Russland: Orthodoxe Kirche unterstützt Krieg – Kritiker werden verfolgt

RMAG news

Die russisch-orthodoxe Kirche unterstützt den Krieg in der Ukraine. Doch längst nicht alle Priester wollen den Kurs mitgehen. Dafür werden sie von der eigenen Kirche verfolgt. Anlässlich des 72. Geburtstags des russischen Präsidenten ging am Montag auch ein Brief von einem der wichtigsten Unterstützer Wladimir Putins im Kreml ein. Das Schreiben strotzte vor Lob: Mit “Weisheit und Entschlossenheit” kümmere sich Putin um das Wohlergehen der Menschen, er sei “der Garant für die verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten der Bürger Russlands”. Und die von Putin in die Ukraine geschickten Soldaten würden dort die Freiheit und Unabhängigkeit Russlands “verteidigen”. Die Worte stammen aus der Feder eines Mannes, der sich qua Amt eigentlich für Frieden auf der Welt, für Nächstenliebe und gegenseitigen Respekt einsetzen sollte: Patriarch Kyrill I., Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche. Doch längst ist die geistliche Institution zu einer der wichtigsten Säulen des Putin-Regimes in Russland geworden. Der Patriarch und seine Priester liefern Rechtfertigungen für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen das Nachbarland. Ende vergangenen März ging Kyrill I. sogar so weit, diesen als “Heiligen Krieg” zu bezeichnen. Aktuelle Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine lesen Sie im Newsblog. Durch die Nähe zum Kreml legitimiert die orthodoxe Kirche, die in Russland Mehrheitsreligion ist, Putins Macht. Doch sie ist längst kein einheitlicher Block: Einige der russisch-orthodoxen Priester machen den kriegsfreundlichen Kurs nicht mit, äußern offen Kritik. Dafür aber leiden sie unter staatlicher Repression und Verfolgung, die teils weit über Russlands Grenzen hinausreicht. Manch einer wurde sogar fast in den Tod getrieben. Organisation will kriegskritischen Priestern helfen Schon im März 2022 veröffentlichten russisch-orthodoxe Priester einen offenen Brief, der unter anderem die Beendigung des Kriegs fordert. Bisher haben sich 293 Geistliche dem Appell angeschlossen. Das zeigt, dass die Kirche längst nicht geschlossen hinter Putins Kriegskurs geht. Laut der europäischen Ausgabe der russischen Zeitung “Nowaja Gaseta” haben mindestens 59 kriegskritische Priester zwischen dem 24. Februar 2022 und dem Mai dieses Jahres Repressionen ihrer Kirche oder des Staats erlitten. Manchen wurde das Predigen untersagt, andere wurden gleich ganz der Priesterwürde enthoben und aus der Kirche geworfen. Solche Maßnahmen werden auch von Bistümern und Gemeinden im Ausland umgesetzt. Der Staat wiederum belegte sie mit Geldstrafen wegen angeblicher Diskreditierung der Armee oder eröffnete Strafverfahren. Der Priester Andrej Kordotschkin ist einer der Gründer von “Mir Vsem” (zu Deutsch “Friede für alle”). Die Organisation, die im Oktober 2023 entstand, will kriegskritischen Priestern dabei helfen, Russland zu verlassen und ihren Fällen Öffentlichkeit zu verschaffen. “Der Beginn des Krieges war ein tiefer Schock”, sagte er im Gespräch mit der Menschenrechtsorganisation OVD-info. Er predigte 20 Jahre lang in einer Gemeinde in Madrid , bis ihn seine Kirche wegen seiner Haltung gegen den Krieg aus der Gemeinde warf. Kordotschkin hat sich daraufhin dem ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel angeschlossen. Priester muss wegen Kriegskritik Russland verlassen Die Geschichten der geschassten Priester auf der Internetseite von “Mir Vsem” zeugen von den Repressionen, die kriegskritische Menschen in Russland erleiden müssen. Der Priester Nikolai Platonow etwa predigte einst in der Diözese Tscheljabinsk im Uralgebirge, kritisierte jedoch schon früh den Krieg. Schnell bekam er Hinweise darauf, dass die Kirche ihn seiner Priesterwürde entheben wolle. Platonow besorgte sich einen Reisepass und verließ das Land in Richtung Armenien . Dort veröffentlichte er ein Video, in dem er den Krieg offen verurteilte und das große Aufmerksamkeit erlangte. Doch lange währte sein Aufenthalt im Ausland nicht. “Drei Monate habe ich in Armenien gelebt”, sagte der Priester OVD-info. “Dann bin ich zurückgekehrt, weil ich kein Geld mehr hatte und meine Mutter krank geworden war. Mir war aber klar, dass ich nicht lange bleiben konnte.” Schon am Flughafen sei er stundenlang festgehalten worden. Dennoch brachte ihn das nicht von seiner kritischen Haltung ab. In Russland bemerkte er eigenen Angaben nach schnell, dass er auf der Straße dauerhaft beschattet wurde. “Menschenrechtler, die ich kenne, sagten mir, das sei ein Anzeichen dafür, dass ich bald verhaftet werde.” Mithilfe von “Mir Vsem” verließ er später endgültig das Land. Heute lebt er als politisch Verfolgter in Frankreich . “Das Einzige, was mir bleibt, ist Selbstmord” Dieses Glück hatten jedoch nicht alle verfolgten kriegskritischen Geistlichen: Der Priester Feognost Puschkow predigte für die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats in der heute von Russland besetzten Region Luhansk. Dort toben schon seit 2014 Kämpfe, Puschkow sprach sich seitdem offen gegen die Invasion durch russische Milizen aus. Ende Juni berichtete Puschkow auf seinem Telegramkanal davon, dass sein Zustand sehr schlecht sei. Die Polizei wolle ihn einsperren. “Ich bin zwischen Leben und Tod”, schrieb der Priester. Er bat um Hilfe, sagte jedoch auch: “Das Einzige, was mir bleibt, ist Selbstmord.” Nach dieser Nachricht blieb sein Kanal zunächst monatelang still. Erst Anfang Oktober gab es wieder ein Lebenszeichen von Puschkow. Offenbar war er monatelang in Untersuchungshaft und wurde dann anscheinend freigelassen. In dieser Zeit schrammte er eigenen Angaben zufolge nur knapp am Selbstmord vorbei. In der Haftanstalt habe er sich bereits eine Angelschnur um den Hals gewickelt, erinnerte sich dann jedoch an eine Frau, die er einst als Priester scharf für ihre Selbstmordgedanken kritisiert habe. “Ich habe mich damals sehr geirrt”, so Puschkow. Wie es für ihn weitergeht, ist derzeit nicht bekannt. Der russische Geheimdienst FSB zumindest gebe seine Laptops nicht heraus, was ihm das Arbeiten erschwere. Ukrainische Kirche will sich von Russland lösen Der russische Angriff auf die Ukraine hat die orthodoxe Welt gehörig durcheinandergewirbelt. Über Jahrhunderte bildeten Russland und der Großteil der Ukraine einen einheitlichen Raum unter dem Moskauer Patriarchat. Seit ihrer Unabhängigkeit versucht die Ukraine jedoch zunehmend, sich davon zu lösen. Im vergangenen August stimmte das Parlament der Ukraine für ein Verbot der mit Russland verbundenen ukrainisch-orthodoxen Kirche. Das betrifft rund 10.000 Gemeinden. Zudem gibt es die orthodoxe Kirche der Ukraine, die von dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel unterstützt wird.

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