Aufräumen, aufhängen, niederknallen: Was der Herero-Völkermord mit Hamburg zu tun hat

Aufräumen, aufhängen, niederknallen: Was der Herero-Völkermord mit Hamburg zu tun hat

Der Baakenhafen heute: ein Teil der HafenCity. Ein modernes Wohngebiet, ein „urbanes Dorf“ inmitten der Großstadt. An den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, der hier seinen Anfang nahm, erinnert nichts. Nicht einmal ein kleines Hinweisschild gibt es, geschweige denn eine Gedenkstätte für die Zigtausenden Herero und Nama, die in Deutsch-Südwestafrika ihr Leben verloren.

Ziemlich genau 120 Jahre sind vergangen, seit hier, am Petersenkai im Baakenhafen, die Dampfschiffe der Hamburger Woermann-Linie Richtung Afrika ablegten. An Bord: Soldaten der „Kaiserlichen Schutztruppe“, die den Auftrag hatten, einen Aufstand der Herero niederzuschlagen, der im Januar 1904 in der Kolonie ausgebrochen war. Bis Mai 1907 wurden im Baakenhafen rund 18.000 Soldaten verschifft – einer davon General Lothar von Trotha, der heute als Hauptverantwortlicher des Völkermords gilt.

Baakenhafen 1904: Der Dampfer „Alexandra Woermann” bringt Soldaten der Kaiserlichen Schutztruppe zum Kriegsschauplatz in Deutsch-Südwestafrika.
Bundesarchiv

Baakenhafen 1904: Der Dampfer „Alexandra Woermann“ bringt Soldaten der Kaiserlichen Schutztruppe zum Kriegsschauplatz in Deutsch-Südwestafrika.

„Ich vernichte die aufständischen Stämme in Strömen von Blut“, so hatte Trotha im Vorfeld gedroht. Als es am 11. und 12. August 1904 am Waterberg, 250 Kilometer nördlich von Windhoek, zur Schlacht kam, zeigte sich, zu welchen Grausamkeiten der General fähig war. Bei der Schlacht selbst, aber auch in den Jahren danach, verloren zigtausende Herero ihr Leben. Ein Völkermord verübt in deutschem Namen, der aber kaum Thema ist hierzulande. Überhaupt sind die Verbrechen, die Deutsche in Übersee verübten, weitgehend in Vergessenheit geraten.

Der Waterberg in Namibia: Ein markanter Tafelberg, der 48 Kilometer lang und 15 Kilometer breit ist und seine Umgebung um fast 200 Meter überragt. Hier fand am 11. und 12. August 1904 die Schlacht zwischen der Deutschen Schutztruppe und den aufständischen Herero statt.
Gerhard Koertner / Avalon PUBLICATION

Der Waterberg in Namibia: Ein markanter Tafelberg, der 48 Kilometer lang und 15 Kilometer breit ist und seine Umgebung um fast 200 Meter überragt. Hier fand am 11. und 12. August 1904 die Schlacht zwischen der Deutschen Schutztruppe und den aufständischen Herero statt.

Alte Kolonialmächte wie England, Spanien, Portugal und Frankreich haben sich den größten Teil der südlichen Hemisphäre längst untereinander aufgeteilt, als Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts damit beginnt, sich einen „Platz an der Sonne“ zu ergattern – das Motto der Außenpolitik des Kaisers Wilhelm II. Alles geht 1883 mit einem riesigen Schwindel los. Der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz kauft dem Volk der Nama im Süden des heutigen Namibia eine Bucht ab und nutzt dabei ein Missverständnis über Maßeinheiten zu seinem Vorteil: Der Führer der Nama kennt zwar die englische Meile, hat aber keine Ahnung von der deutschen, die fast viermal länger ist. So erhält Lüderitz für 100 englische Pfund und 200 Gewehre ein 16-mal so großes Gebiet, als die Nama ihm verkauft zu haben glaubten. „Lüderitzland“ wird zur Keimzelle der ersten deutschen Kolonie.

Deutsche Kolonien zwischen 1885 und 1918. Nach Fläche war das deutsche Kolonialreich das drittgrößte der Welt.
picture-alliance

Deutsche Kolonien zwischen 1885 und 1918. Nach Fläche war das deutsche Kolonialreich das drittgrößte der Welt.

Deutsch-Südwestafrika ist aber nur der Anfang. Rasch wächst das deutsche Kolonialreich zu einem kleinen Imperium heran: Togo, Kamerun und Ostafrika kommen hinzu, aber auch Neuguinea, Samoa, die Karolinen, die Marianen, Palau, weitere kleine Pazifik-Eilande, die Marshall-Inseln und die chinesische Provinz Kiautschou. Deutschland verfügt 1914 über das drittgrößte Kolonialreich nach Großbritannien und Frankreich.

Dass Einheimische den Aufstand wagen, und „Schutztruppen“ den Auftrag erhalten, „die Ordnung wiederherzustellen“, kommt mehrfach vor in den rund 30 Jahren deutscher Kolonialgeschichte: 1900 etwa beteiligen sich die Deutschen zusammen mit anderen europäischen Mächten an einer „Strafaktion“ gegen China. In Ostafrika töten deutsche Soldaten 1906/07 mehrere Hunderttausend Rebellen. Und auf den Karolinen wird 1911, nach der Niederschlagung einer Widerstandsbewegung, erstmals ein ganzes Volk deportiert.

Deutsch-Südwestafrika ist Schauplatz des ersten Völkermords des 20. Jahrhunderts

Aber kein deutscher Kolonialkrieg brennt sich so fest im kollektiven Gedächtnis ein wie der in Deutsch-Südwestafrika. Dort leisten die Herero von Beginn der Kolonialherrschaft an erbittert Widerstand.  Erst als 1893 Generalmajor Theodor Leutwein das Kommando über das Schutzgebiet übernimmt und er es mit Diplomatie versucht, kehrt so etwas wie Frieden ein.

Der Krieg der deutschen Schutztruppe gegen die Herero in einer zeitgenössischen Darstellung.
IMAGO/Gemini Collection

Der Krieg der deutschen Schutztruppe gegen die Herero in einer zeitgenössischen Darstellung.

Doch das „System Leutwein“ gerät ins Wanken, als 1897 im ganzen Süden Afrikas eine Tierseuche um sich greift und die Rinder – Lebensgrundlage der Herero – zu Tausenden verenden. Eine immer aggressivere Siedlungspolitik verschärft die Spannungen zusätzlich. Das Land geht mehr und mehr in den Besitz der Deutschen über. Im selben Ausmaß wie die Lebensgrundlagen des Hirtenstammes schwinden, wächst deren Zorn.

Der Aufstand der Herero beginnt im Januar 1904. Ihr Anführer Samuel Maherero ruft das Volk auf, sich zu erheben und alle Deutschen zu töten. Nur Frauen, Kinder und Missionare seien zu verschonen. Daraufhin werden Farmen angegriffen, Bahnlinien blockiert, Telegrafenmasten zerstört und Handelsniederlassungen überfallen. 123 Deutsche sterben.

Während Gouverneur Leutwein sich bemüht, die Situation so gewaltlos wie möglich in den Griff zu bekommen, kocht die öffentliche Meinung hoch. Deutsche Siedler wollen, dass kurzer Prozess gemacht wird. „Aufräumen, aufhängen, niederknallen bis auf den letzten Mann“, lautet die Forderung. Auch im Reich reagieren Presse und Politik empört auf Leutweins Verhandlungsversuche.

Deutsche treiben Herero in die Wüste zurück – Zigtausende verdursten

So wird ihm am 3. Mai 1904 das Kommando über die „Schutztruppe“ entzogen. Berlin schickt frische Truppen und einen neuen Mann: Generalleutnant Lothar von Trotha, der sich schon in Ostafrika und China durch sein brutales Vorgehen gegen einheimische Revolten hervorgetan hat. 

Verantwortlich für den Völkermord an Herero und Nama: General Lothar von Trotha
MOPO-Archiv

Verantwortlich für den Völkermord an Herero und Nama: General Lothar von Trotha

Mit 2000 Mann, Artillerie und Maschinengewehren rückt Trotha gegen die Herero vor, umstellt deren Rückzugsgebiet und zieht den Ring um den Waterberg, 250 Kilometer nördlich von Windhoek, immer enger. Der Versuch, sie einzukesseln, misslingt. Einem Teil des Stammes gelingt die Flucht in die Omaheke-Wüste. Das ist der Auftakt zum dunkelsten Kapitel deutscher Kolonialgeschichte.

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Denn die Deutschen verfolgen nun eine barbarische Taktik. Trotha schickt am 2. Oktober 1904 eine Botschaft an die Aufständischen in der Wüste: „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“

Völkermord kostet 40.000 bis 60.000 Herero sowie rund 10.000 Nama das Leben

Gleichzeitig weist von Trotha seine Soldaten an, sämtliche Wasserstellen am Rande der Wüste zu besetzen und die Schwarzen mit Waffengewalt fernzuhalten. Die allermeisten Herero verdursten elendig. 

Verladung von Schädeln der Herero und Nama für Museen in Deutschland. Es handelt sich um eine Original-Postkarte aus der Zeit.
Imago

Verladung von Schädeln der Herero und Nama für Museen in Deutschland. Es handelt sich um eine Original-Postkarte aus der Zeit.

Darüber empört, erheben sich jetzt auch die Nama. Sie ziehen Lehren aus den Fehlern der Herero und vermeiden eine offene Schlacht. Es beginnt ein Guerillakrieg, der 1907 mit einem Sieg der Deutschen endet.

Danach werden die Überlebenden beider Völker in Konzentrationslagern interniert. Annähernd jeder zweite Insasse stirbt. Der Völkermord in Deutsch-Südwestafrika kostet zwischen 40.000 und 60.000 Herero sowie rund 10.000 Nama das Leben.

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Statt sie zu bestatten, nehmen die Deutschen die Schädel von rund 3000 getöteten Herero und Nama mit nach Hause – zu „wissenschaftlichen Zwecken“. In Universitäten und Museen werden sie viele Jahrzehnte lang aufbewahrt. Erst 2011 beginnt die Bundesrepublik damit, sie an Namibia zurückzugeben.

Weitere zehn Jahre dauert es, bis sich die Bundesregierung 2021 dazu durchringen kann, die Verbrechen, die im Namen des deutschen Volkes begangen worden sind, als Völkermord anzuerkennen. Über die Höhe der Entschädigung und darüber, wer das Geld bekommen soll, wird bis heute gestritten.

Deutsche Soldaten nahmen aus Deutsch-Südwestafrika die Schädel getöteter Herero und Nama mit in die Heimat. Seit 2011 werden die sterblichen Überreste an Namibia zurückgegeben.
IMAGO/Sabine Gudath

Deutsche Soldaten nahmen aus Deutsch-Südwestafrika die Schädel getöteter Herero und Nama mit in die Heimat. Seit 2011 werden die sterblichen Überreste an Namibia zurückgegeben.

Und Hamburg? Was tut die Stadt, um an das Massaker vor 120 Jahren zu erinnern? Ein Museum oder eine Gedenkstätte existiert bislang nicht. Dabei drängt sich dafür ein Ort regelrecht auf: Der Petersenkai im Baakenhafen. Dort wurden die Soldaten verschifft, die das Blut so vieler Menschen vergossen haben.

Professor Jürgen Zimmerer will ein Dokumentationszentrum im Baakenhafen

Pläne gibt es. Professor Jürgen Zimmerer, Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ möchte, dass auf dem Baakenhöft ein Dokumentationszentrum zur Geschichte des kolonialen Genozids geschaffen wird. Dem Historiker schwebt ein Lern- und Gedenkort vor, der an den Kolonialkrieg erinnert und an die Rolle Hamburgs dabei.

Der Baakenhafen heute: Am Petersenkai wurden zwischen 1904 und 1907 rund 18.000 Soldaten der Deutschen Schutztruppe verschifft, um in Namibia gegen die Herero zu kämpfen.
Olaf Wunder

Der Baakenhafen heute: Am Petersenkai wurden zwischen 1904 und 1907 rund 18.000 Soldaten der Deutschen Schutztruppe verschifft, um in Namibia gegen die Herero zu kämpfen.

Aber ob dieses Dokumentationszentrum jemals Wirklichkeit wird? Bislang ist es im Bebauungsplan für den Baakenhafen nicht vorgesehen. Stattdessen sollen an der fraglichen Stelle drei Wasserhäuser gebaut werden, 60 Meter hohe Wohntürme mit 230 Wohneinheiten, die über Stege mit dem Ufer verbunden sein werden. 

„Koloniale Amnesie“ bescheinigt Zimmerer der hamburgischen und überhaupt der deutschen Erinnerungskultur. „Die gesamte Grausamkeit und Brutalität des deutschen Kolonialismus ist nicht im öffentlichen Bewusstsein verankert“, sagt er. Der Baakenhafen könne zu einem erneuten Beispiel dieses Vergessens, wenn nicht gar eines bewussten Verdrängens werden.

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Zimmerers Kritik hat zumindest dazu geführt, dass nun auch die Kulturbehörde betont, was für ein bedeutender Ort der Kolonialgeschichte der Baakenhafen sei. „Derzeit wird geprüft, an welcher Stelle eine Freifläche für einen Erinnerungsort geschaffen werden kann“, so Kulturbehörden-Sprecherin Anja Bornhöft zur MOPO. Mit der konzeptionellen Entwicklung des Gedenkortes werde 2025 begonnen.

Prof. Dr. Jürgen Zimmerer fordert ein Dokumentationszentrum für die Kolonialverbrechen im Baakenhafen
Sebastian Engels/UHH

Prof. Dr. Jürgen Zimmerer fordert ein Dokumentationszentrum für die Kolonialverbrechen im Baakenhafen

Fraglich ist allerdings, ob dabei am Ende mehr als eine Erinnerungstafel herauskommen wird. Um ein Dokumentationszentrum zu schaffen, wie Professor Zimmerer es sich wünscht und wie es im Übrigen längst überfällig ist, bedarf es mehr als nur irgendeiner kleinen Freifläche, die zufälligerweise noch nicht anderweitig verplant ist.

Aufräumen, aufhängen, niederknallen: Was der Herero-Völkermord mit Hamburg zu tun hat wurde gefunden bei mopo.de

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