„You need help?“, fragt Adam Dzwigala, als der MOPO-Fotograf nach den Aufnahmen seine Ausrüstung zusammenpackt: „Kann ich helfen?“ Typisch für den 28-jährigen Verteidiger: Wenn St. Pauli Hilfe braucht, ist Dzwigala zur Stelle – wie zuletzt bei Union Berlin, als er für den verletzten Eric Smith ins Spiel und so zu seinem Bundesliga-Debüt kam. Mit der MOPO unterhielt sich der Pole über seine Frühzeit als Torjäger, seinen Lieblingsplatz in Hamburg – und wie St. Pauli endlich zu Punkten kommen kann.
MOPO: In der Länderspielpause sei Zeit, an den Dingen zu arbeiten, die noch nicht so gut klappen, haben Sie nach dem 0:1 bei Union Berlin gesagt. Wo besteht der größte Handlungsbedarf?
Adam Dzwigala: Zu den wichtigsten Dingen gehört das Vorwärtsspiel nach der Balleroberung. Meiner Meinung nach haben wir in den ersten Spielen gut verteidigt, die Abwehr war stabil. Zwei unserer Gegentore fielen nach ruhenden Bällen, eines durch einen Konter nach eigener Ecke. Aber nach einem Ballgewinn müssen wir schneller in die gegnerische Hälfte kommen, um mehr Chancen herauszuspielen. Das hat bisher noch nicht so gut funktioniert.
Dzwigala wollte beim DFB-Pokal in Halle nicht jubeln
Beim Pokalspiel in Halle haben Sie selbst ein sehr wichtiges Tor erzielt, aber kaum darüber gejubelt. Warum?
In Halle hatten wir wirklich nicht unseren besten Tag. Als ich das Tor zum 2:2 geschossen hatte, wusste ich, dass noch eine Menge Arbeit vor uns liegen würde. Innendrin war ich glücklich, aber ich habe meine Freude erst mal für mich behalten.
Im letzten Spiel bei Union Berlin hätten Sie mit einem Fallrückzieher fast den Ausgleich erzielt. Der Torhunger hat Sie erfasst, oder?
Was soll ich sagen? In Berlin hätte ich aus meiner Kopfballchance mehr machen können. Der Fallrückzieher war reine Intuition. Ich habe das Tor gar nicht gesehen, sondern nur versucht, den Ball in meinem Rücken möglichst schnell in die richtige Richtung zu schießen.
War die Intuition vielleicht früh antrainiert? Ihre Fußballzeit haben Sie schließlich als Stürmer begonnen.
Mazur Karczew war mein erstes Team im Erwachsenenbereich. Ich war Stürmer und habe eine Menge Tore geschossen, als ich jung war. Danach habe ich bei Jagiellonia Bialystok auch auf der Zehn gespielt. Aber nach einem Trainerwechsel sagte der neue Coach zu mir, dass er in mir einen polnischen Mats Hummels sieht.
Das war Tomasz Hajto, der ehemalige Schalke-Profi und polnische Nationalspieler …
Ja, er machte mich zum Innenverteidiger. Dafür bin ich ihm dankbar, schließlich bin ich als Abwehrspieler beim FC St. Pauli gelandet.
Adam Dzwigala kann Verteidiger und Stürmer spielen
Waren Sie ihm damals auch dankbar? Tore schießen oder auf der Zehn zu spielen, klingt für viele attraktiver.
Das mag sein. Aber vielleicht war für meine Fähigkeiten die Innenverteidigung einfach die beste Position. Es ist ja gut für mich gelaufen, ich war in vielen Vereinen Verteidiger und wurde einmal zur Nationalmannschaft eingeladen. Das zeigt, dass ich auf der richtigen Position gelandet bin.
Nach Ihren ersten Spielen in Bialystok haben Sie als 17-Jähriger gesagt: „Verteidigen ist viel einfacher, denn man hat alles in seinem Blickfeld.“ Ist das immer noch so „einfach“?
Es ist einfacher, wenn du den Ball hast und alle Spieler stehen vor dir. Wenn du im Mittelfeld oder Angriff spielst, sind die Spieler um dich herum verteilt. Aber du hast natürlich auch eine größere Verantwortung am Ball, denn wenn du ihn verlierst, steht keiner mehr hinter dir, der ihn zurückerobern kann.
Weil Sie den Ball nur äußerst selten verlieren, nennt man Sie „Mr. Zuverlässig“. Zufrieden mit der Bezeichnung?
Das ist ja eine positive Sache, also habe ich nichts dagegen, wenn Leute mich so nennen. Aber um ehrlich zu sein: Ich konzentriere mich auf meine Aufgaben. Ich will nicht irgendwelche Namen bekommen, sondern einfach mein Bestes geben.
Nach Ihrem Bundesliga-Debüt in Berlin: Wo liegen die Unterschiede zwischen dem Fußball in Deutschland und in Polen?
Ich spiele schon fast vier Jahre hier, davor ein Jahr in Portugal. Daher liegt meine Zeit in Polen schon etwas zurück und ich glaube, viele Dinge haben sich dort verändert. Zu meiner Zeit spielten die Details nicht so eine große Rolle, es wurde nicht jeder einzelne taktische Schritt besprochen. In Portugal gab es mehr Individualisten. Schnelle Flügelspieler zum Beispiel, die ein Spiel fast im Alleingang entscheiden konnten. In Deutschland ist fast jedes Spiel eng und umkämpft. Auch weil die Mannschaften so ausgeglichen sind, spielt Taktik eine große Rolle.
St. Paulis neues System war für Dzwigala eine Umstellung
Stichwort schnelle Flügelstürmer: St. Pauli stieg mit einer 3-4-3-Formation auf, in der Bundesliga bevorzugt der neue Trainer Alexander Blessin eine 3-5-2-Aufstellung ohne Flügelstürmer. Wie schwierig gestaltet sich die Umstellung?
Natürlich ist das eine Umstellung. Wir arbeiten jetzt zwei Monate daran und werden von Tag zu Tag besser. Ich denke, wir stehen immer noch gut in der Abwehr, wie man auch in den Vorbereitungsspielen gesehen hat. Unsere Gegner haben nicht viele große Chancen. Wir können uns aber darin verbessern, uns mehr eigene Chancen zu erarbeiten.
Nach vielen Vereinswechseln im vergangenen Jahrzehnt sind Sie Ende 2020 zum FC St. Pauli gekommen – und inzwischen der dienstälteste Spieler im Kader. Hätten Sie das damals gedacht?
Erwartet habe ich das nicht. Fußball ist unvorhersehbar, du weißt nie, was als nächstes passiert. Deshalb bin ich einfach glücklich, schon so lange hier zu sein.
Wie ist das damals abgelaufen? Nach Ihrem Jahr bei Desportivo Aves waren Sie einige Monate vereinslos. Ein Engagement bei Glasgow Rangers ist nicht zustande gekommen, Sie waren ein arbeitsloser Fußballprofi.
In Portugal habe ich meinen Vertrag aufgelöst, weil es finanzielle Probleme gab. Der Klub wurde in die Dritte Liga zwangsversetzt und alle Spieler sind gegangen. Das war eine schwierige Zeit, weil ja auch noch Corona war. Da war es nicht einfach, einen neuen Verein zu finden. Ich habe mich beim Viertliga-Klub Victoria Sulejówek fitgehalten, in dem mein älterer Bruder Jan spielt. Der Verein hat gut trainiert und mir sehr geholfen, die fünf Monate ohne Fußball zu überstehen. Deshalb war ich bereit, als ich bei St. Pauli eine Woche vorspielen sollte.
Gab es alternative Pläne, falls es mit der Rückkehr ins Fußballgeschäft nicht geklappt hätte?
Nein. Ich musste einfach geduldig sein. Ich habe immer an mich geglaubt und gewusst, dass die richtige Gelegenheit kommen würde.
St. Pauli-Profi Dzwigala fühlt sich in Hamburg sehr wohl
Sie haben Hamburg als „zweite Heimat“ bezeichnet, leben mit Ihrer Frau und Ihren beiden hier geborenen Kindern hier. Haben Sie einen Lieblingsplatz in der Stadt?
Mit meinen Kindern gehe ich oft auf einen neu eröffneten Spielplatz. Mein eigener Lieblingsort ist das Niendorfer Gehege. Wir verbringen die meiste Zeit dort, es ist schön und so nahe am Trainingsgelände. Nach den Einheiten kann ich mit meiner Familie spazieren gehen und die Natur genießen.
Viele Hamburger sagen sich und ihrer Umgebung regelmäßig, dass Hamburg die schönste Stadt der Welt sei. Aber was ist eigentlich die schönste Stadt in Polen?
Ich habe eine Schwäche für Warschau, wo ich geboren wurde und wo meine Familie lebt. Viele Polen halten Breslau für die schönste Stadt. Danzig gehört wohl auch in die Top Drei, eine sehr interessante Stadt, in der ich drei Jahre für Lechia gespielt habe. Aber es gibt viele schöne Städte in Polen.
Florian Quandt
Adam Dzwigala beim Interview mit der MOPO an der Kollaustraße
Ihr Vater Dariusz hat 268 Mal in der polnischen Ekstraklasa gespielt und auch in der polnischen Nationalmannschaft …
Ja, aber für die Nationalmannschaft nur im Futsal. Während seiner Fußballerkarriere hat er in den Pausen Futsal gespielt. Deshalb wurde er dort in die Nationalmannschaft berufen, obwohl er den Sport eigentlich nie professionell betrieben hat. Aber er ist richtig gut darin.
Haben Sie jemals Futsal gespielt?
Nur als Kind. Mein Vater war damals mein Trainer und ihm gefiel es, deshalb haben wir es damals oft gespielt.
Auch Dzwigalas Kinder könnten mal Fußballprofis werden
Ihr Vater war Fußballprofi, Sie sind es – gibt es schon fußballerische Pläne für den eigenen Nachwuchs?
Nein. Meine Tochter ist drei, mein Sohn noch nicht ganz eins. Aber mein Vater hat schon angekündigt, dass er meinen Sohn trainieren wird, wenn er größer ist.
Als Verteidiger oder als Stürmer?
Gute Frage. Ich habe erst mal gesagt: Ganz ruhig, keine Eile. Wir werden sehen, was wird. Aber ich liebe Fußball. Ganz sicher werde ich meinen Kindern beibringen, wie man Fußball spielt. Und wenn es ihnen gefällt …
2018 standen Sie im Kader der polnischen Nationalmannschaft, kamen aber nicht zum Einsatz. Steigen mit dem Aufstieg in die Bundesliga auch die Hoffnungen auf eine erneute Berufung?
Natürlich ist das ein Traum. Aber ich weiß, dass es nicht hilft, darüber lange nachzudenken. Wenn ich mich auf meine Aufgaben fokussiere, werde ich bei St. Pauli Einsatzzeit bekommen.
Blicken wir in die nähere Zukunft: Wird St. Pauli in Augsburg erstmals punkten?
Das wird ein ganz wichtiges Spiel, Augsburg hat zuletzt 0:4 verloren. Wir werden das genau analysieren und unser Bestes tun, um zu gewinnen.
Wie sich St. Pauli-Profi Dzwigala vom Stürmer zum Abwehr-Boss entwickelte wurde gefunden bei mopo.de