Steueroase mitten im Wald bei Hamburg? Das dubiose Geisterbüro der Bismarcks

Steueroase mitten im Wald bei Hamburg? Das dubiose Geisterbüro der Bismarcks

Der Sachsenwald vor den Toren Hamburgs, Norddeutschlands größtes Forstgebiet, bietet Erholungsuchenden idyllische Ruhe – und offenbar 21 Unternehmen einen kuriosen Firmensitz: in einer einsamen Hütte im Wald. Von geschäftigem Treiben ist dort aber nicht viel zu sehen, wie Recherchen des „Neo Magazin Royale“ von ZDF-Satiriker Jan Böhmermann und der Plattform „Frag den Staat“ ergeben haben. Der Verdacht: Die Firmen haben sich womöglich nur scheinbar auf dem Grundbesitz der Familie von Bismarck niedergelassen, weil die Gewerbesteuer so schön niedrig ist.

Die reetgedeckte Hütte mit der Adresse Am Stangenteich 2, rund elf Kilometer östlich der Stadtgrenze zu Hamburg, ist nur über einen unbefestigten Waldweg zu erreichen. Auffällig: Neben der Eingangstür hängen den Recherchen zufolge etliche Briefkästen und Türklingeln mit Firmennamen. Darunter Unternehmen des Gutsbesitzers Gregor Graf von Bismarck (60) sowie Töchter der Unternehmen Luxcara und Aves One, deren milliardenschwere Mutterfirmen ihren Hauptsitz in Hamburg haben.

Ist es realistisch, dass an diesem einsamen Ort insgesamt 21 Unternehmen ihren Hauptgeschäftssitz haben? Nur dann wäre es ihnen legal möglich, ihre Gewerbesteuer im Sachsenwald zu zahlen –  wo sie extrem niedrig ist.

Medienbericht über Steueroase nahe Hamburg

Hintergrund für diese Steueroase ist den Medienberichten von „Neo Magazin Royale“ und „Frag den Staat“ zufolge ein rechtliches Konstrukt aus der Kaiserzeit, das aus heutiger Sicht geradezu bizarr anmutet. Denn der Sachsenwald, 1871 von Wilhelm I. an den damaligen Reichskanzler Otto von Bismarck verschenkt, ist seit 1892 ein sogenanntes gemeindefreies Gebiet. Mit dieser Rechtsform wurden damals Gutsbezirke den Gemeinden gleichgestellt, hatten also die gleichen Rechte und Pflichten.

Mitten im Sachsenwald der Bismarcks östlich von Hamburg liegt die kleine Waldhütte.
Google Maps/Screenshot

Mitten im Sachsenwald der Bismarcks östlich von Hamburg liegt die kleine Waldhütte.

Und das ist bis heute so. Denn obwohl diese Sonderrechte für Gutsherren 1927 abgeschafft wurden, wurde beim Grundbesitz derer von Bismarck eine Ausnahme gemacht. Mit weitreichenden Folgen: Zwar muss der heutige Gutsbesitzer Gregor Graf von Bismarck zum Beispiel den Wald und die Infrastruktur instand halten, kann demnach dafür aber von ansässigen Unternehmen die Gewerbesteuer kassieren – und durch den Gutsverwalter, seinen Angestellten, festlegen lassen, wie hoch sie ist.

Sachsenwald: 21 Firmensitze in einer einsamen Hütte

Das geschieht in Deutschland mit dem sogenannten Gewerbesteuerhebesatz, der bei mindestens 200 Prozent liegen muss. Im Sachsenwald beträgt er dem Bericht zufolge seit 1958 unverändert 275 Prozent. Zum Vergleich: Das sind mindestens 100 Prozentpunkte weniger als alle umliegenden Gemeinden verlangen. Im nahen Hamburg liegt der Satz sogar bei 470 Prozent.

Wer im Sachsenwald seinen Firmensitz hat, kann also ordentlich Steuern sparen. Und wenn eine dortige Firma dem Grafen von Bismarck gehört, zahlt der die Steuern quasi an sich selbst, wie bereits in den 90ern bei einer Fragestunde im schleswig-holsteinischen Landtag festgestellt wurde.

Steueroase Sachsenwald: Relikt aus der Kaiserzeit

Mit den Vorwürfen des Rechercheteams konfrontiert, verweist von Bismarck dem Bericht zufolge darauf, dass die Gewerbesteuer nicht in seiner Tasche lande, sondern komplett für die Instandhaltung von Wegen und Brücken sowie für die Wiederaufforstung des Waldes eingesetzt werde. Wobei dabei zu erwähnen wäre, dass der Graf unter anderem mit Holz handelt und von der Wiederaufforstung auch wirtschaftlich profitiert.

Dass Gemeinden mit niedrigen Gewerbesteuerhebesätzen Firmen anlocken, ist weder neu noch illegal. Voraussetzung ist allerdings, dass der zu versteuernde Gewinn auch tatsächlich in einer solchen Steueroase erwirtschaftet wird – und dort nicht nur eine Scheinadresse existiert, an der niemand arbeitet.

„Neo Magazin Royale“ recherchiert über Steueroase bei Hamburg

Diesen Eindruck bemühen sich alle vom Rechercheteam angefragten Unternehmen zu entkräften und geben an, das einsame Büro im Wald tatsächlich regelmäßig zu nutzen. Gründe: die Ruhe und der Umstand, dass die Gewerbesteuer in nachhaltige Maßnahmen wie den Erhalt des Forstes fließt.

Doch bei ihren Nachforschungen fanden die Reporter keine Anzeichen von regelmäßiger Geschäftstätigkeit am Stangenteich. Das Büro war an einem Dienstagnachmittag verwaist. Eine am einzigen Zufahrtsweg angebrachte Kamera registrierte an 44 Werktagen plus Wochenenden ganze 25 Fälle, in denen Menschen sich in Richtung der Hütte bewegt hätten. Dem Anschein nach größtenteils Spaziergänger und Radfahrer, die nach kurzer Zeit wieder umdrehten.

Hamburger Unternehmen betreiben Tochterfirmen in Waldhütte

Und Briefe, die mit einem GPS-Tracker versehen an die Töchter der Unternehmen Aves One und Luxcara verschickt wurden, landeten nicht in der Hütte im Sachsenwald, sondern direkt bei den Hauptsitzen der Firmen in Hamburg. Erst nach einer Anfrage von „Frag den Staat“ wurden die Briefe an die angebliche Betriebsstätte transportiert.

Wie hoch die Steuereinnahmen sind, bleibt am Ende der Recherche noch offen. Zwar hat von Bismarck offenbar den gesetzlich vorgeschrieben Anteil der Einnahmen an Bund und Land abgeführt, woraus zumindest schon mal folgt, dass er überhaupt Gewerbesteuer eingenommen hat.

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Wieviel jetzt aber von welchem Unternehmen bezahlt wurde, habe er dem Bericht zufolge nicht genannt. In den Berechnungen zum Kommunalen Finanzausgleich, den das schleswig-holsteinische Innenministerium jährlich veröffentlicht, steht laut „Frag den Staat“ seit Jahrzehnten derselbe Betrag: null. (mp)

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