„Regelrecht verwahrlost“: Ist der Hamburger Hafen noch zu retten?

„Regelrecht verwahrlost“: Ist der Hamburger Hafen noch zu retten?

Die Jahresbilanz: mau, die Zahl der Container: schrumpfend, die Arbeiter: auf der Zinne. Der Hamburger Hafen, in der DNA der Stadt verankert als unerschöpflicher Quell des Wohlstands, schwächelt. Und dann kommt auch noch der Chef der Riesenreederei Maersk und empfiehlt in einem Interview, die Flächen an den Kais doch lieber für den Wohnungsbau zu nutzen, da hätte Hamburg mehr von. Ist das so? Taugt der Hafen nur noch als Wohngebiet? Die MOPO hörte sich um und sprach mit einem Experten, der sich bei aller Kritik weigert, in den Abgesang mit einzustimmen.

Die Bilanz der HHLA kam vor wenigen Wochen und sie war erschütternd: Der Gewinn vor Steuern ist um rund 50 Prozent auf 109,4 Millionen Euro abgestürzt, das Unternehmen hat noch weniger verdient als die vorsichtige Prognose (115 bis 135 Millionen Euro) erwarten ließ. Wer im Stau vorm Elbtunnel steht, Richtung Norden, der könnte trotzdem denken: Läuft doch. Rechts die himmelhohen Containerstapel, links die Terminals von Eurogate und HHLA und immer mindestens zwei, drei Riesenpötte, die gerade beladen werden. Dazu die malerische Köhlbrandbrücke, der man ihren schlimmen „Betonkrebs“ zumindest von der Autobahn aus nicht ansieht. Wie kommt der Maerskchef dazu, im Interview mit der „Zeit“ den Hafen für halbtot zu erklären?

Blick auf die zukünftige Gewerbefläche „Steinwerder Süd“. Hinter den Hügeln liegt der Oderhafen, der zugeschüttet werden soll
Florian Quandt

Blick auf die zukünftige Gewerbefläche „Steinwerder Süd“. Hinter den Hügeln liegt der Oderhafen, der zugeschüttet werden soll

Was der Stausteher von der A7 aus so sieht, ist tatsächlich nur der brummende Teil des Hafens. „Da gibt es auch ganz andere Flächen“, sagt Norbert Hackbusch, Hafen-Experte der Linken: „Große Teile sind regelrecht verwahrlost.“ Stichwort: Steinwerder. Da klappern zwar die Rollkoffer der Touristen, die freudig zum Kreuzfahrtterminal streben, aber rundum herrscht: Stille. Vom Deck der Traumschiffe etwa guckt man auf Kuhwerder und ein paar 40 Jahre alte Sandhaufen. Vermutlich Hamburgs romantischstes Anglerparadies.

Teile des Hafens sind nahezu verwahrlost

Auf der anderen Seite des Kreuzfahrtterminals soll „Steinwerder Süd“ entstehen, ein ehrgeiziges Projekt, das die Hafenbehörde HPA hier seit Jahren plant. Das Becken des Oderhafens soll verfüllt werden, um Platz zu schaffen für eine neue, 26 Hektar große Gewerbefläche. Heute brauchen Hafenunternehmen weniger Hafenbecken mit Kais und mehr Flächen an Land. Bis 2016 befand sich hier das Terminal für Schwergut der Logistik-Firma Buss.

Luftaufnahme von Steinwerder: Das einstige Buss-Terminal für Schwerlast, das 2016 geschlossen wurde. In der Mitte der Schenkel liegt der Oderhafen
BUSS/hfr

Luftaufnahme von Steinwerder: Das einstige Buss-Terminal für Schwergut, das 2016 geschlossen wurde. In der Mitte der Schenkel liegt der Oderhafen

Das Unternehmen wurde durch die Hafenbehörde HPA mit Millionenzahlungen dafür entschädigt, die Fläche vorzeitig freizumachen für ein weiteres Containerterminal. Es floss dermaßen viel Geld – die Rede damals war von mehr als 120 Millionen Euro Entschädigungsleistungen über zehn Jahre – dass die Linken sogar den Rechnungshof fragten, ob das mit rechten Dingen zugegangen ist.

Es wurde dann aber noch nichts mit dem „Containerterminal Steinwerder“. Hackbusch: „Hamburg hat Jahrzehntelang auf Container gesetzt und keine Ideen entwickelt, was der Hafen jenseits einer Containerschleuse sein kann.“

Visualisierung „Steinwerder Süd“: So könnte die erhoffte Ansiedlung ab 2029 aussehen, nachdem das Hafenbecken zugeschüttet wurde.
© gmsvision GmbH

Visualisierung „Steinwerder Süd“: So könnte die erhoffte Ansiedlung ab 2029 aussehen, nachdem das Hafenbecken zugeschüttet wurde.

Noch im Juni 2023 hieß es seitens der HPA, dass das Planfeststellungsverfahren für „Steinwerder Süd“ im 2. Quartal 2024 abgeschlossen werden soll. Inzwischen wird Ende des Jahres angepeilt, so eine Verzögerung sei aber normal, erklärt die HPA auf Nachfrage. 2029 sollen die Flächen übergeben werden. So jedenfalls die Hoffnung.

Steinwerder Süd soll 2029 fertig werden

Jan Ninnemann, Professor für Logistik an der HSBA Hamburg School of Business Administration und Kenner des Hamburger Hafens, ist zurückhaltend: „Da wartet man seit Jahren auf den ‚Lucky punch‘, also auf eine tolle Ansiedlung mit viel Umschlag und Wertschöpfung, aber bislang gestaltet sich die Suche als schwierig.“

Innovative Unternehmen, die die Energiewende voranbringen, etwa mit grünem Wasserstoff, das wären solche Traummieter für „Steinwerder Süd“. Aber Firmen in dem Bereich, die es nach Hamburg zieht, finden auf der Hohen Schaar mit den dortigen Tanklagern und Pipelines deutlich bessere Rahmenbedingungen vor.

Ausgewiesener Hafenkenner: Jan Ninnemann ist Professor für Logistik an der HSBA Hamburg School of Business Administration
HSBA

Ausgewiesener Hafenkenner: Jan Ninnemann ist Professor für Logistik an der HSBA Hamburg School of Business Administration.

Es fehle die große Vision, nun, da klar ist, dass andere Häfen das große Geld mit Containern machen und Hamburgs Stück vom Kuchen zuletzt immer kleiner geworden ist, sagt Ninnemann: „Da hat Hamburg seine Hausaufgaben nicht gemacht.“

Hamburger Hafen-Experte: „Es fehlt die große Vision“

Den Hausaufgaben-Spruch schreiben Fachleute dem Hafen seit Jahren ins Klassenbuch. Container, immer mehr, auf immer größeren Schiffen, eine ewige Fahrrinnen-Buddelei, das war die Richtung. Und nun das: Rotterdam liegt an der Küste, ist im Umschlag deutlich billiger, weil alles automatisch abläuft – und die Reedereien überlegen, ob die 130 Kilometer die Elbe hoch bis Hamburg sich noch lohnen.

„Kreislaufwirtschaft“ sei so ein Stichwort, sagt Ninnemann. Schrott, aus dem grüner Stahl wird, das Recycling von E-Autobatterien, so etwas könnte ein möglicher Baustein für Steinwerder sein.

Das könnte Sie auch interessieren: Reederei-Chef mit Knallhart-Ansage: „Hamburg ist nicht das natürliche Tor zur Welt“

Und wenn das alles nicht klappt? Ninnemann winkt ab: „Ich werde nicht in den großen Abgesang auf den Hamburger Hafen einstimmen. Hamburg hat viele Stärken, man kommt etwa mit dem Schiff dicht an die Märkte ran, das Containeraufkommen wird sicher wieder zulegen. Hamburg kann sich im Bereich Energiehafen entwickeln. Immer nur zu sagen und zu schreiben, was alles nicht funktioniert, bringt keine Dynamik.“

Und was den ungebetenen Wohnungsbauvorschlag des Maersk-Chefs angeht, den solle man nicht so hoch hängen, empfiehlt der Experte: „Das sehe ich als kleinen Seitenhieb von Maersk, die ja bis 2025 noch in einer Kooperation mit MSC sind. Danach wird sich MSC auf den Standort Hamburg fokussieren, während Maersk am Terminal in Bremerhaven beteiligt ist. Das mit dem Wohnungsbau ist eher der Versuch, einem Konkurrenten ein bisschen Sand ins Getriebe zu streuen.“

„Regelrecht verwahrlost“: Ist der Hamburger Hafen noch zu retten? wurde gefunden bei mopo.de

Please follow and like us:
Pin Share