Superpragmatisch statt links: Wie Hamburgs Grüne gegen den Abschwung kämpfen

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Desolate Ergebnisse im Osten, junge Kader, die in Scharen austreten, ein CDU-Kanzlerkandidat, der mit Wonne auf sie eindrischt, dazu ein Zeitgeist, nach dem es schick ist, alles Grüne doof zu finden – was die Grünen auf Bundesebene gerade erleben, ist niederschmetternd, dazu befindet sich die Partei in einer ausgewachsenen Identitätskrise. Und in Hamburg? Verkündet Katharina Fegebank, dass sie Erste Bürgermeisterin werden und ausgerechnet Sicherheit zum Wahlkampfthema machen will. Ein Fiebertraum? Nein, aber ein Zeichen dafür, dass die Hamburger Grünen völlig anders ticken als andere große Teile der Partei. Und das hat auch mit dem Jugoslawienkrieg zu tun.

CDU-Kanzlerhoffnung Friedrich Merz gefällt sich darin, die Grünen als „Hauptgegner“ zu bezeichnen, da ist Applaus sicher, schließlich sind die angeblich an allem Schuld, was die Leute nervt, ob hohe Mieten, Flüchtlinge, Klimaschutz oder Parkplatznot. Grünen-Bashing ist gerade sehr en vogue. Oder wie es ein Hamburger Grüner zur MOPO sagt: „Die Dynamik ist gerade krass gegen uns.“

In Hamburg ist das (noch) anders. Auch hier prangert die CDU das Quälen von Autofahrern als oberstes Ziel der Grünen an – und doch wurde die Partei in Hamburg bei der Europawahl stärkste Kraft. Bei der Bezirkswahl wurde sie zwar stark gerupft, aber noch zweitstärkste Kraft. Eine Anti-Gender-Ini, von der CDU tatkräftig unterstützt, hat die Hamburger nicht hinterm Ofen hervorgelockt.

Hamburger Grüne setzen auf das Thema Sicherheit

Hier regiert eine grüne Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank, die auf dem Parteitag Dinge sagt wie „Sicherheit und Freiheit zusammen denken“, was auch von der CDU kommen könnte. Oder von der FDP. Wirtschaftspolitik hat die Partei als wichtiges Zukunftsthema für sich entdeckt, Milliarden werden in Infrastruktur investiert, Staatsanwaltschaft und Polizei aufgestockt. Man wird halt pragmatisch, wenn man seit zehn Jahren einen Stadtstaat mitregiert. Und die Angst vor dem Klimawandel, die den Grünen noch vor einigen Jahren Traumwerte beschied, wich inzwischen anderen Ängsten, etwa vor Islamismus, Deindustrialisierung oder sozialem Abstieg.

Flügellose Grüne in Hamburg

Was die Hamburger Grünen besonders macht? „Wir haben keine Flügel“, sagt Parteichefin Maryam Blumenthal. Es gibt linke Stimmen und man ringt auch mal um Kompromisse, aber organisierte „Fundamentalisten“ wie in allen anderen Landesverbänden gibt’s nicht. Wenn Fegebank den Parteitag also auf Oberrealo Robert Habeck und seine Strategie, die Partei voll auf die politische Mitte auszurichten, einschwört, dann müssen die meisten Hamburger Grünen keine großen Kröten schlucken.

Aber auch unter Hamburger Grünen gibt es einige, die sich unangenehm an eine lange zurück liegende Zeit erinnern, als die Partei schon einmal auf eine einzelne, alles überstrahlende Führungsperson hingemodelt wurde und dafür ihre pazifistischen Wurzeln kappen musste: Joschka Fischer, der 1999 als grüner Außenminister entschied, dass die Bundeswehr sich am NATO-Einsatz im Kosovo beteiligt. Riesenkrise. In Hamburg, wo die Grünen damals noch „Grün-alternative Liste GAL“ hießen, traten fünf GAL-Bürgerschaftsabgeordnete aus der Partei aus, ein linker Flügel flatterte den Hamburgern davon und prägt bis heute die Linke in der Stadt. Der Kriegseinsatz war dabei nicht der einzige Grund: „Die GAL hatte sich in eine grün lackierte FDP verwandelt“, klagte die aktuelle Linken-Abgeordnete Heike Sudmann schon damals.

Junge Kader treten aus der Partei aus

Und jetzt? Die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Ivy Mae Müller (27), Schulexpertin der Fraktion, verlässt die Partei Richtung Linke. Auch die jungen Parteikader gehen wegen der Politik von Robert Habeck und Annalena Baerbock von der Fahne. Waffenlieferungen und Grenzen dicht, das treibt einen Landesvorstand der Grünen Jugend nach dem anderen aus der Partei, auch die Hamburger Nachwuchsführungskräfte gehen fast vollständig raus. „In der Grünen Jugend haben viele Funktionsträger einen systemkritischen Blick, der ist mit einer Mutterpartei in Regierungsverantwortung natürlich schwer zu vereinbaren“, sagt dazu Maryam Blumenthal. Klarer drückt es Partei-Urgestein Renate Künast aus: „Wer so Sozialismus-Ideen hatte, war von Anfang an bei den Grünen falsch.“

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In Hamburg schmiedete der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) 2008 das erste schwarz-grüne Regierungsbündnis auf Landesebene, das zwar nicht lange hielt, aber doch zeigte, dass beide Parteien durchaus zusammen können, wenn sie denn wollen. Kürzlich, Friedrich Merz war längst schon auf dem „Grüne sind der Feind“-Pfad unterwegs, da erklärte Ole von Beust in der „Zeit“, dass er Katharina Fegebank „selbstverständlich“ das Amt als Erste Bürgermeisterin zutraue. Größtes Lob: „Sie sieht nicht alles durch die grüne Brille.“

Wie es weitergeht mit Hamburgs Grünen? In den Bezirken gibt’s schon Aufstände, in Nord haben sich alle gegen die grünen Wahlsieger verbündet, die Dynamik ist nicht gut. Oder, wie es ein grünes Parteimitglied sagt: „Ist nicht locker, was jetzt kommt.“ Das allerdings kann man derzeit über die ganze Welt sagen.

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