Das Geheimnis des Eimsbüttler Bunkers: Seit 1945 galt „Zutritt verboten“ – bis jetzt

Das Geheimnis des Eimsbüttler Bunkers: Seit 1945 galt „Zutritt verboten“ – bis jetzt

Die Decke besteht aus zwei Meter dickem, mit Eisen bewehrtem Beton. Die Außenwände haben eine Stärke von 1,10 Meter. Und trotzdem: Wenn draußen die Bomben fielen, hat das Gebäude gebebt und gezittert. Die Menschen, die während der Luftangriffe Schutz im Bunker suchten, kauerten auf Holzbänken. Manche kreischten vor Angst, andere weinten. Die meisten aber waren mucksmäuschenstill – sie lauschten darauf, ob die Einschläge näher kamen oder sich entfernen und beteten um ihr Leben.

Wo wir sind? Im Hochbunker an der Eimsbütteler Straße 36 (Eimsbüttel) – einem von rund 150 Hochbunkern, die während des Zweiten Weltkriegs in Hamburg errichtet wurden. Die MOPO-Reporter gehören seit 1945 zu den Allerersten, die „Bunker 036“ – so die offizielle Bezeichnung – besuchen dürfen. Das Gebäude war all die Jahrzehnte gewerblich genutzt, diente erst einem feinmechanischen Betrieb und zuletzt einem Weinhandel als Lager. Besichtigungen waren daher nicht möglich.

Spuren deuten darauf hin, dass in diesem Bunker irgendwann mal eine Party gefeiert wurde.
Olaf Wunder

Spuren deuten darauf hin, dass in diesem Bunker irgendwann mal eine Party gefeiert wurde.

Dass sich das geändert hat, ist das Verdienst von Sandra Latussek, die eigentlich Architektin ist, sich aber inzwischen ganz der Hamburger Geschichte verschrieben hat. Die 50-Jährige veranstaltet historische Stadtführungen. Bunkertouren sind ihre Spezialität. Das Verborgene, Dunkle, Alte und Geheimnisvolle habe es ihr angetan, sagt sie.

Bunker an der Eimsbütteler Straße wurde verkauft

Als sie vor ein paar Wochen hörte, dass der Bunker an der Eimsbütteler Straße verkauft worden sei und inzwischen leersteht, habe sie den neuen Besitzer kontaktiert. „Meine Hoffnung, dass der uns die Genehmigung erteilt, dort Führungen zu veranstalten, war nicht sehr groß. Umso überraschter war ich, als er nur mit den Achseln zuckte und sagte: ,Warum nicht. Viel Spaß! Hier sind die Schlüssel.“

An der ersten Besichtigung des Bunkers seit Kriegsende nimmt außer Mitgliedern der Eimsbütteler Geschichtswerkstatt auch die 88-jährige Christa Reimann teil. Sie ist eine Zeitzeugin, hat über ihre Kindheit in der NS-Zeit sogar ein Buch geschrieben: „Lauschgesichter“ (Verlag awsLiteratur, 2019, 9 Euro) heißt es. „In Luftschutzbunkern habe ich als Kind viele furchtbare Nächte verbracht“, sagt sie. „Es ist heute das erste Mal nach acht Jahrzehnten, dass ich wieder ein solches Bauwerk betrete.“ 

Während der Bombenangriffe vor 80 Jahren liefen Menschen diese Treppen hoch, um den für sie vorgesehenen Platz im Bunker einzunehmen.
Olaf Wunder

Während der Bombenangriffe vor 80 Jahren liefen Menschen diese Treppen hoch, um den für sie vorgesehenen Platz im Bunker einzunehmen.

Tür auf, Taschenlampe an und los. Abgesehen vom Graffiti an den Wänden und den vielen leeren Flaschen und Scherben, die auf Partys hindeuten, die hier mal gefeiert wurden, ist der Bunker in erstaunlich gutem Zustand. Ein paar Wände sind nachträglich eingezogen worden, ansonsten ist alles im Original erhalten. Die schummrige Beleuchtung trägt dazu bei, dass es die Besucher, die durch die Gänge schleichen, schon ein bisschen gruselt.

Im Erdgeschoss gibt es einen Raum, der völlig unter Wasser steht – vermutlich befand sich hier ein riesiger Generator, der die Lüftungsanlage mit Strom versorgte. An den Wänden sind überall Klappen zu sehen, die an Bullaugen erinnern – sie dienten der Belüftung. An manchen Stellen finden wir hingekritzelte Worte – Namen, Zahlen, Notizen, die für uns keinen Sinn ergeben. Ob sie noch aus den Bombennächten stammen?

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Sandra Latussek versorgt uns mit Fakten, erzählt, dass Diktator Adolf Hitler am 10. Oktober 1940 den Befehl erteilte, dass in 82 deutschen Städten – darunter Hamburg – sofort mit der Errichtung von Luftschutzbauwerken zu beginnen sei. Die Nazis sprachen vom „Führer-Sofortprogramm“.

Alte Beschriftung an den Treppenaufgängen: „Nicht stehen bleiben. Weitergehen.“
Olaf Wunder

Alte Beschriftung an den Treppenaufgängen: „Nicht stehen bleiben. Weitergehen.“

Für den Bunker, in dem wir uns befinden, wurden 218 Tonnen Eisen und 4551 Kubikmeter Beton verbaut. Über einer Grundfläche von 174 Quadratmetern waren in den fünf Geschossen 648 Liege- und 139 Sitzplätze untergebracht. Vollendet wurde das Bauwerk zwar erst im März 1944, aber bereits ab dem 12. Juli 1943 wurde der Bunker bei Luftangriffen genutzt.

Wir setzen unseren Rundgang fort, gehen dieselben rohen Betontreppen hoch, die vor 80 Jahren die Menschen hochliefen, um so schnell wie möglich den ihnen zugedachten Platz zu erreichen. Der Schein unserer Taschenlampe fällt auf alte Schrift an den Wänden. „Nicht stehen bleiben. Weitergehen“ oder: „Rauchen nicht gestattet“. Anderswo steht: „Wir spucken nicht.“ Was wohl damit gemeint ist? Ob sich das an Menschen richtete, die Kautabak kauten – und ihn auf keinen Fall einfach auf den Boden spucken sollten?

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Wie sie als Kind damals empfunden hat, im Bunker zu hocken und nicht zu wissen, ob sie jemals wieder rauskommt, das wollen wir von Christa Reimann wissen, der Zeitzeugin. Dann beginnt sie zu erzählen. Es ist die Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943.

Zeitzeugin Christia Reimann (88) hat ein Buch über ihre Kindheit geschrieben – und darin erzählt sie auch von den Nächten im Luftschutzbunker.
Olaf Wunder

Zeitzeugin Christia Reimann (88) hat ein Buch über ihre Kindheit geschrieben – und darin erzählt sie auch von den Nächten im Luftschutzbunker.

Christa Reimann erinnert sich daran, wie die Sirenen zu heulen begannen und es mit einem Mal ganz hektisch wurde zu Hause. „Meine Mutter rief mir zu: Hilf Deinem kleinen Bruder beim Anziehen, schnell! Dann sind wir losgelaufen. Meinen Plüsch-Affen hatte ich in der linken, meinen Bruder an der rechten Hand. Auf dem Weg zum Bunker habe ich am Nachthimmel das Licht der Scheinwerfer gesehen. Ich habe meiner Mutter zugerufen: Mama, guck mal, gleich kommen die Flieger, und dann werden sie von der Flak abgeknallt. Mutter antwortete: ,Komm jetzt Kind, guck nicht so viel, schnell zum Bunker.‘“

Die Zeitzeugin kann noch immer das Geräusch der Einschläge hören

Noch heute kann Christa Reimann das dumpfe Geräusch der Einschläge hören. Sie erinnert sich, wie der Kalk von den Wänden rieselte, wie die Decke hin und her schwankte, wie sie ihre Hände auf die Augen presste und sich an die Mutter klammerte. „Es soll aufhören! Aufhören!!“

Für die 88-Jährige ist der Besuch des Bunkers äußerst aufwühlend. „Ich habe gedacht, das bringst du schon“, sagt sie, schüttelt dann aber mit dem Kopf. „Ich schaffe das nicht. Ich habe schon beim Betreten des Bunkers gemerkt, dass mein Herz schneller und schneller schlägt, mein Blutdruck hoch geht.“ Kaum hat Christa Reimann das gesagt, macht sie auch schon auf dem Absatz kehrt und geht. Die Besichtigung ist für sie zu Ende. Sie flieht regelrecht.

Draußen sagt sie, dass sie hyperventiliert habe. „In mir stieg die Angst hoch, gleich explodieren wieder Bomben.“ Und dann sagt sie noch: „Eins ist sicher: Ich besichtige nicht noch einmal einen Bunker..“ 

Sie veranstaltet die Bunkerführung: Die Architektin Sandra Latussek (50).
Olaf Wunder

Sie veranstaltet die Bunkerführung: Die Architektin Sandra Latussek (50).

Übrigens: Als die damals Achtjährige am Morgen nach dem Luftangriff mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrer Großmutter den Bunker wieder verließ, konnte sie in ihre Wohnung zurückkehren. Die britischen Bomberpiloten hatten in der fraglichen Nacht Eimsbüttel verschont, dafür aber in Hamm, Hammerbrook, Eilbek und Rothenburgsort einen regelrechten Feuersturm entfacht, der mindestens 30.000 Menschen das Leben kostete.

„Mein Großvater ist am Tag danach bis nach Hammerbrook gelaufen, um sich selbst davon zu überzeugen, was geschehen war“, erzählt Christa Reimann und wird fast blass. „Er kam mit ganz versengten Augenbrauen zurück. Es sagte, es sei furchtbar gewesen, was er gesehen habe.“

Ach ja, das Haus in Rotherbaum, in dem Christa Reimann als Kind wohnte – Laufgraben 25, so die Adresse – blieb bis kurz vor Kriegsende von den Bomben weitgehend verschont. Dann aber, Ende März 1945, fünf Wochen bevor alles vorbei war, erhielt es einen Volltreffer und fiel in sich zusammen.

Lüftungsklappen, die wie Bullaugen aussehen, befinden sich überall an den Betonwänden.
Olaf Wunder

Lüftungsklappen, die wie Bullaugen aussehen, befinden sich überall an den Betonwänden.

Christa Reimann sagt: „Als wir an dem Morgen danach aus dem Bunker kamen, gehörten auch wir zum Heer der Ausgebombten.“ 

Info: Info: Sandra Latussek (www.vergangenundvergessen.de) bietet nur noch einmal eine Führung durch den Bunker an, und zwar am Freitag, 14. Juni, um 15.30 Uhr. Der neue Besitzer will das Innere des denkmalgeschützten Bauwerks umgestalten, außerdem soll auf der unbebauten Fläche hinter dem Bunker ein Wohnhaus entstehen.

Nirgendwo gab es im Zweiten Weltkrieg mehr Bunker als in Hamburg – diese Typen gab es

In Hamburg wurden im Zweiten Weltkrieg mehr Bunker errichtet als in jeder anderen Stadt. Schätzungen gehen von 1200 Bunkern und bunkerähnlichen Schutzräumen aus, von denen die meisten unterirdisch angelegt waren. Das sind die verschiedenen Bunkertypen, die es gab:

Tiefbunker: Bombensichere Tiefbunker waren vergleichsweise teuer in der Herstellung und wurden vor allem in der Innenstadt gebaut. Der größte Tiefbunker in Hamburg lag seinerzeit unter dem Spielbudenplatz in St. Pauli und war für 5000 Menschen ausgelegt – heute wird er als Tiefgarage genutzt. Weitere befinden sich nahe dem Hauptbahnhof (Tiefbunker Steintorwall und Hachmannplatz), in den Wallanlagen sowie beim Bahnhof Berliner Tor (Tiefbunker Berlinertordamm).

Hochbunker (oder Bunkerhäuser): Es handelte sich standardisierte Typenbauten auf quadratischer oder rechteckiger Grundfläche. Der Bunker an der Eimsbütteler Straße gehört zu dieser Gattung.

Rundbunker: Es handelte sich um oberirdische oder teilversenkte, eingeschossige Bauwerke, die in großer Zahl vorwiegend in den dünner besiedelten Außenbezirken der Stadt errichtet wurden, zum Beispiel in Finkenwerder. Es gab sie in unterschiedlichen Größen (für 25 bis 100 Personen) und Ausführungen: Die bombensicheren Varianten besaßen eine Außenwandstärke von 1,10 Meter und eine Deckenstärke von 1,40 Meter und waren auch für einen längeren Aufenthalt ausgestattet.

So sahen Röhrenbunker aus. Unser Foto ist im Bunkermuseum in Hamburg-Hamm entstanden.
Markus Scholz

So sahen Röhrenbunker aus. Unser Foto ist im Bunkermuseum in Hamburg-Hamm entstanden.

Röhrenbunker: Der weitaus häufigste Bunkertyp wurde vor allem in dichtbebauten innerstädtischen Wohngebieten in Hinterhöfen, Parks oder anderen Freiflächen in der Nähe von Wohnhäusern errichtet. Mit einer Wandstärke von rund einem Meter galten sie nicht als bombensicher, sondern boten lediglich Schutz vor umherfliegenden Splittern und Trümmerteilen. In einem Vier-Röhrenbunker in Hamm befindet sich heute Bunkermuseum Hamburg. 

Davon gibt es noch etliche im Stadtgebiet: Bunker vom Typ „Zombeck“.
Volker Schimkus

Davon gibt es noch etliche im Stadtgebiet: Bunker vom Typ „Zombeck“.

Zombeck-Türme: Von 1939 bis 1941 wurden insgesamt elf Luftschutztürme der Bauart „Zombeck“ in Hamburg errichtet, von denen heute noch neun existieren. Paul Zombeck war der Konstrukteur – daher der Name. Die Türme stehen zumeist in der Nähe von Bahnhöfen oder Brücken und waren vor allem für den kurzfristigen Aufenthalt von Zugreisenden und Passanten gedacht. Jeder Turm war für 600 Personen ausgelegt.  

Der Flakturm am Heiligengeistfeld. Auf dem Dach standen Flugabwehrkanonen. Im Innern suchten die Anwohner hinter meterdicken Mauern Schutz. Mittlerweile sieht der Bunker nicht mehr so aus. Er wurde begrünt und aufgestockt.
dpa

Der Flakturm am Heiligengeistfeld. Auf dem Dach standen Flugabwehrkanonen. Im Innern suchten die Anwohner hinter meterdicken Mauern Schutz. Mittlerweile sieht der Bunker nicht mehr so aus. Er wurde begrünt und aufgestockt.

Flaktürme: In Hamburg gibt es zwei dieser riesigen Luftabwehr- und Luftschutzbauten. Der eine Flakturm befindet sich am Heiligengeistfeld auf St. Pauli, der andere in Wilhelmsburg. Auf dem Dach dieser Hochbunker befanden sich Flugabwehrgeschütze. Die Flaktürme konnten die militärischen Anforderungen nur teilweise erfüllen, waren aber als Schutzraum für die Bevölkerung und in propagandistischer Hinsicht umso erfolgreicher, da sie als nahezu unzerstörbare Festungen ausgelegt waren. 

Das Geheimnis des Eimsbüttler Bunkers: Seit 1945 galt „Zutritt verboten“ – bis jetzt wurde gefunden bei mopo.de

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