So viel Armut mitten in Hamburg: „Viele kommen ohne Hilfe nicht über die Runden“

So viel Armut mitten in Hamburg: „Viele kommen ohne Hilfe nicht über die Runden“

Noch drei Stunden sind es, bis die hohe Gittertür geöffnet wird. Angela Krüger ist trotzdem schon da, wie jede Woche. Neben der 69-Jährigen steht ihr gemusterter Hackenporsche, mit dem sie alles nach Hause bringt, was sie heute bekommt: Brot, einen großen Brokkoli, Kräuterquark. Und noch vieles mehr. Seit drei Jahren schon geht die Frührentnerin zum „HelferTeam Rothenburgsort“, eine Art Ableger der Hamburger Tafel, und holt sich Lebensmittel- und Sachspenden. Und es kommen immer mehr Menschen – bis zu 1200 Männer und Frauen in der Woche. Seit der Gründung 2018 hat sich die Zahl der Hilfesuchenden damit verdreifacht. Ein Ortsbesuch.

Bernd Peter Holst sitzt vor einem kleinen Pult am Eingangstor und nimmt die Unterlagen entgegen. Pass, Leistungsbescheid, Rentenbescheid. Nacheinander treten die Wartenden an den Senior heran. Wenn alles ok ist, können sie rein. „Die Kontrolle ist wichtig, sonst endet es hier im Chaos“, erklärt Holst.

Der engagierte Sozialdemokrat ist das Herz des HelferTeams Rothenburgsort. Unermüdlich ist der ehemalige Marketingfachmann im Einsatz für diejenigen, die Hilfe brauchen. Längst ist er in dem Alter, dass er seine Rente ohne viele Termine genießen könnte. „Ich wurde so erzogen, dass man hilft, wenn man kann“, sagt Holst nüchtern.

Lebensmittelausgabe im ehemaligen Branntweinmonopol

Und so gründete er im Jahr 2003 mit sechs anderen zusammen den Verein Bürger-helfen-Bürgern e.V. Hamburg. „Hier in Rothenburgsort gab es keine Hilfsangebote, sehr wohl aber eine Vielzahl von Menschen, die bedürftig sind. Ohne Hilfe kommen viele nicht mehr über die Runden“, erzählt er zum gewählten Standort.

Das HelferTeam Rothenburgsort, ein Projekt des gemeinnützigen Vereins, betreibt auf dem Gelände des ehemaligen Branntweinmonopols am Billwerder Neuen Deich in Rothenburgsort nicht nur eine Lebensmittelausgabe, sondern bietet auch alle 14 Tage einen Kleider-, Spielzeug- und Haushaltsgeräte-Markt an. Außerdem unterstützen Vereins-Paten bedürftige Menschen dabei, Deutsch zu lernen, Behördenpapiere zu bearbeiten oder Bewerbungen wettbewerbsfähig zu gestalten.

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In seinem 22-köpfigen Team arbeiten viele ehemalige „Kunden“. Olga (63) aus der Ukraine ist eine von ihnen. In der überdachten Halle bestückt sie die langen Tische mit all dem, was heute von Supermärkten, der Hamburger Tafel und Bäckereien gespendet wurde: Gemüse, Obst, Backwaren, Tiefkühlwürstchen, vegane Hähnchennuggets. „Ich bin dankbar, helfen zu können“, mehr mag sie nicht sagen. Ihr Deutsch sei zu schlecht, schiebt sie verschämt hinterher.

Mit starken Schamgefühlen kämpfte auch Angela Krüger lange Zeit. „Es ist mir immer noch peinlich, auf die Hilfe angewiesen zu sein, aber immerhin breche ich nicht mehr in Tränen aus“, sagt sie und lacht. Inzwischen kenne sie das Team, schätze den freundlichen Umgangston vor Ort und freue sich über das vertraute Miteinander. „Ohne die Hilfe wäre ich aufgeschmissen“, sagt sie und steckt eine Packung Cherrytomaten in ihren zweirädrigen Trolley.

Florian Quandt
Olga (63) aus der Ukraine war früher Kundin, heute arbeitet sie beim Helferteam Rothenburgsort mit.

Olga (63) aus der Ukraine war früher Kundin, heute arbeitet sie beim Helferteam Rothenburgsort mit.

Florian Quandt
Geschäftsführer Bernd Peter Holst an der Ausgabe.

Geschäftsführer Bernd Peter Holst an der Ausgabe.

Florian Quandt
Galina (63) und Nataliia (73, v.l.) sind dankbar für die Unterstützung der Tafel in Rothenburgsort.

Galina (63) und Nataliia (73, v.l.) sind dankbar für die Unterstützung der Tafel in Rothenburgsort.

Florian Quandt
Menschen warten auf den Einlass der Lebensmittelversorgung in Rothenburgsort.

Menschen warten auf den Einlass der Lebensmittelversorgung in Rothenburgsort.

Bernd Peter Holst spricht über die Herausforderungen im täglichen Ablauf mit Menschen verschiedenster Sozialisierung. „Das Wort Anmeldung etwa ist in vielen Kulturen gar nicht bekannt. Das ist einfach sehr deutsch“, sagt er und erklärt, wie wichtig eine gute Struktur gerade in diesem Bereich der Hilfe sei.

Holst weiter: „Bedürftige solidarisieren sich nicht mit ihrer Umgebung. Bedürftigkeit macht einsam. Und nicht selten sonderbar.“ Und obwohl er grundsätzlich positiv denkt, macht ihm die rückgängige Spendenbereitschaft Sorgen. Denn genau wie seine Kunden, ist auch er auf die Unterstützung von anderen angewiesen. Von Supermärkten, Bäckereien oder Unternehmen, die seine Arbeit mit Hilfe von Sach- und Geldspenden überhaupt erst möglich machen. Umso glücklicher ist er über die kurzfristige Zusage der Bezirksversammlung Hamburg Mitte, sich bis Ende 2025 an den Mietkosten der genutzten Gebäude zu beteiligen.

Mobiler Bürgerservice liefert auch nach Hause

Wenn jemand den Weg zur Ausgabestelle mal nicht schafft, gibt es drei Fahrer des Vereins, die Lebensmittel und auch mal einen Kühlschrank oder einen benötigten Schulranzen liefern. Die Mitarbeiter des sogenannten mobilen Bürgerservice nehmen die alten Geräte mit, reparieren Kaputtes vor Ort oder schließen die gerade gelieferte Lampe direkt an.

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Während die ersten Männer und Frauen bereits das Gelände mit gut gefüllten Ziehwagen verlassen, stellen sich draußen immer neue Menschen am Ende der Warteschlange an. Viele Tafel-Kunden stammen aus der Ukraine und aus Afghanistan. „Aber es kommen auch immer mehr Studenten und deutsche Rentnerinnen und Rentner zu uns und brauchen Hilfe“, sagt Holst. Er jedenfalls will noch zehn Jahre mithelfen, Leid zu lindern. „Dann müssen andere ran“, sagt er milde. Und hofft, dass die Zahl der Helfer langfristig ebenso steigt wie die der Bedürftigen.

So viel Armut mitten in Hamburg: „Viele kommen ohne Hilfe nicht über die Runden“ wurde gefunden bei mopo.de

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