Amok-Fahrt im Panzer durch die City – weil ein Soldat heim zu Mama wollte

Amok-Fahrt im Panzer durch die City – weil ein Soldat heim zu Mama wollte

Ganz doll Heimweh hatte der junge Soldat, er wollte zu seiner Mutter nach Eimsbüttel. Doch Joachim F. musste Dienst schieben in der Bismarck-Kaserne in Wentorf. Nach zwei Flachmännern mit Korn kaperte der 20-jährige Gefreite am 1. Oktober 1979 einen Schützenpanzer vom Typ Marder und startete zu einer Amokfahrt durch Hamburg, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde.

Gegen 15.30 Uhr saß ich an diesem Montag in der MOPO-Redaktion im Pressehaus am Speersort und hörte  Polizeifunk. Plötzlich wurde es hektisch, die Meldungen überschlugen sich: Über die Wentorfer Straße rasselte ein Panzer Richtung Hamburger Landesgrenze. Auf einen Schlag war ich hellwach. Im Polizeifunk lief dann eine Rambo-Tour, die bald die ganze Redaktion fesselte.

Panzer fährt Auto platt

Mit etwa 70 km/h fuhr der Marder am Schlebuschweg (Bergedorf) auf einen Ford Taunus zu. Der Fahrer hatte sein Auto verlassen, um zu telefonieren. Das rettete ihm das Leben. Der 27 Tonnen schwere Stahl-Koloss überrollte die Fahrerseite und machte den Wagen platt. Auf dem Beifahrersitz saß der Schwiegervater des Ford-Besitzers. Er ließ sich aus dem Wrack fallen, kam mit leichten Verletzungen davon.

Als Polizeireporter war MOPO-Urgestein Thomas Hirschbiegel (64) ein harter Hund. Doch manchmal wurde es persönlich. Diese Einsätze gingen ihm nah.
Florian Quandt

Als Polizeireporter war MOPO-Urgestein Thomas Hirschbiegel (64) ein harter Hund. Doch manchmal wurde es persönlich. Diese Einsätze gingen ihm nah.

Acht Minuten dauerte die Amokfahrt jetzt, und bald war klar: Der Soldat steuerte das Zentrum Hamburgs an. Die Kollegen in der Redaktion drängten sich um das Polizeifunkgerät, sie wollten nichts verpassen.

Auf der Bergedorfer Straße stand zu dieser Zeit ein VW Passat an der roten Ampel. Am Steuer saß Manfred L. (30). Im Auto befanden sich Frau und Kind. Der Fahrer schaute in den Rückspiegel und beobachtete, wie ein Autofahrer hinter ihm hektische Ausweichmanöver machte und ein Motorrad rammte. Dann tauchte der Panzer bedrohlich im Rückspiegel des VW auf und kam immer näher.

Ein Wunder, dass niemand starb

In letzter Sekunde sprang der Mann zu Frau und Kind auf den Beifahrersitz. Sekundenbruchteile später wurde die Fahrerseite von den Panzerketten zerquetscht. Bereits das zweite Mal war es reiner Zufall, dass es bei der Amokfahrt keine Toten gab.

Der Gefreite raste unbeirrt weiter. Über ihm kreiste der Polizeihubschrauber, er flog dann voran und warnte Autofahrer an den Kreuzungen über Lautsprecher vor dem heranrollenden Panzer.

Der 600-PS-Marder näherte sich unaufhörlich der Hamburger City. Ich sprang in meinen VW Polo 1 (40 PS) und fuhr der irren Verfolgungsjagd entgegen.

Ich beobachtete die Zufahrt zum Deichtortunnel

Doch spätestens als im Polizeifunk die Meldung kam, dass der Marder in Hamm einen auf der Eiffestraße/Ecke Grevenweg quer gestellten 40-Tonnen-Lastzug gerammt hatte und einfach weitergefahren war, merkte ich, dass das keine so gute Idee war. Also parkte ich am Deichtorplatz und beobachtete die Zufahrt zum Deichtortunnel.

Nur ein paar Minuten musste ich warten, dann tauchte der Schützenpanzer aus Richtung des ADAC-Hauses auf – verfolgt von 18 Streifenwagen!

Ich machte meine Bilder mit dem 200er Teleobjektiv und bemerkte erst später beim Betrachten der Fotos vor der Dunkelkammer, dass das Kanonenrohr des Marders direkt auf mich gerichtet war.

Der Panzer fuhr dann in den Deichtortunnel. Bei der Ausfahrt wurde der Marder an der Steigung langsamer.

Ein Feldwebel wurde zum Helden

In dieser Situation wurde Feldwebel Reinhold Westensee (27) zum Helden. Der Bundeswehr-Feldjäger hatte den Panzer in seinem offenen VW-Kübelwagen verfolgt. Nun sprang der Militärpolizist auf den Panzer und konnte durch die geöffnete Luke in den Marder eindringen. Er stoppte den Amokfahrer mit einem Faustschlag. Der Gefreite würgte den Motor ab. Qualmend kam der Koloss unweit des Chilehauses am Messberg zum Stehen. Der Amokfahrer weinte, als ihn Polizisten abführten.

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Ich heulte auch beinahe, als ich in der Redaktion meine einmaligen Bilder der Amokfahrt betrachtete und sie auf Seite 1 der MOPO landeten. Ich habe als junger Polizeireporter viele Fehler begangen, doch bei diesem irren Fall war ich einfach perfekt zur rechten Zeit am richtigen Ort.

Amok-Fahrt im Panzer durch die City – weil ein Soldat heim zu Mama wollte wurde gefunden bei mopo.de

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