Ein Messer im Büro: Als Amir Angst hatte, für einen Terroristen gehalten zu werden

Ein Messer im Büro: Als Amir Angst hatte, für einen Terroristen gehalten zu werden

Am Tag nach dem Attentat in Solingen fuhr Amir Athara voller Sorge ins Büro. Er war nicht sicher, wo er sein Messer hingelegt hatte. Lag es womöglich gut sichtbar auf seinem Schreibtisch? Was passiert mit ihm, wenn ein misstrauischer Kollege meldet, dass er ein Messer an seinem Platz hat? Im Büro fand er sein Obstmesser eingewickelt in einer Serviette in der Schublade seines Schreibtischs. Dort, wo es jeden Tag lag. So, wie es auch viele seiner Kollegen machten. Amir Athara aber ist Syrer. Und hatte plötzlich Angst, als Terrorist gesehen zu werden.

So wie Amir geht es vielen Flüchtlingen. Die MOPO traf Menschen aus Syrien und Afghanistan, die hier in Hamburg teilweise schon Jahre leben, arbeiten, sich engagieren. Und seit der aufgeheizten Debatte um konsequente Abschiebungen, sofortigem Aufnahmestopp an den Grenzen und steilem Machtaufbau der AfD Angst haben. Um sich, um Deutschland und um die Zukunft.

Fakhira Menzel (44) war zwölf, als sie mit ihrer Familie aus Afghanistan flüchtete. Nachdem dort der „Islamische Staat“ ausgerufen worden war, wurde es für ihre Familie gefährlich. „Wir mussten über Nacht fliehen. Meine Eltern waren beide Diplomaten“, sagt Menzel.

Die gebürtige Afghanin Fakhira Menzel.
/ Florian Quandt

Die gebürtige Afghanin Fakhira Menzel.

Trotzdem dauerte es viele Jahre, bis Menzels Familie als politisch verfolgt anerkannt wurde und ein dauerhaftes Bleiberecht erhielt. „Erst als nach dem 11. September 2001 das Regime in Afghanistan als Terrorregime eingestuft wurde, galten wir offiziell als politisch Verfolgte“, sagt sie. Bei ihrer Arbeit erlebt sie oft, dass Menschen mit Migrationshintergrund das Gefühl haben, in Deutschland nicht willkommen zu sein und nicht gebraucht zu werden. So hat sie den Verein „BIN“ gegründet, der Menschen mit Migrationshintergrund bei der beruflichen Integration hilft. „Oft wird unterschieden zwischen Fachkräften und Geflüchteten“, sagt Menzel. „Viele Firmen wollen gern fertige Fachkräfte haben, die sofort arbeiten können und sind nicht bereit, in die Integration von Menschen zu investieren“, sagt sie.


Munir Safi (31)

Munir Safi (31)

hfr
Amir Athara (42)

Amir Athara (42)

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Die gebürtige Afghanin und ihre Kollegin Hadis Moussavi (42), die als Kleinkind aus dem Iran nach Deutschland kam und inzwischen als Projektleitung der Afghanistanberatung arbeitet, schauen mit Sorge auf die aktuelle Abschiebedebatte. Menzel kritisiert auch die vielen bürokratischen Hürden, die Geflüchtete durchstehen müssen, bevor sie überhaupt arbeiten dürfen. „Wenn wir diese Menschen ausgrenzen, dann werden sie zur leichten Beute für Extremisten“, warnt sie.

Immer wieder das Gefühl der Ausgrenzung

Das Gefühl der Ausgrenzung kennt Amir Athara* (*Name geändert) ebenfalls gut. Als Pharmazie-Student in Münster, in den Jahren 2001 bis 2008, fand der heute 42-jährige Syrer sich am Ende fast immer in der „Ausländer-Gruppe“ wieder. „Die deutschen Kommilitonen blieben lieber unter sich, auch weil ich schon bald keinen Alkohol trank, nicht so mitfeiern konnte“, sagt Amir. Als er einige Scheine im Studium nicht schaffte, verlor er seinen Aufenthaltsstatus, musste zurück nach Syrien.

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Erst sieben Jahre später, im Sommer 2015, machte er sich aus der Türkei nach Deutschland auf. Mit dem Boot, zu Fuß, im Transporter. In Passau stoppte die Polizei den Sprinter, in dessen Laderaum Amir und 30 andere Menschen standen. Amir wurde nach Hamburg geschickt. „Da ich Deutsch sprach, ging der Aufnahmeablauf bei mir schnell“, erzählt er. Direkt nach seiner Ankunft in der Hansestadt hat der 42-Jährige sich ehrenamtlich engagiert, übersetzt, vermittelt. Schnell fand er Arbeit, eine eigene Wohnung. Er studierte später Soziale Arbeit, steht inzwischen kurz vor der Verbeamtung.

Trotzdem er als Vorzeige-Flüchtling gilt, wie viele über ihn sagen, ist er beunruhigt, ob der aktuellen Stimmung in Deutschland. „Ich habe Menschen in meinem Umfeld, die arbeiten oder studieren, hier gut integriert sind und jetzt überlegen, das Land zu verlassen“, erzählt er. Mehrfach wurde er nach dem Attentat in Solingen von Bekannten und Kollegen gefragt, warum er und andere Landsleute nicht auf die Straße gehen und zeigen, dass nicht alle Flüchtlinge Gewalttäter sind. „Das ist für viele nicht zu verstehen. Aber ich lebe inzwischen länger in Deutschland als in Syrien. Ich fühle mich nicht verantwortlich für das, was ein einzelner psychisch labiler Mensch getan hat“, sagt er. Auch wenn er Syrer ist.

„Welche Partei soll ich als Deutsch-Syrer denn wählen?“

Seit 2021 ist Amir deutscher Staatsbürger, er darf seit kurzem wählen. „Aber ich weiß nicht, welche Partei ich wählen soll. Keine Partei hat Integration richtig verstanden, denke ich“, so Amir. Deutschland sei das Beste, was ihm passiert sei. Er hatte Glück. Und Potenzial. Das weiß er. „Doch wo ist die Demo gegen Rechts, wenn die AfD in Thüringen zur stärksten Partei gewählt wird?“, fragt er.

Munir Safi hingegen wäre gerne nach dem Solinger Attentat auf die Straße gegangen, um zu zeigen: „Damit haben wir nichts zu tun, wir sind gut“, sagt der 31-Jährige Syrer entschlossen. Wann immer er von Gewaltvorfällen in Deutschland in den Nachrichten liest, denkt er: „Hoffentlich war es kein Syrer.“ In Solingen selbst gingen Landsleute übrigens auf die Straße gegen Terrorismus.

„Ich bin bereit, alles zu geben!“

Safi ist aktuell in Deutschland geduldet, da er in Spanien aufgegriffen wurde auf dem Weg nach Hamburg zu seinem Bruder. Der studierte Computer-Experte hat viele Jahre im Libanon verbracht, einige Zeit in Schweden gelebt und für diverse NGOs (Nichtregierungsorganisationen) in der Flüchtlingshilfe gearbeitet. Er spricht noch kein Deutsch, dafür fließend Englisch. Auch er hat Erfahrung mit Ausgrenzung und Abweisung. Doch er bleibt positiv. Trotz des großen Zuspruchs der AfD und der verschärften Flüchtlingsdebatte in Deutschland. Munir Safi kämpferisch: „Ich bin bereit, hier alles zu geben und sobald ich eine Arbeitserlaubnis habe, zeige ich das.“

Ein Messer im Büro: Als Amir Angst hatte, für einen Terroristen gehalten zu werden wurde gefunden bei mopo.de

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