HVV knallhart: Der Kampf ums Betteln in Hamburgs Bahnen

HVV knallhart: Der Kampf ums Betteln in Hamburgs Bahnen

Das Bettelverbot in Hamburgs U- und S-Bahnen erregt die Gemüter: Seit Mai geht der HVV mit verstärkten Kontrollen gegen Menschen vor, die um Almosen bitten. Zur Begründung gab das Unternehmen eine hohe Anzahl von Beschwerden von Seiten der Fahrgäste an. Dagegen formiert sich nun Widerstand. Eine Online-Petition, die ein Herz für Arme fordert, erlebt rasanten Zulauf.

Peter Hagemann kann es kaum fassen. Innerhalb einer Woche ist seine Online-Petition mit dem Titel „Stoppt das Vorgehen des HVV gegen bettelnde Menschen!“ bei change.org von knapp 400 auf fast 12.000 Unterschriften angewachsen. Jeden Tag kommen neue dazu.

„Das zeigt, dass es eine ganze Menge Menschen in unserer Stadt gibt, für die Betteln Teil unserer Realität ist und die den HVV daher bitten, sein Vorgehen zu überdenken“, sagt der 58-jährige Projektleiter eines großen Hamburger Konzerns. Hagemann hat zum ersten Mal in seinem Leben eine Petition gestartet.

Online-Petition gegen Bettelverbot: Tausende Hamburger haben ein Herz für Obdachlose

Tatsächlich begründen viele der Unterzeichner in den Kommentaren der Petition ihre Unterstützung genau so: „Du musst nicht jedem helfen und auch nicht immer. Doch solltest du niemanden die Chance verwehren Hilfe durch eine andere Hand zu erhalten. An irgendeinem Punkt in ihrem Leben waren diese Menschen wie wir“, schreibt eine Frau namens Lea.

„Menschen, die betteln, tun das nicht gerne. Es ist eine große Überwindung für sie. Hinter jedem bettelnden Menschen steht ein Schicksal“, eine Karoline. „Ich finde es beschämend, wie viel mehr auf das ‚Gestörtsein‘ mancher Fahrgäste eingegangen wird, statt die steigende Not vieler Menschen zu sehen“, findet Christine.

Er startete die Online-Petition gegen das Bettelverbot: Peter Hagemann (58).
hfr

Er startete die Online-Petition gegen das Bettelverbot: Peter Hagemann (58).

Mitte Oktober will Hagemann seine Unterschriftenliste, die bis dahin auf ein Vielfaches angewachsen sein dürfte, dem HVV übergeben – und damit ein Zeichen setzen: „Ich möchte, dass ein Prozess in Gang gesetzt wird und über Lösungen nachgedacht wird.“

Beim Obdachlosen-Magazin „Hinz & Kunzt“ beobachtet man das Geschehen ganz genau. Zumal es in den vergangenen Wochen viele verzweifelte Rückmeldungen aus der Szene gab – von Bedürftigen, die von Kontrolleuren in der U-Bahn beim Betteln erwischt und ein Bußgeld von 40 Euro aufgebrummt nekamen.

Verstärkte Kontrollen: HVV hat schon jetzt 1426 Bußgelder verhängt – mehr als im gesamten vergangenen Jahr

„Arme Menschen abkassieren? Das ist doch Wahnsinn!“, schimpft Geschäftsführer Jörn Sturm. Denn die Betroffenen hätten ja nun mal kein Geld und würde so nun darüber hinaus auch noch mit Schulden belastet. „So werden die Menschen nur noch weiter in die Armut getrieben.“

Jörn Sturm, Geschäftsführer von „Hinz&Kunzt“, im MOPO-Interview über die Sinnlosigkeit der Vetreibung von Obdachlosen.
Mauricio Bustamante

Jörn Sturm, Geschäftsführer von „Hinz&Kunzt“, im MOPO-Interview über die Sinnlosigkeit der Vertreibung von Obdachlosen.

Der HVV bestätigt das harte Vorgehen. Während im vergangenen Jahr insgesamt 1337 Strafen verhängt worden waren, seien es in diesem Jahr allein bis Ende August schon 1426 gewesen. „Die Durchsetzung der Beförderungsrichtlinien ist weiterhin eine Schwerpunktaufgabe der Hochbahn-Wache“, sagt der Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum. Geltende Regeln müssten eingehalten werden und dazu gehöre auch das seit Jahrzehnten geltende Bettelverbot. Zuvor hatte das Unternehmen das Verbot auch damit begründet, dass sich viele Fahrgäste von Bettelnden gestört und bedrängt fühlten.

„Hinz & Kunzt“-Geschäftsführer Jörn Sturm sieht das anders: „Natürlich darf niemand bedrängt werden. Doch das gilt ja ganz grundsätzlich und hat mit dem Betteln an sich erstmal nichts zu tun. Im öffentlichen Raum müssen wir alle aufeinander Rücksicht nehmen und trotzdem muss Betteln erlaubt sein.“ Schließlich sei der öffentliche Raum die einzig verbliebene Einnahmequelle für diese Menschen. Vertreibung sei keine Lösung für das Problem.

„Armut gehört ins Stadtbild. Das muss die Gesellschaft aushalten“, betont Sturm. Jede Art von Kontrolle oder Verdrängung mache das Leben auf der Straße noch schwieriger. Auch die Begründung der Hochbahn lässt Sturm nicht gelten: „Ob sich jemand bedrängt fühlt, ist ein subjektives Gefühl. Wie die Hochbahn auf solche Beschwerden reagiert, ist jedoch eine politische Frage.“ Es sei eine Unternehmensentscheidung, ob man ordnungspolitische Maßnahmen einführe oder ob man (menschliche) Lösungen finde.

Magazin „Hinz & Kunzt“ bietet der Hochbahn Gespräche an

Auch die „Hinz & Kunzt“-Verkäufer seien betroffen, weil sie nicht durch die U-Bahnen ziehen dürften. „Dabei wären sowohl die Züge als auch die Stationen für unsere Verkäufern attraktive Verkaufsplätze“, sagt Sturm.

Der „Hinz & Kunzt“-Geschäftsführer bietet dem HVV das Gespräch an. „Unsere Verkäufer haben in der Regel feste Verkaufsplätze, zum Beispiel vor Supermärkten. Wir sorgen dafür, dass dort nichts passiert, was die Filialleiter nicht möchten.” Das gleiche wäre auch an den Stationen der Hochbahn denkbar. „Solche Gespräche könnten wir auch mit dem HVV führen. Hinz & Kunzt bietet sich als Mittler an“, so Sturm.

Die Online-Petition wird inzwischen auch von der Lobbygruppe gegen Verdrängung und Diskriminierung (LoVD) unterstützt. In einem Offenen Brief an den HVV heißt es dazu: „Wir fahren gerne mit unseren öffentlichen Verkehrsmitteln und zeigen Anerkennung für Ihr Engagement, das Fahren durch Hamburg barrierearm und angenehm zu gestalten. Dennoch fordern wir: Das darf nicht auf Kosten der zutiefst prekarisierten Menschen unserer Stadtgesellschaft geschehen. Wir sagen Nein zum Bettelverbot.”

HVV knallhart: Der Kampf ums Betteln in Hamburgs Bahnen wurde gefunden bei mopo.de

Please follow and like us:
Pin Share