Ein Leben abseits der Flieger: „Du wohnst in Fuhlsbüttel? Kann ja gar nicht sein!“

Ein Leben abseits der Flieger: „Du wohnst in Fuhlsbüttel? Kann ja gar nicht sein!“

Fuhlsbüttel – mit diesem Namen verbinden viele Menschen zwei Dinge: Den Flughafen, als Startpunkt so mancher Urlaubsreise, und einen Knast, der nicht mal mehr in Fuhlsbüttel liegt. Kurzum, der Stadtteil ist für das Gros der Hamburger ein unbeschriebenes Blatt. Dessen Bewohner scheint das kaum zu stören. Unter dem Radar zu fliegen hat nämlich Vorteile. Moderate Mieten zum Beispiel. Oder das viele Grün, so vielfältig, dass andere vor Neid erblassen. Höchste Zeit also für eine Entdeckungstour.

Lutz Heimhalt (70) sitzt auf einer Bank und raucht. Als sich die MOPO-Reporter seinem Geschäft nähern, ist er auf den Beinen: „Herzlich willkommen“, sagt er, und lächelt. Wer Fuhlsbüttel kennenlernen möchte, ist gut beraten, bei Heimhalt vorbeizuschauen. Seinen Buchladen betreibt er schon seit 1987 am heutigen Standort am Erdkampsweg.

Hamburg: Auf Stadtteilrundgang durch Fuhlsbüttel

Die Straße ist der Mittelpunkt eines Stadtteils, der eigentlich kein Zentrum hat. Denn Fuhlsbüttel ist zweigeteilt: Rund zwei Drittel seiner Fläche werden vom Flughafen eingenommen. Dort wird geflogen – im restlichen Drittel wird gelebt. 2022 taten dies 13.603 Menschen. 2030 könnten es rund 15.000 sein, schätzt das Statistikamt Nord.

Blick in den Erdkampsweg
Florian Quandt

Blick in den Erdkampsweg

Heimhalts Buchladen ist ein Anlaufpunkt für Stammkunden und Nachbarn, die jemandem zum Reden brauchen. „Wir sind sowas wie eine Sozialstation“, sagt der Buchhändler, der sich mit Ehefrau Natalia Banakh (49) auch in der Ukraine-Hilfe engagiert.

Das könnte Sie auch interessieren: Boom-Stadtteil mit Potenzial: Warum es sich lohnt, hier vorbeizuschauen

„Ich fühle mich hier unheimlich wohl“, sagt Banakh. „Es ist gemütlich – und wir haben das Alstertal in der Nähe.“ Beim Blick auf die Sozialstruktur fällt eines auf: In fast allen Bereichen liegt Fuhlsbüttel nah am städtischen Durchschnitt. Sind dessen Einwohner also 0815-Hamburger? „0815 können die Fuhlsbüttler gar nicht sein – wir sind es ja auch nicht!“, sagt Banakh und lacht.

„Nehmen die uns einfach den Knast weg“

Als ihr Gatte jedoch erfährt, dass das berüchtigte Gefängnis „Santa Fu“ seit einer Grenzverschiebung nicht mehr zum Stadtteil gehört, ist er empört. „Nehmen die uns einfach den Knast weg.“ Früher habe es in Fuhlsbüttel noch Bauernhäuser gegeben, und Villen: „Reeder und Werftbetreiber hatten hier ihre Häuser.“

Rotklinkerbauten am Woermannsweg
Florian Quandt

Rotklinkerbauten am Woermannsweg

Wir machen uns auf den Weg, vorbei am Café Mutsch („meist proppenvoll“) und dem Elite Grand Café („da reichen die Portionen für Zwei“). Erster Halt: Wacholderpark. Unter Lindenlaubengängen können Besucher hier im Schatten spazieren gehen und das Sonnenlicht beim Funkeln durch das Blätterdach beobachten. „Wunderschön, oder?“

Vom Flughafen ist kaum etwas zu hören

Danach geht es weiter zur Fuhlsbütteler Schleuse, seit 2013 nur noch eine Wehranlage. Wir setzen uns, Heimhalt steckt sich eine an. Zeit, um über den Flughafen zu sprechen. Stört es nicht, als Fuhlsbüttler ständig damit assoziiert zu werden? „Überhaupt nicht“, findet er. Auch die Lärmbelästigung sei kein großes Thema. „In Langenhorn und Niendorf ist das Problem viel größer.“ Tatsächlich sind Flieger während unseres Rundgangs kaum zu hören. Etwa 15.000 Menschen sind am Airport beschäftigt, viele davon leben im Stadtteil.

Florian Quandt
Einer der Lindenlaubengänge im Wacholderpark. Das Sonnenlicht funkelt durchs Blätterdach.

Einer der Lindenlaubengänge im Wacholderpark. Das Sonnenlicht funkelt durchs Blätterdach.


Die Fuhlsbüttler Schleuse fungiert heute nur noch als Wehranlage – ein Hingucker ist sie nach wie vor.

Die Fuhlsbüttler Schleuse fungiert heute nur noch als Wehranlage – ein Hingucker ist sie nach wie vor.

Florian Quandt
Sie sind seit Jahren im Stadtteil aktiv: Jürgen Lettmann (63, l.) und Nicola Kleist (66) vom Verein Backstube Fuhlsbüttel.

Sie sind seit Jahren im Stadtteil aktiv: Jürgen Lettmann (63, l.) und Nicola Kleist (66) vom Verein Backstube Fuhlsbüttel.

Florian Quandt
Er kam 1981 nach Hamburg: Wong Chi Sing (57), Inhaber des Restaurants „Shanghai“ am Kleekamp.

Er kam 1981 nach Hamburg: Wong Chi Sing (57), Inhaber des Restaurants „Shanghai“ am Kleekamp.

Florian Quandt
Der U-Bahnhof Fuhlsbüttel

Der U-Bahnhof Fuhlsbüttel

„Der Flughafen war immer gut zu uns“, meint auch Nicola Kleist (66) vom Verein „Backstube Fuhlsbüttel“, der sein Vereinshaus gleich neben der Schleuse hat. Seit 44 Jahren lebt sie schon im Stadtteil, sitzt in zahllosen Gremien. Woher kommt die Energie? „Es macht mir einfach Spaß“, sagt sie. An Fuhlsbüttel gefällt ihr die bodenständige und unaufdringliche Art seiner Bewohner. Anderswo ernte sie Erstaunen, wenn sie über ihren Wohnort spricht: „Du wohnst in Fuhlsbüttel? Kann ja gar nicht sein!“, heißt es dann oft.

Der Gastronom liebt die Natur und vermisst Banken

Gleich neben dem U-Bahnhof Fuhlsbüttel liegt das Restaurant „Shanghai“. Ein Klassiker und beliebt bei den Alteingesessenen. Inhaber Wong Chi Sing (57) lässt sich mit einem Bier auf der Terrasse nieder und erzählt. 1981 kam er aus Hongkong nach Hamburg, führt seither den Familienbetrieb. Gerade hat er einen Koch aus China engagiert. Die Suche dauerte ein Jahr. Auch Wong mag das Grün, das Wasser. Eines aber fehle: „Banken. Immer mehr schließen ihre Filialen.“

Das könnte Sie auch interessieren: Rundgang durchs Reichenviertel: „Mehr als Blankeneser kann ein Hamburger nicht sein“

Der Bezirk Nord hat sich mit dem Konzept „Fuhlsbüttel 2040“ zum Ziel gesetzt, den Stadtteil in den kommenden Jahren lebenswerter zu machen. 40 Maßnahmen in den Bereichen Kultur, Gewerbe, Wohnen und Mobilität sind in Planung. So soll der Erdkampsweg verkehrsberuhigt werden, mit durchgängig Tempo 30. Lutz Heimhalt würde das freuen: Am Tempo-Flickenteppich vor seiner Ladentür stört er sich schon lange.

Ein Leben abseits der Flieger: „Du wohnst in Fuhlsbüttel? Kann ja gar nicht sein!“ wurde gefunden bei mopo.de

Please follow and like us:
Pin Share