Sylt-Video: Hysterie, Humor und Wahnsinn – wenn alle „Ausländer raus“ singen

RMAG news

Wem an seiner psychischen Unversehrtheit gelegen ist, der sollte sich von den sozialen Medien derzeit lieber fernhalten. Da macht der Irrsinn nämlich gerade noch absonderlichere Bocksprünge als sowieso schon. Junge türkische Typen erklären auf X „Ausländer raus“ zum Sommerhit 2024, es gibt ein Video einer Frau mit Kopftuch, ein anderes mit einer schwarzen Frau, beide putzen und singen dabei „Deutschland den Deutschen, döp dödö döp“. Es hat keine Woche gedauert und Nazi-Parolen wurden zu Memes ironisiert. Wir erleben einerseits einen hysterischen Vernichtungstaumel gegen ein paar reiche Vollpfosten, andererseits singen türkische Fußballfans „Ausländer raus“ – und Kalifatsanhänger werden mit weniger Furor verdammt als die Sylter Pullover-Gröler. Ein Wahnsinn alles.

Eine Gruppe Schnösel feiert zu Pfingsten auf Sylt, singt zu einem alten Partykracher einen umgedichteten Text – und ist dämlich genug, sich dabei selbst zu filmen. Ohne dieses Video hätten all die Nicht-TikTok-Nutzer überhaupt nicht erfahren, dass es derzeit en vogue ist, auf Partys „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ zu schmettern. Die Empörung über die Klappspaten aus bestem Stall kippte schnell ins Hysterische, die superprivilegierten Söhne und Töchter auf dem Video wurden identifiziert, Hobby-Scharfrichter kontaktierten Arbeitgeber und Unis, forderten die sofortige Kündigung, der Kanzler, der sonst zu nix was sagt, sprach wohlfeil von einer „Schande für Deutschland“, die Bundestagspräsidentin forderte die „Höchststrafe“ – und derweil fluteten immer mehr solcher Videos das Netz.

Vorvergangenes Jahr „Layla“, dieses Jahr halt Nazi-Parolen

Boomer, diese TikTok-fernen Knacker, werden sich an eine Zeit erinnern, als man als Jugendlicher niemals „Deutschland den Deutschen“ gegrölt hätte. Das wäre einem einfach nicht ins Hirn und schon gar nicht über die Lippen gekommen, egal, wie viel Blue Curaçao man intus hatte. Das machten nur Vollassis in bepinkelten Jogginghosen. Und nun gelten Nazi-Parolen plötzlich als augenzwinkernde Witzigkeit. Partyveranstalter müssen einen betagten Technosong verbieten, damit die Zuhörer keine „Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen“ verwenden. Als sowas gilt übrigens nicht nur der Hitlergruß, sondern auch die Grölsätze.

Sind das alles gefestigte Neonazis? Natürlich nicht. Vermutlich wählen die nicht mal alle die AfD, und der verbreitete Eifer, das Netz wie einen mittelalterlichen Pranger zu nutzen, widerspricht dem Rechtsstaat. Die Sylt-Dödel zu bestrafen, ist allein Sache der Gerichte. Aber: Harmlos sind die trotzdem nicht. Alle diese Leute auf den Videos, die tanzen nach der Pfeife von gefestigten Neonazis. Diese Deppen auf den Tanzflächen sorgen dafür, dass sich da was verschiebt beim Anstand, dass da was abstumpft. Vorvergangenen Sommer haben sich alle über „Layla“ aufgeregt, diesen Sommer halt über „Deutschland den Deutschen“. Adolf Hitlers Schlachtruf (im Original hieß es übrigens „Juden raus, Deutschland den Deutschen”) ist nur ein weiterer Partysong, normal, nicht so wild. Die Botschaft: Von Rechts droht keine Gefahr, alles übertrieben, chillt mal. Stimmt nur leider nicht.

Hysterie ist nicht angesagt, Achselzucken auch nicht

Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften prüft den Rausschmiss einer Studentin, die grinsend ihr Gesicht in das Sylt-Video gehalten hat. Das kann man völlig maßlos finden, zumal der Anmelder der Kalifats-Demo, die kürzlich durch St. Georg zog, weiter an der Uni Hamburg studieren darf. Auch ein Student, der in Berlin einen jüdischen Kommilitonen ins Krankenhaus geprügelt hat, wird nicht zwangsexmatrikuliert. Natürlich droht Gefahr auch von den Islamisten und selbstverständlich kann man sich fragen, warum sich alle über das Sylt-Video aufregen, diese Kalifatstypen vom Kanzler aber nicht als „Schande für Deutschland“ bezeichnet wurden.

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Erhellend dazu ist die bisherige Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts in solchen Fällen: Allein die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen reicht nicht für ein Verbot einer Organisation. Hinzukommen müssen „konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheint“. Glücklicherweise gilt die Einführung eines Kalifats in Deutschland als „völlig aussichtslos“. Für die Partei, die sich über die stumpfen Partygröler auf den vielen Videos ins Fäustchen lacht, gilt das leider nicht. Hysterie ist nicht angesagt, Achselzucken aber auch nicht.

Sylt-Video: Hysterie, Humor und Wahnsinn – wenn alle „Ausländer raus“ singen wurde gefunden bei mopo.de

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