Er war der gefährlichste Neonazi im Norden – jetzt warnt er: „Wählt nicht rechts!“

Er war der gefährlichste Neonazi im Norden – jetzt warnt er: „Wählt nicht rechts!“

Rechtsextremisten sprechen viel von „Volk“ und „Volksgemeinschaft“ und behaupten, ihnen liege das Wohlergehen Deutschlands am Herzen. „Aber das ist Unsinn. Rechtsextremisten wollen nicht, dass es Deutschland gut geht, sie wollen, dass es Deutschland so schlecht wie möglich geht. Je mehr Krisen, desto besser. Denn sie glauben, das bringt sie ihrer Machtübernahme näher.“

Der Mann, der das sagt, weiß, wovon er spricht. Philip Schlaffer war einmal einer der gefährlichsten und gefürchtetsten Neonazis in Norddeutschland. Und heute? Da hält der Mann, der in Stockelsdorf bei Lübeck wohnt, Vorträge in Schulen, arbeitet für den Verein „Extremislos“, betreibt einen eigenen Youtube-Channel (EX – Rechte Rotlicht Rocker – Philip Schlaffer) und hat außerdem ein vielbeachtetes Buch geschrieben. Philip Schlaffer wird nicht müde, seine Geschichte zu erzählen: Wie er hineingeriet in diesen braunen Sumpf – und wie wieder raus. Seine Hoffnung dabei ist, junge Menschen davor zu bewahren, dieselben Fehler zu machen wie er.

Philip Schlaffer sagt: „Extremisten lösen keine Probleme, sie sind das Problem“

Schlaffers dringender Appell an die Öffentlichkeit angesichts der drei bevorstehenden Wahlen in Ostdeutschland: „Macht Euer Kreuz bloß nicht bei der AfD!“ Mit Schrecken stelle er fest, erzählt er, wie viele Menschen vor allem im Osten davon überzeugt seien, dass diese Partei die vielen Probleme des Landes lösen und die Krisen bewältigen werde. Schlaffer schüttelt mit dem Kopf und sagt: „Extremisten lösen keine Probleme, sie sind das Problem.“

2020 kam Philip Schlaffers Autobiographie „Hass. Macht. Gewalt“ in den Buchhandel. Das Buch war in der ersten Woche auf Platz 16 der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch.
Droemer-Verlag

2020 kam Philip Schlaffers Autobiographie „Hass. Macht. Gewalt“ in den Buchhandel. Das Buch war in der ersten Woche auf Platz 16 der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch.

Philip Schlaffer ist 1,90 Meter groß, hat breite Schultern, ist ein Mann wie ein Kleiderschrank. Daran, dass er mal ein anderer Mensch war als heute, erinnern die Tattoos, die den größten Teil seines Körpers bedecken. Immerhin hat er die schlimmsten entfernen lassen. Auf dem Nacken trug er die Unterschrift von SS-Chef Heinrich Himmler – heute grinst dort ein Affe. Auf dem Bauch, wo früher das Hakenkreuz prangte, ist jetzt Alf zu sehen, eine Science-Fiction-Figur aus einer TV-Serie der 80er Jahre – „der Held meiner Kindheit“, sagt Schlaffer und grinst.

Aus dem Schulversager wird der Schulschläger. Er gründet die „Kameradschaft Werwolf“

1978 wird Schlaffer in Stockelsdorf bei Lübeck geboren. Er wächst in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Alles läuft perfekt – bis der Vater, ein Diplom-Ingenieur, von seiner Firma nach Newcastle im Norden Englands geschickt wird. Der deutsche Junge wird anfangs von seinen Mitschülern verprügelt, bespuckt, als Nazi-Schwein beschimpft. Er hat es mächtig schwer, sich in England einzuleben, aber es gelingt ihm. „Irgendwann war ich ein richtiger Engländer.“

Philip Schlaffer (r.) zu Besuch bei einer anderen Motorrad-Gang.
privat

Philip Schlaffer (r.) zu Besuch bei einer anderen Motorrad-Gang.

Der Absturz kommt, als die Eltern nach drei Jahren zurück nach Deutschland gehen. Philip spricht nur noch gebrochen Deutsch, seine alten Freunde wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben, die Noten sind schlecht. Diesmal kriegt er die Kurve nicht. Als Außenseiter sucht er Kraft in der Musik, erst bei den Böhsen Onkelz, dann bei rechtsextremen Bands wie Endstufe, Landser, Volkszorn und Störkraft. „Ich hatte das Gefühl, alle sind gegen mich, die Eltern, die Schule, die ganze Gesellschaft – und diese Bands haben darüber gesungen.“

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Immer tiefer gerät er in die rechte Szene, weil er dort die Gemeinschaft und die Anerkennung findet oder zu finden glaubt, die ihm versagt geblieben sind. Er rasiert sich die Haare, kauft sich Bomberjacke und Springerstiefel und aus dem Schulversager wird ein Schulschläger. Wer ihm in die Quere kommt, ihn schief anguckt, kriegt auf die Fresse. Mit 19 wird ihm die erste Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung aufgebrummt.

Sein Motorradclub „Schwarze Schar“ beherrscht Rotlicht und Drogenhandel

Philip Schlaffer wird zu einer großen Nummer im Rechtsextremismus. Er betreibt einen Versandhandel, versorgt die Szene mit Nazi-Musik und -Mode. Schließlich zieht er wegen einer Frau nach Wismar, wo er Gleichgesinnte um sich schart und die „Kameradschaft Werwolf“ gründet. Später hebt er den Outlaw-Motorradclub „Schwarze Schar“ aus der Taufe, der Drogenhandel und Prostitution beherrscht und sich sich zur gefährlichsten kriminellen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommerns mausert.

Was genau dazu geführt hat, dass Schlaffer ausgestiegen ist? Diese Frage wird ihm oft gestellt. „Da gab es nicht ein Ereignis. Das war ein langer Prozess“, sagt er. „Es ging damit los, dass mir klar wurde, dass die angeblichen Kameraden gar keine sind. Von wegen, wir halten alle zusammen! Die Wahrheit war, dass wir uns, sobald genug Bier geflossen war, gegenseitig die Fresse eingehauen haben.“ Eine große Zäsur stellt ein Mord dar: Einer aus der „Kameradschaft Werwolf“ schneidet volltrunken einem seiner Kumpel die Kehle durch – aus Wut darüber, dass der ihm während einer Schlägerei den Teppich mit Blut besudelt hat.

Philip Schlaffer (M.), damals Präsident des Outlaw-Motorcycle-Clubs „Schwarze Schar“, mit seinen Männern. Die Gang aus Wismar kontrollierte das Rotlichtmilieu und die Drogenszene in Mecklenburg-Vorpommern.
privat

Philip Schlaffer (M.), damals Präsident des Outlaw-Motorcycle-Clubs „Schwarze Schar“, mit seinen Männern. Die Gang aus Wismar kontrollierte das Rotlichtmilieu und die Drogenszene in Mecklenburg-Vorpommern.

Der Druck, sein Leben mit der brachialen Härte eines Schwerverbrechers führen zu müssen, nagt zunehmend an Schlaffer. Er leidet unter Migräne, Schlafstörungen, Depressionen. Er will aussteigen, weiß aber nicht, wie. „Du hast ja keine anderen Freunde mehr, du hast doch nur die Gang. Du weißt nicht, gibt dir die Gesellschaft nochmal eine zweite Chance?“

Neonazi-Szene hasst den Aussteiger: Im Netz wird er beleidigt und bedroht

Als die Behörden 2013 die „Schwarze Schar“ verbieten, ist es für Schlaffer wie eine Erleichterung. „Ich habe dem LKA-Beamten bei der Durchsuchung gesagt: ,Ihr tut mir einen Gefallen.‘ Ich war froh, dass es vorbei war.“

Von Philip Schlaffer gegründet: die „Kameradschaft Werwolf”, eine rechtsextremistische Truppe aus Wismar.
privat

Von Philip Schlaffer gegründet: die „Kameradschaft Werwolf“, eine rechtsextremistische Truppe aus Wismar.

Zweieinhalb Jahre muss Schlaffer in den Knast. Ein Gefängnispsychologe und eine evangelische Seelsorgerin helfen ihm, den braunen Ballast abzuwerfen. Seine Familie, seine Geschwister, seine Eltern stehen hinter ihm. Und er findet eine Frau, die ihn liebt und zu ihm hält – trotz seiner Vergangenheit. „Das ist das größte Glück meines Lebens“, sagt er.

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Inzwischen ist er seit acht Jahren aus dem Knast raus, hat jeden Kontakt zu ehemaligen Weggefährten abgebrochen. Weil er die Seiten gewechselt hat, hasst die deutsche Neonazi-Szene ihn. Regelmäßig wird er im Netz beleidigt und bedroht. „Sei hart, sei kein Schlaffer“ ist noch das Harmloseste, was die Leute schreiben. Fußballstadien und Boxkämpfe meidet er – „dort könnten Typen aus dem Milieu abhängen“. Bei Lieferdiensten hat er sich sperren lassen – „weil sich sonst irgendwer den Spaß macht, mir Berge von Pizza oder dergleichen nach Hause liefern zu lassen“.

Er hält Vorträge an Schulen, berät Aussteiger, bekämpft Nazi-Geheimcodes

Einen großen Teil seiner Zeit widmet Schlaffer der Arbeit gegen den Rechtsextremismus. „Fast jede Woche melden sich bei mir Leute aus der Szene, die rauswollen und nicht wissen, wie. Sie haben das Bedürfnis, mit jemandem zu reden, der diesen Weg schon gegangen ist. Ich mache ihnen Mut, sage ihnen, wo es Aussteigerprogramme gibt, die ihnen Hilfestellung geben können.“

Im Laufe der vergangenen Jahre ist Schlaffer an Dutzenden von deutschen Schulen aufgetreten, um vor Rechtsextremismus zu warnen. Aktuell engagiert er sich gezielt im Kampf gegen Neonazi-Onlineshops. Er unterstützt den Hamburger Verein „Laut gegen Nazis“ dabei, die Markenrechte für Nazi-Geheimcodes zu erwerben – und sie so der Szene zu entziehen.

Philip Schlaffer mit seiner damaligen Lebensgefährtin.
privat

Philip Schlaffer mit seiner damaligen Lebensgefährtin.

Einer dieser Geheimcodes lautet „ennes“ wie NS oder Nationalsozialismus. „18“ steht für Adolf Hitler und „HKN KRZ“ für Hakenkreuz. Klamotten mit solchen Schriftzügen sind Bestseller, denn Rechtsextremisten können damit ganz legal zum Ausdruck bringen, wo sie stehen.

Indem „Laut gegen Nazis“ die Markenrechte für solche Geheimcodes erwirbt, macht der Verein den Nazi-Shopbetreibern einen Strich durch die Rechnung. Verkaufen die weiter Kleidung mit solchen Codes, werden sie verklagt. „Für die Szene ein harter Schlag“, ist Philip Schlaffer überzeugt.

„Dass die AfD zur politisch stärksten Kraft in Sachsen wird, müssen wir gemeinsam verhindern“

Der ehemalige Neonazi ist zum unerbittlichen Gegner der rechtsextremistischen Szene geworden. Der Kampf sei wichtig, sagt der 46-Jährige „Der Rechtsruck in Deutschland macht mir Angst. Zu meiner Zeit haben Neonazis von einer rechtsextremistischen Partei, die in allen Parlamenten vertreten ist, nur träumen können.Der ehemalige Neonazi ist zum unerbittlichen Gegner der rechtsextremistischen Szene geworden. Der Kampf sei wichtig, sagt der 46-Jährige „Der Rechtsruck in Deutschland macht mir Angst. Zu meiner Zeit haben Neonazis von einer rechtsextremistischen Partei, die in allen Parlamenten vertreten ist, nur träumen können. Heute ist dieser Albtraum Realität. Jetzt sieht es so aus, als würde die AfD in Thüringen stärkste politische Kraft und in Sachsen vielleicht auch.“ Schlaffer schüttelt mit dem Kopf: „Das müssen wir verhindern.“

Er war der gefährlichste Neonazi im Norden – jetzt warnt er: „Wählt nicht rechts!“ wurde gefunden bei mopo.de

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