Budget gekürzt, Stelle weg: Ist dieser Wissenschaftler dem Senat zu kritisch?

Budget gekürzt, Stelle weg: Ist dieser Wissenschaftler dem Senat zu kritisch?

Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen überdeckt das Menschheitsverbrechen des Holocaust alle anderen dunklen Kapitel. Deshalb ist in der Bevölkerung heute kaum bekannt, welche Grausamkeiten die Deutschen zwischen 1884 und 1918 in ihren Kolonien begangen haben – Hamburg spielte dabei eine zentrale Rolle. Um diese Geschichte endlich aufzuarbeiten, rief die Bürgerschaft vor zehn Jahren eine Forschungsstelle ins Leben. Die jedoch steht nun vor dem Aus.

Das ist jedenfalls die Befürchtung der Linken und des FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Sami Musa. Die Wissenschaftsbehörde dagegen will davon, dass die Forschungsstelle abgewickelt werden soll, nichts wissen, spricht stattdessen von einer „Weiterentwicklung“.

Noch im April sprachen sich außer der AfD alle für den Erhalt der Forschungsstelle aus

Klar ist: In ihrer bisherigen Form wird die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ nur noch bis Ende des Jahres existieren. Das ist deshalb so überraschend, weil noch im April in einer Bürgerschaftssitzung sämtliche Fraktionen – abgesehen von der AfD – für ein Weiterbestehen plädierten.

Inzwischen schon ein Standardwerk zur Kolonial-Geschichte Hamburgs: Professor Jürgen Zimmerer und sein Mitarbeiter Dr. Kim Todzi gaben das Buch „Hamburg: Tor zur kolonialen Welt“ heraus, Wallstein-Verlag, 32 Euro.
Olaf Wunder

Inzwischen schon ein Standardwerk zur Kolonial-Geschichte Hamburgs: Professor Jürgen Zimmerer und sein Mitarbeiter Dr. Kim Todzi gaben das Buch „Hamburg: Tor zur kolonialen Welt“ heraus, Wallstein-Verlag, 32 Euro.

Dann tagte der Wissenschaftsausschuss und die rot-grüne Mehrheit entschied, noch einmal Mittel von insgesamt 150.000 Euro zur Verfügung zu stellen – wohlgemerkt für die beiden kommenden Jahre zusammen. Da die Forschungsstelle bisher ein Budget von 200.000 Euro jährlich hatte, bedeutet dies eine Kürzung um mehr als 60 Prozent. Die Folge: Die Mitarbeiter können nicht weiterbeschäftigt werden.

Norbert Hackbusch: „Nach zehn Jahren international anerkannter Forschung bleiben nur Ruinen“

Norbert Hackbusch von den Linken nennt die 150.000 Euro ein „Beerdigungsgeld“. „Damit wird die vom Senat definierte Aufgabe der Aufarbeitung der Geschichte beendet. Nach zehn Jahren international anerkannter Forschung und innovativer Projekte bleiben nur Ruinen.“

Sami Musa von der FDP sieht das ähnlich: „Die im Wissenschaftsausschuss beschlossene Weiterfinanzierung ist nur eine scheinbare. Faktisch bedeutet sie die Einstellung der Arbeit.“ Der Senat signalisiere damit, dass alles nur Lippenbekenntnisse gewesen seien und die Aufarbeitung des kolonialen Erbes für ihn in Wahrheit keine große Bedeutung habe.

Warum der Senat so agiert? Der Verdacht besteht, dass die Forschungsstelle zu unbequem geworden ist. Der Leiter, Professor Jürgen Zimmerer, hat die Stadt immer wieder offen kritisiert. Etwa für den Umgang mit dem Bismarck-Denkmal. Oder dafür, dass im Baakenhafen kein Dokumentationszentrum für die Kolonialverbrechen geschaffen wurde, obwohl dort die Schiffe mit den Soldaten ablegten, die im damaligen Deutsch-Südwestafrika zigtausende Herero und Nama massakrierten. Auch mit einflussreichen Familien hat er sich angelegt. Zimmerer kritisierte etwa die Hagenbecks dafür, dass sie nicht bereit seien, die Geschichte der Völkerschauen aufzuarbeiten.

Kolonial-Experte Prof. Zimmerer: „Seit einem Jahr keine konstruktiven Gespräche mehr“

Ist die Mittelkürzung nun die Retourkutsche? Sami Musa (FDP) vermutet ja. Die Forschungsstelle und ihre Mitarbeiter würden „abgestraft“.

Zimmerer selbst sagt gegenüber der MOPO, dass man mit ihm seit über einem Jahr keine konstruktiven Gespräche mehr über die Zukunft der Forschungsstelle geführt habe. Er war zu den letzten Bürgerschafts- und Ausschusssitzungen, bei denen die wichtigen Entscheidungen fielen, nicht eingeladen. Alles deute für ihn daraufhin, so Zimmerer, dass seine Arbeit an der kolonialen Aufarbeitung der Stadt „nicht länger gewünscht“ sei.

Was die Wissenschaftsbehörde zu alldem sagt? Sie dementiert, dass die Forschungsstelle aufgelöst werde. „Im Gegenteil. Sie wird stärker in der Uni Hamburg verankert“, so ein Sprecher. Die Universität Hamburg befinde sich „aktuell in einem Prozess, diese wichtige Forschung zur (post-)kolonialen Vergangenheit an der Fakultät für Geisteswissenschaften weiterzuentwickeln und in einen noch breiteren interdisziplinären Zusammenhang zu setzen.“

Ob Zimmerer weiter der Leiter bleibt, was mit den Mitarbeitern ist? Fragen dazu bleiben unbeantwortet.

Wissenschaftsbehörde: „Stelle wird nicht abgeschafft, sondern weiterentwickelt“

Norbert Hackbusch von den Linken überzeugt die Stellungnahme der Behörde nicht. Was da über die „Weiterentwicklung“ der Forschungsstelle gesagt werde, sei ihm zu schwammig und unklar. Vor allem sei es ein wesentlicher Unterschied, ob Forschung an der Uni betrieben werde oder an einer vom Senat finanzierten Forschungsstelle. In der Bundesrepublik herrsche Wissenschaftsfreiheit: Eine Uni nehme keine Aufträge von der Bürgerschaft entgegen.

Die Aufarbeitung des kolonialen Erbes Hamburgs, dem die Stadt einen nicht geringen Teil ihres Wohlstands verdankt, sei noch lange nicht beendet, so Hackbusch. Die Stadt dürfe sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Hackbusch fordert daher, dass die Forschungsstelle in der bisherigen Form bestehen bleibt. Mit Professor Zimmerer an der Spitze und einer ausreichenden Finanzierung.

Budget gekürzt, Stelle weg: Ist dieser Wissenschaftler dem Senat zu kritisch? wurde gefunden bei mopo.de

Please follow and like us:
Pin Share