Der Markt der 1000 Augen: So funktioniert der neue Cyber-Supermarkt in Hoheluft

Der Markt der 1000 Augen: So funktioniert der neue Cyber-Supermarkt in Hoheluft

Die Zeiten, in denen man beim Einkaufen persönlich mit seinem Namen begrüßt wird, sind schon lange vorbei. Jetzt gibt es in Hamburg einen Supermarkt, in dem man ganz ohne das freundliche „Frollein“ an der Kasse Besorgungen erledigen kann. Schummeln ist dabei übrigens nicht möglich: Jeder Kunde wird im Rewe-„Pick&Go“-Markt in der Hoheluftchaussee (Hoheluft-West) auf Schritt und Tritt von insgesamt 1000 Kameras beobachtet!

Wer beim Betreten des Rewe-Marktes an der Hoheluftchaussee den Blick nach oben richtet, sieht sie: Die 1000 Augen, die genau verfolgen, was der Kunde so tut. Eine Flasche Wein, ein Liter Milch, ein Müsli, ein Paket Butter landen so nicht nur in der Einkaufstasche, sondern auch auf einer virtuellen Liste, die das Computer-Vision-gestützte System für jeden Kunden individuell erstellt.

1000 Kameras beobachten die Kunden beim Shoppen und erstellen eine Einkaufsliste

Dabei wird jeder Kunde beim Betreten des Supermarktes mit einer Nummer versehen. Wenn Kunde 163 dann an ein Regal tritt, um ein Produkt herauszunehmen, hat die Kamera seine Bewegung erfasst. Gleichzeitig wird gemeldet, was Kunde 163 da genau aus dem Regal genommen hat. Denn: Jedes Regal steht auf Sensoren, die genau feststellen, um welche Gewichtsmenge das Gestell leichter wird.

Auch wenn man sich umentscheidet und das Produkt zurückstellt, wird das registriert. Selbst beim Abwiegen des Gemüses wird genau hingeschaut. „Tricksen ist nicht möglich“, betont Jochen Vogel, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Rewe Nord bei der Eröffnung des neuen Cyber-Supermarktes in Hamburg, der mit seinen 1200 Quadratmetern nun der größte „Pick&Go“-Markt in ganz Europa ist.

Der Rewe-Supermarkt an der Hoheluftchaussee wurde zum Cyber-Supermarkt umgebaut.
Florian Quandt

Der Rewe-Supermarkt an der Hoheluftchaussee wurde zum Cyber-Supermarkt umgebaut.

In Köln, Berlin, Düsseldorf und München gibt es bereits „Pick&Go“-Märkte, bei denen der Kunde am Ende seiner Bummeltour entscheiden kann, wie er bezahlen möchte: 1. kassenlos per App, 2. durch Scannen und Bezahlen am Self-Checkout-Terminal, wie in vielen Supermärkten bereits möglich, 3. durch Self-Checkout ohne Scannen, aber durch Computer-Vision-Unterstützung – oder 4. ganz klassisch beim „Frollein“ an der Kasse.

Geschäftsführung verspricht: „Es findet keine Gesichtserkennung statt“

Wichtig ist es Jochen Vogel zu betonen, dass die Kameras keine Gesichtserkennung durchführen. „Sie müssen es sich so vorstellen, dass die Kunden wie Strichmännchen erfasst werden”, so der REWE-Chef. Das System sei auch nicht in der Lage, Kunden bei einem erneuten Besuch wiederzuerkennen. Auch die Mitarbeiter würden durch die Kameras nicht überwacht.

Und überhaupt, die Mitarbeiter! Ihre Bedeutung streicht Vogel ebenso hervor wie Filialleiter Joshua Zimmermann. Fragen nach einem möglicherweise geplanten Abbau von Arbeitsplätzen weisen die Rewe-Verantwortlichen weit von sich. „Wir hatten vorher 45 Mitarbeiter in diesem Markt. Jetzt haben wir sogar 50!“, betont Zimmermann.

Eine von vier Bezahlmöglichkeiten beim REWE Pick&Go-Markt an der Hoheluftchaussee.
Florian Quandt

Eine von vier Bezahlmöglichkeiten beim REWE Pick&Go-Markt an der Hoheluftchaussee.

Statt an der Kasse brauche man das Personal jetzt im Bereich Sortimentspflege und Kundenbetreuung. „Wir wollen, dass die Kunden sich wohlfühlen. Warten und an der Kasse Schlange stehen braucht niemand“, so Zimmermann bei seinem Versuch der Imagepflege.

Tatsächlich steht der Rewe-Konzern aktuell finanziell enorm unter Druck. Laut dem Geschäftsbericht 2023 ist das Unternehmen mit 16 Milliarden Euro hoch verschuldet. Dass der Ersatz von Menschen durch Maschinen langfristig der Kostenreduzierung dienen könnte, liegt auf der Hand. Fällt der Betreuungsbedarf der Kunden nach der Einführungsphase des neuen Systems in der Hoheluftchaussee nicht irgendwann weg? Fragen wie diese weist ein Unternehmenssprecher als „tendenziös“ zurück.

„Pick&Go“-System: Schon bald eröffnet REWE in der Schanze einen zweiten Cyber-Supermarkt

Ob das Cyber-System von den Kunden in den anderen deutschen Städten überhaupt angenommen wird, will der Sprecher nicht verraten. „Besucher-Zahlen geben wir nicht bekannt.“ Auch die Kosten für die Umrüstung des REWE-Marktes an der Hoheluftchaussee, die sich von Dezember bis Juli hingezogen hat, sollen geheim bleiben. „Das ist eine Investition ins Kundenerlebnis”, erklärt Jana Sanktjohanser, Projektleiterin „Pick&Go“.

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Die Gewerkschaft Verdi sieht die Sache kritisch: „Der Arbeitsplatz der Beschäftigten in einem vollautomatisierten Supermarkt wird sich weitgehend auf Warenverräumung beschränken. Damit gehen die vorrangigen Tätigkeiten einer Verkäuferin bzw. eines Verkäufers, nämlich u.a. beraten, verkaufen, Warenpräsentation sowie der Kontakt zu den Kund*innen verloren“, so die stellvertretende Landesbezirksleiterin Heike Lattekamp zur MOPO. Zudem bestehe die Gefahr, dass die Beschäftigten auf Dauer abgruppiert würden und entsprechend weniger Lohn bzw. Gehalt erhalten. 

Geöffnet ist der neue Cybermarkt täglich von 7 Uhr bis Mitternacht. Am Samstag bis 23.30 Uhr. Und schon bald soll es einen zweiten Markt dieser Art in Hamburg geben: Im Herbst eröffnet der zweite „Pick&Go“-Markt von Rewe an der Altonaer Straße/Ecke Amandastraße (Schanzenviertel). Dort finden aktuell die Umbauarbeiten statt.

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