Mannheim: Grünen-Politiker fordert schonungslose Islamismus-Debatte

RMAG news

Die Messerattacke von Mannheim erschüttert Deutschland. Was muss jetzt passieren? Der Grünen-Politiker Danyal Bayaz fordert eine schonungslose Debatte über Islamismus. Ein 25 Jahre alter Mann aus Afghanistan verletzt auf dem Mannheimer Marktplatz fünf Menschen mit einem Messer und tötet einen Polizisten. Er war 2014 als Flüchtling nach Deutschland gekommen, hatte Frau und Kinder – und wandte sich offenbar im Verborgenen dem Islamismus zu. Die Politik diskutiert seitdem über die Konsequenzen aus der Tat. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Donnerstag in einer Regierungserklärung an, Gefährder und Straftätern wieder nach Afghanistan abschieben zu wollen. Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) unterstützt das – anders als viele andere Grüne. Und er fordert noch mehr. t-online: Herr Bayaz, Sie haben nach der schrecklichen Tat von Mannheim eine ” schonungslose Debatte” über Islamismus ” ohne Naivität” gefordert. Wer genau ist Ihnen bisher zu naiv gewesen? Danyal Bayaz: Wir als Gesellschaft haben dem Islamismus nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Als ich am Sonntag die Information bekam, dass der junge Polizist es nicht schaffen wird, hatte ich Tränen in den Augen. Die Mannheimer Stadtgesellschaft hält bewundernswert zusammen, aber der Ort ist nicht mehr derselbe. Wir können nach so einer Tat nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Aber debattiert wird doch nach solchen Taten immer sehr ausgiebig, auch diesmal. Nur passiert am Ende oft wenig. Es ist ja nicht so, dass wir den Rechtsstaat neu erfinden müssten. Wir haben rechtsstaatliche Instrumente, um solche Täter zu bestrafen. Aber es geht auch nicht, jetzt nur die volle Härte des Rechtsstaats einzufordern und dann wieder zum Alltag zurückzukehren. Das ist zu ritualisiert, das ist zu wenig. Was braucht es dann? Wir müssen darüber reden, wie es überhaupt zu solch schrecklichen Taten kommt und was wir dagegen tun können. Es ist erst einige Wochen her, da haben radikale Muslime bei Demonstrationen das Kalifat gefordert. So etwas wirkt wie ein Brandbeschleuniger und dient der Legitimation von Gewalt. Aus Worten werden Taten, heißt es oft beim Thema Rechtsextremismus. Das gilt auch für den Islamismus. Wo fehlt es konkret? Wir müssen erst einmal anerkennen, dass wir ein strukturelles Problem haben. Wir müssen die Wirkmächtigkeit des Islamismus begreifen. Diese Ideologie ist ein Feind der offenen Gesellschaft, ein Feind der Demokratie. Islamisten wollen ganz bewusst nicht, dass Muslime Teil der Gesellschaft werden. Sie lehnen unsere Werte ab, sie lehnen unser Grundgesetz und unsere Freiheit ab. Sie wollen kein Wir, sondern ein Wir gegen Euch. Machen wir es konkret: Die Union verlangt, die Forderung nach einem Kalifat unter Strafe zu stellen. Asylbewerber sollen dafür abgeschoben werden, Menschen mit zwei Pässen die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren. Hilft das? Ich finde jedenfalls, dass wir über einige Vorschläge ernsthaft debattieren sollten. Wir sollten nicht in die üblichen Reflexe verfallen. Es wird nicht die eine Idee geben, die alles sofort löst. Wir sollten aber auch nicht gleich alles vom Tisch wischen, weil es angeblich nicht funktionieren kann. Was für mich klar ist: Wir müssen dringend prüfen, ob und vor allem wie man islamistische Gruppierungen wie Muslim Interaktiv verbieten kann. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber nach allem, was man weiß, haben die Sicherheitsbehörden die Radikalisierung des Täters nicht mitbekommen. Solche stillen Radikalisierungen nehmen zu und stellen Sicherheitsbehörden vor große Probleme. Sind sie gut genug ausgestattet? Wie immer gibt es in jeder staatlichen Institution Verbesserungspotenzial. Aber im Großen und Ganzen ist Deutschland in den vergangenen Jahren von den Sicherheitsbehörden vor Anschlägen relativ gut bewahrt worden. Es fehlt eher an anderer Stelle. Wo? An Prävention und Bildung. Radikalisierung beginnt heute zunehmend auf TikTok und Instagram. Professor Mouhanad Khorchide spricht von einem “Insta-Islam”. Er berichtet von jungen Studenten, die mit sehr rückwärtsgewandten und schlicht falschen Interpretationen des Islam auf ihn zukommen, mit denen sie auf Social Media beeinflusst wurden. Zugleich gibt es nach wie vor Radikalisierungstendenzen in einigen Moscheegemeinden. Wir müssen genauer hinschauen, woher die Imame kommen und was sie predigen. Kurz: Wir müssen früher ansetzen. Es ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, aber wir müssen uns dem stellen. Nur wie genau? Es gibt da keine einfachen Lösungen. Es gab beim Bundesinnenministerium einen Expertenrat Politischer Islamismus, der eingestampft wurde. Das war ein Fehler. Wir sollten ihn wiederbeleben, damit sich Experten der wichtigen Frage widmen können, wie Prävention und Bildung besser gelingen können. Wenn jemand zum Messer greift, ist es in den meisten Fällen ja fast schon zu spät. Die Gedanken sind das Gift. Bevor dieses Gift in die Köpfe sickert, müssen wir frühzeitig einschreiten. Und hier sehe ich bislang keine bundesweite Gesamtstrategie. Tun die Islamverbände genug? In Mannheim haben viele Muslime klare Haltung gezeigt, auch morgen gehen wieder viele Menschen auf die Straße. Ein starkes Zeichen des Zusammenhalts! Aber insgesamt ist mir da zu viel Pfeifen im Walde, gerade bei den großen Verbänden. Einige tun sich schon schwer damit, das Wort Islamismus in den Mund zu nehmen. Diese Muster des Wegschauens, des Relativierens kennen wir ja schon von den Reaktionen einiger Verbände nach dem schrecklichen Überfall der Hamas am 7. Oktober. Es braucht daher dringend auch klare Signale der liberalen muslimischen Community. Viele Muslime leiden ja auch darunter, dass Islamisten im Namen ihrer Religion solche abscheulichen Taten begehen. Es braucht eine Brandmauer der Muslime zum Islamismus. Viele Grüne sind dagegen, Gefährder und Straftäter auch wieder in Länder wie Afghanistan abzuschieben. Was sagen Sie? Wir sollten das nicht grundsätzlich ablehnen. Es ist natürlich nicht einfach, weil man über Rückführungsabkommen mit einer Regierung verhandeln muss, und das sind in Afghanistan die islamistischen Taliban . Aber: Ich fände es richtig, wenn das jetzt für derartige brutale und schwere Taten ernsthaft geprüft wird. Es wäre unerträglich, wenn Schwersttäter nicht abgeschoben werden können, nachdem sie ihre Strafe bei uns verbüßt haben. Das wäre den Menschen nach so einer Tat nicht zu vermitteln. Wir müssen aber früher ansetzen. Wie meinen Sie das? Wir müssen weiter daran arbeiten, die irreguläre Migration einzudämmen. Da ist zuletzt schon einiges passiert, die Asyl-Reform auf EU-Ebene zum Beispiel oder national die Bezahlkarte. Und ich finde es erstmal nicht zu beanstanden, wenn nun geprüft wird, ob Asylverfahren in Drittstaaten an den EU-Außengrenzen durchgeführt werden können. Die Drittstaatenverfahren könnten auch helfen, Anreize zur irregulären Einwanderung zu verringern. Wie hilft das gegen islamistische Radikalisierung? Unsere Kommunen kommen bei der Unterbringung, der Versorgung und der Beschulung von Geflüchteten zunehmend an ihre Grenzen. Damit die Integration von Menschen auch gelingen kann, müssen die Zahlen runter. Integrierte Menschen sind weniger anfällig für Radikalisierung. Integrationserfolge sind also nicht nur aus sozialer und wirtschaftlicher Sicht wichtig, sondern auch für unsere Sicherheit. Herr Bayaz, vielen Dank für das Gespräch.

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