intensiven Austausch mit dem Riesenreich gehen in deutschen Fabriken die Lichter aus. Mexiko ist unser wichtigster Handelspartner in Mittel- und Lateinamerika, eine Wirtschaftsregion, deren Bedeutung angesichts Russlands Ächtung zunimmt. Auch zu Irans wichtigsten Partnern zählte Deutschland jahrzehntelang; trotz verschärfter Sanktionen sind die deutschen Exporte dorthin seit Jahresbeginn wieder deutlich gestiegen. In der Mitte Europas beheimatet, neigt man in Deutschland dazu, sich mit anderen Europäern zu vergleichen. Das ist nicht falsch, aber eben nur ein Ausschnitt der Realität. Erst recht, wenn man bedenkt, dass sich die Gewichte in der Welt rasant verschieben. Neben den drei genannten Ländern werden künftig weitere prekäre Staaten den Ton angeben. Beispielsweise Indien, wo heute das Ergebnis der Parlamentswahl erwartet wird: Premier Modi versucht die größte Demokratie der Welt in ein faschistoides Hindustan zu verwandeln. Oder Nigeria: Afrikas bevölkerungsreichster Staat taumelt in die schlimmste Wirtschaftskrise seit 20 Jahren und wurde gestern von einem landesweiten Generalstreik lahmgelegt. Anderswo sieht’s auch schlecht aus: Diese ernüchternde Erkenntnis reicht mitnichten aus, um sich besser zu fühlen, natürlich nicht. Aber ein Vergleich mit anderen Weltregionen schärft den Blick dafür, welchen riesigen Schatz wir hier besitzen: Trotz aller Krisen, aller Probleme und aller Gefahren herrschen in Deutschland und in Mitteleuropa fantastische Lebensbedingungen. Sie müssen bewahrt, gepflegt und geschützt werden, schon richtig. Aber das beginnt damit, dass man sie anerkennt und wertschätzt, statt jeden Tag alles schlechtzureden. Machen Sie mit? Zahl des Tages Apropos fantastisch: Nur noch zehn Tage bis zum Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland! Wie gestern Abend im Testspiel gegen die ukrainische Mannschaft zu sehen war, dribbelt sich das DFB-Team allmählich in Form. Der letzte Test steht am Freitag in München gegen Griechenland an, danach wird’s ernst. Und weil der t-online-Mutterkonzern Ströer so praktische Video-Screens in Bahnhöfen, Innenstädten und Einkaufszentren besitzt, werden dort sämtliche EM-Tore fast in Echtzeit zu sehen sein. So verpassen Sie auch dann keinen Höhepunkt, wenn Sie unterwegs sind. Land unter im Süden Alles andere als fantastisch ist hingegen die Lage in den süddeutschen Hochwassergebieten. Zahlreiche Ortschaften stehen unter Wasser, Tausende Helfer kämpfen gegen die Fluten. Bislang wurden vier Todesopfer geborgen, Regensburg hat den Katastrophenfall ausgerufen – und der Deutsche Wetterdienst rechnet mit weiterem Dauerregen: Südlich der Schwäbischen Alb dürften heute enorme Regenmengen niedergehen, für Oberschwaben, die Bodensee-Region und das Allgäu werden starke Gewitter vorhergesagt. Unser Wetter-Team hält Sie hier auf dem Laufenden. Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat unterdessen ein neues Gesetz zum besseren Hochwasserschutz angekündigt. “Es wird immer deutlicher, dass wir uns gegen die Folgen der Klimakrise besser schützen müssen”, verkündete die Grünen-Politikerin. Ich meine: Ein einzelnes Gesetz wird da nicht reichen. Lesetipps Wann wacht Deutschland endlich auf? Mein Kommentar zum Messermord in Mannheim hat teils aufgebrachte Reaktionen hervorgerufen. Die nehme ich in Kauf. Die Gaspipeline Nord Stream 2 gilt als einer der großen Irrtümer der Ära Merkel. Nun zeigen Dokumente, die meinem Kollegen Johannes Bebermeier vorliegen, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck die Pipeline kurz nach Amtsantritt stoppte. AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah hat der Partei mehrere Skandale eingebrockt – und doch erreicht, was sich mancher von seiner Wahl erhoffte. Die Partei steuert auf ihre vielleicht finale Häutung zu, schreibt unsere Reporterin Annika Leister. Bundestrainer Julian Nagelsmann und Nationalspieler Joshua Kimmich greifen eine umstrittene WDR-Umfrage an. Damit machen sie alles richtig, meint mein Kollege David Digili. Das historische Bild New York gleich nachts einem Meer aus Lichtern. Doch 1965 herrschte plötzlich Dunkelheit. Ihr Besuch bei uns Sie möchten erfahren, wie wir arbeiten? Dann kommen Sie doch zum Lesertag am 26. Juni in unsere Berliner Redaktion. Schreiben Sie bitte eine E-Mail an Lesermeinung@stroeer.de mit der Betreffzeile “Lesertag 2024” und nennen Sie Ihre Telefonnummer für ein kurzes Vorabtelefonat. Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen! Ohrenschmaus Morgen Abend bin ich aus Gründen nicht erreichbar. Guten Gründen. Zum Schluss Not macht erfinderisch. Ich wünsche Ihnen einen erquicklichen Tag ohne Katastrophen. Morgen kommt der Tagesanbruch von Annika Leister. Herzliche Grüße Ihr Florian Harms Chefredakteur t-online E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de Mit Material von dpa. Den täglichen Tagesanbruch-Newsletter können Sie hier kostenlos abonnieren. Alle Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier . Alle Nachrichten lesen Sie hier .

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