Landtagswahlen-Ergebnisse: Droht die Trumpisierung Deutschlands?

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Die komplizierten Ergebnisse aus Brandenburg, Thüringen und Sachsen bestätigen einen Trend, der an die USA erinnert. Obwohl die Deutschen zwischen vielen Parteien entscheiden können, wählen sie immer häufiger nach Freund-Feind-Schema. Bastian Brauns berichtet aus Washington Erst die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, jetzt zeigt es sich auch in Brandenburg: Mit AfD (Alternative für Deutschland) und BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) gewinnen zwei populistische Parteien zusammen jeweils fast die Hälfte der abgegebenen Stimmen. Das ist für sich genommen schon eine bemerkenswerte Entwicklung in der deutschen Geschichte. Zugleich zerfallen geradezu die Parteien der demokratischen Mitte. Denn jeweils nur noch eine moderate Partei bekam ein starkes Votum. In Brandenburg war das die SPD . In Sachsen und Thüringen war es die CDU . Dieser Effekt ließ sich schon 2021 bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt beobachten. Damit entwickelt sich Deutschland, obwohl es ein Mehrparteiensystem besitzt, zu einem Land, das zunehmend aus zwei gegensätzlichen Blöcken besteht: ein populistischer aus AfD und BSW, der bei Fragen der Migration oder des Verhältnisses zu Russland viele Schnittmengen teilt. Und ein anderer aus CDU, SPD, FDP , Grünen und Teilen der Linken, der ein moderates, demokratisches Lager bildet, das sich politisch vorrangig darüber einig zu sein scheint, sich dem Extremismus entgegenzustellen. In Deutschland hält damit eine extreme Polarisierung Einzug, wie sie bislang gerade in den USA zu beobachten war. Dabei unterstellen die politischen Lager jeweils dem anderen, das Land zugrunde richten zu wollen. In den USA ist diese Dichotomie im politischen System mit seinen zwei Parteien angelegt. Es lädt buchstäblich dazu ein, in einem simplen Freund-Feind-Schema, Republikaner gegen Demokraten zu denken. Ausgerechnet in einer Phase von immer größerer Parteienzersplitterung in Deutschland – noch nie gab es so viele verschiedene Parteien in den Parlamenten – verfestigt sich eine Blockbildung, bei der politische Nuancen auf der Strecke bleiben. Acht Entwicklungen, die zu dieser Amerikanisierung der deutschen Politik geführt haben. 1. Vereinfachung komplexer Wahlmöglichkeiten im Dauerkrisenmodus Wählerinnen und Wähler neigen in Mehrparteiensystemen dazu, Entscheidungen mittels einer “Gut gegen Böse”-Dichotomie zu vereinfachen. Besonders, wenn sie sich mit emotional aufgeladenen Themen konfrontiert sehen. Dazu gehören Migration, nationale Identität, wirtschaftliche Ungleichheit, Krieg und Frieden oder, wie zu Corona-Zeiten, Lockdown ja oder nein. Zwar hat sich in Deutschland über die vergangenen Jahrzehnte anders als in den USA ein breites Spektrum politischer Parteien ausgebildet. Dennoch scheint die Menschen zunehmend ein Gefühl zu beherrschen, als gäbe es im Grunde nur zwei Lager: jene, die den Status quo mitsamt dem gewachsenen Rechtsstaat verteidigen wollen. Und jene, die mit radikalen und extremen Forderungen eine Abkehr vom bisherigen Vorgehen oder sogar vom System fordern. Unterstützt wird dieses vorherrschende Gefühl von einer starken Zunahme populistischer Rhetorik. Das Ganze in einem Zustand, der fast nur noch als Dauerkrise wahrgenommen wird. Ähnlich wie in den USA scheinen die verschiedenen politischen Strömungen, die es innerhalb der Demokraten und Republikaner gibt, unter zwei größeren Labels zu verschwimmen: den Demokratie-Verteidigern und den Demokratie-Feinden. Wobei die jeweilige Seite der anderen diese Etiketten wechselseitig verpasst. 2. Wahrgenommene Bedrohungen und Tribalismus Populistische Parteien wie die AfD oder das BSW greifen in Deutschland Gefühle der Entfremdung, Angst vor Krieg oder Verlust nationaler Identität auf und schaffen bewusst ein existenzielles “Wir gegen die”-Denken. Das ist ein Phänomen, das hinlänglich als Tribalismus, also als eine Art archaisches Denken in Stammeszugehörigkeiten, beschrieben wird. Dieser Tribalismus führt dazu, dass die Wählerinnen und Wähler eben nicht nur in den USA, wo es ohnehin nur zwei aussichtsreiche Auswahlmöglichkeiten gibt, nuancierte und komplexe politische Positionen aufzugeben scheinen. Man schließt sich eher einem Block an, von dem man denkt, dass er die eigenen Werte verteidigt und den wahrgenommenen existenziellen Bedrohungen entgegentritt. In den USA zwingt das politische System die Menschen geradezu, sich mit einem der beiden Lager zu identifizieren. Jetzt aber scheint dieses Denken in Anbetracht der empfundenen Bedrohungen auch in Deutschland angekommen zu sein. Ein Indikator dafür: Der amtierende brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) knüpfte rhetorisch Sieg oder Niederlage gegen die AfD an seine eigene politische Zukunft. Es sollte nicht mehr um politische Unterschiede zwischen den Parteien der Mitte gehen, sondern um etwas Wichtigeres, nämlich den populistischen Feind, die AfD. Das Resultat dieser geliehenen Anti-Stimmen: FDP und Grüne schieden aus dem Parlament aus. Die CDU fuhr das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte in Ostdeutschland ein. 3. Medieneinfluss und Echokammern Verstärkt wird dieses Freund-Feind-Denken nicht nur durch Politiker. Die AfD diffamiert etwa seit Jahren ihre politischen Gegner kollektiv als System- oder Altparteien und bezeichnet die Medien als parteiische Lügenpresse. Unterstützt wird das Schwarz-Weiß-Denken durch die Struktur der Neuen Medien. Insbesondere soziale Plattformen mit ihren Algorithmen, aber auch alternative Medienkanäle oder Influencer fördern die bewusste Polarisierung, indem sie extreme Standpunkte verstärken und die Sichtbarkeit moderater oder nuancierter Stimmen gezielt verringern. In den USA ist diese Dynamik schon lange zu beobachten, und im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf ganz besonders. So begünstigt Elon Musk als reichster Mann der Welt und Besitzer der Plattform X nachweislich die Reichweite rechtsextremer Accounts. So entsteht auf der Gegenseite wiederum der Eindruck bedrohlicher Übermacht, die vereint bekämpft werden muss. Diese Echokammern werden auch in Deutschland immer ausgeprägter. In den östlichen Bundesländern verfangen populistische Erzählungen über wirtschaftliche und kulturelle Missstände offenbar besonders leicht. Das mag unter anderem mit der Demografie in bestimmten Landstrichen zu tun haben, die seit Jahrzehnten von Abwanderung betroffen sind. Ähnliches ist in Staaten des Mittleren Westens der USA zu beobachten, wo Donald Trump seine größten Erfolge feiern kann. Wie sehr dabei auch noch externe Feinde der Demokratie in den sozialen Medien mitmischen, wird immer wieder am Beispiel Russland deutlich. Zuletzt deckten unter anderem die US-Behörden und Medien auf, wie Russland versucht, die öffentliche Meinung in Amerika und in Deutschland zu manipulieren . 4. Wirtschaftliche Ungleichheiten und regionale Unterschiede Sowohl in den USA als auch in Deutschland gibt es starke wirtschaftliche, regionale und strukturelle Ungleichheiten, die eine Polarisierung weiter anheizen. In Ostdeutschland, wo viele Regionen noch immer unter den Folgen des wirtschaftlichen Umbruchs nach der Wiedervereinigung leiden, wenden sich besonders viele Menschen populistischen Parteien wie der AfD oder dem BSW zu. Einige von ihnen protestieren damit gegen das politische Establishment. Ähnlich neigen in den USA strukturell abgehängte Regionen zur populistischen Politik und dazu, politische Eliten in den weit entfernten, urbanen Küstenregionen abzulehnen, insbesondere die in der habituell besonders weit entfernt wirkenden Hauptstadt Washington . Auch ein Mehrparteiensystem wie in Deutschland scheint diese strukturell zugrunde liegende und zunehmende Polarisierung auch zwischen urbanen und ländlichen Räumen langfristig nicht verhindern zu können. Zumindest nicht, wenn sich die Ungleichheiten in einer Zeit von Dauerkrisen weiter vertiefen. 5. Kultur- und Identitätspolitik Der Populismus in den USA und in Deutschland wird auf beiden Seiten des Atlantiks von kultureller Identitätspolitik angetrieben. In den USA äußert sich das insbesondere in heftigen Debatten über die ethnische Zugehörigkeit, um Einwanderung und die damit verbundene nationale Identität. Aber auch mit Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Abtreibungsrechte für Frauen oder der Schutz von sexuellen Minderheiten lässt sich die Polarisierung anheizen. In Deutschland schürt die AfD Ängste vor dem Verlust der nationalen Identität durch Migration oder EU-Politik. Ganz gezielt werden auch Verschwörungstheorien unterstützt, wie ein angeblich von langer Hand geplanter “Bevölkerungsaustausch”. Eine Erzählung, die in den USA vom Trump-Lager ebenfalls ganz bewusst verbreitet wird. Die Strömungen beeinflussen sich dabei über den Atlantik hinweg wechselseitig. So etikettierte Trump neulich seine Abschiebungspläne mit dem Begriff der “Remigration” – eigentlich eine Wortschöpfung der “Identitären” Rechten in Europa. Das BSW hingegen spricht vornehmlich in Ostdeutschland ein Gefühl an, das um Verständnis für Russland und für die Sicht Putins auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine wirbt. Die Nato wird hierbei als wahrer Aggressor gezeichnet, von dem Russland sich nachvollziehbarerweise bedroht fühle. In den ostdeutschen Ländern verfängt diese Erzählung aufgrund der unterschiedlichen systemischen Prägungen stärker als im Westen. Es ist eine Sichtweise, die in den USA, speziell bei den Republikanern, früher undenkbar zu sein schien. Inzwischen verbreiten jedoch weite Teile von Donald Trumps “Make America Great Again”-Bewegung eine ähnliche Erzählung wie die Wagenknecht-Partei. Sowohl im amerikanischen Zweiparteien- als auch im deutschen Mehrparteiensystem schaffen solche kulturellen Ängste eine tiefe, ideologische Kluft. Wählerinnen und Wähler scheinen nur noch zwischen zwei extremen Visionen für ihr Land wählen zu können. Obwohl sie in Deutschland in Wahrheit viel mehr als nur zwei Optionen haben. Es ist darum fraglich, ob es klug ist, Wahlkämpfe auch künftig als Verhinderungsaktion des feindlichen politischen Blocks aufzubauen. 6. Versagen der moderaten Parteien In beiden Ländern scheinen es die moderaten Parteien und Kräfte bislang nicht zu schaffen, die Bedenken eines Großteils der Wählerinnen und Wähler bezüglich Ungleichheiten, Einwanderung, kultureller Identität, Strukturwandel und globaler Krisenthemen erfolgreich zu bekämpfen. Auch das trägt zu einer weiteren Polarisierung bei. Versuche, wie zuletzt von der CDU oder von den Ampelparteien, beim Thema Migration eine gänzlich andere Richtung einzuschlagen, fruchten bei denen, die lieber die AfD oder das BSW wählen, bislang ganz offensichtlich nicht. Und auch in den USA haben die Bemühungen des US-Präsidenten Joe Biden , die Migrationsfrage mithilfe von Dekreten in den Griff zu bekommen, keinen Erfolg gehabt. Zumindest ließen sich damit bislang keine neuen Wähler gewinnen. 7. Der vereinfachende Reiz des Populismus Die Probleme der moderaten Kräfte auf beiden Seiten des Atlantiks liegen insbesondere darin begründet, dass Populismus von Natur aus komplexe politische Fragen vereinfacht. Es ist immer leichter, vielschichtige Antworten, die zudem nicht einfach zu kommunizieren sind, zu einer Art Zweikampf zu stilisieren. Je extremer die Forderungen von Populisten, desto leichter tappen die Moderaten, aber auch viele Medien in diese gestellte Falle. Schlicht, weil sie bestimmten Aussagen ihrem Selbstverständnis einer menschenwürdigen Demokratie gemäß widersprechen müssen. Populisten nutzen diesen Reflex aus, indem sie mit immer neuen, extremen Forderungen oder mit absurden Lügen eine komplexe Debatte blockieren. Denn die Gegenseite muss sich zunächst mit diesen Ablenkungen auseinandersetzen und kann nur schwer mit den eigenen Vorstellungen von Politik punkten. In den USA war diese Dynamik zuletzt zu beobachten, als Donald Trump und sein Vizekandidat J. D. Vance Lügen und Gerüchte von mordenden und Haustiere essenden Haitianern in einer Kleinstadt im mittleren Westen verbreitet hatten . Diese Strategie funktioniert, weil sie auf starke emotionale Anziehungskraft setzt. Die populistischen Anführer, ob sie nun Trump oder Höcke heißen, setzen sich als Verteidiger “des Volkes” in Szene, die gegen eine korrupte Elite kämpfen. Sie machen Wahlen damit von vornherein zu moralisierten Entscheidungen. Je besser dieses “Gut gegen Böse”-Prinzip verfängt, desto weniger kann die Gegenseite darauf verzichten, nur noch mit ähnlich moralisch aufgeladenen Aufrufen zu reagieren. Diese emotionale Anziehungskraft scheint die unterschiedlichen demokratischen Systeme geradezu zu überfordern, unabhängig davon, ob es sich um eine Mehrparteiendemokratie wie Deutschland oder um ein Zweiparteiensystem wie in den USA handelt. 8. Kulturelles Gedächtnis und historischer Kontext In Deutschland mögen die Erfahrungen des Nationalsozialismus und auch der DDR eine generationsübergreifende, historische Angst vor autoritären Bestrebungen erhalten haben. Die langjährige, beinahe kollektive Abwehrreaktion eines großen Teils der Gesellschaft gegen die Anfänge des Populismus haben darin womöglich einen Ursprung. Vielleicht setzt die extreme, fast politische Polarisierung deswegen auch später ein als in den USA. Dass insbesondere die AfD allerdings bei Jung- und Erstwählern solche Erfolge verbuchen kann, weist darauf hin, dass diese deutsche Besonderheit im Vergleich zu den USA zunehmend aufgebraucht zu sein scheint. Das sogenannte kulturelle Gedächtnis wird mit zunehmendem Alter der Bundesrepublik offenkundig schwächer. Und in den ostdeutschen Bundesländern unterscheidet es sich ohnehin von dem im Westen. Fazit Trotz aller historischen und systemischen Unterschiede: Die Amerikanisierung der politischen Landschaft Deutschlands schreitet samt Trumpisierung und ihren populistischen Dynamiken voran. Das wird auch an einer zunächst absurd wirkenden Tatsache deutlich. Die Wahlergebnisse sind sowohl in Thüringen als auch in Sachsen und Brandenburg jetzt so kompliziert, dass keine Mehrheiten ohne populistische oder extremistische Parteien möglich sind. Darum müssen sowohl die SPD als auch die CDU über ihren eigenen Schatten springen und gegen die AfD wohl ausgerechnet mit der Wagenknecht-Abspaltung der Linkspartei koalieren oder sich zumindest tolerieren lassen. Im politischen System der USA sind Regierungskoalitionen zwar nicht angelegt. Weil aber Gesetze in einem notorisch gespaltenen Kongress trotzdem verabschiedet werden müssen, gehören parteiübergreifende Einigungen, die sogenannten “bipartisan bills”, zum politischen Alltag in Amerika. Mit der früheren Republikanischen Partei waren Kompromisse möglich. Das war, bevor sie den Weg des Trumpismus ging. Seit vielen Jahren ist die amerikanische Gesetzgebung aber zunehmend blockiert. Zuletzt wurde das offensichtlich, als eine überparteilich bereits erzielte Einigung zur Grenzsicherung gegen illegale Einwanderung am Ende doch noch scheiterte. Donald Trump intervenierte persönlich bei Senatoren und Abgeordneten, damit ihm ein entscheidendes Wahlkampfthema gegen die Demokraten nicht abhandenkommt. Eine spezifische, themenbezogene Zusammenarbeit kann trotz erbitterter Gegnerschaft also funktionieren – solange sich die Beteiligten an Spielregeln und Gepflogenheiten halten. Ob das in Deutschland mit dem BSW gelingen kann, ist bislang noch zweifelhaft. Mit der rechtsextremen AfD schließen es die moderaten Parteien bislang ohnehin aus. In beiden Fällen aber ist deren jeweils unterschiedlich gelagerter Populismus dem amerikanischen Trumpismus sehr ähnlich – und der hält sich im Zweifel nur an die eigenen Regeln. Das BSW hat aber zumindest jetzt die Chance, das Gegenteil zu beweisen.

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