Ganz groß, ganz klein: Sechs Thesen zur Doppelwahl

Ganz groß, ganz klein: Sechs Thesen zur Doppelwahl

Verrückt: Am Sonntag findet eine Doppelwahl statt, die sich eigentlich wunderbar ergänzt: Bei der Abstimmung zum EU-Parlament geht’s um das ganz Große: die Leitplanken europäischer Gesamtstrategien zu Monster-Themen wie Klimaschutz, Migration, Verteidigung und Verbraucherschutz. Und bei der Bezirkswahl um die ganz konkrete Gestaltung unser aller Nachbarschaften. Einerseits: Was will man mehr?! Anderseits: Kennen Sie jemanden, den das inhaltlich, abseits einer allgemeinen Sorge vor einem Rechtsruck, elektrisiert? Was ist da eigentlich los? Der Versuch einer Orientierung.

1. Eines ist mal klar: Hin da! Das Schlimme ist ja die Bräsigkeit, die sich einschleicht: Spitzenkandidat ist SS-Fan? Ach, ja, wen wundert’s noch? Der andere geschmiert von Russland? Und da hat China bezahlt? Krass, aber ja nur folgerichtig. Neun Jahre ist der Rechtspopulismus in Deutschland auf dem Vormarsch. Und während inzwischen Millionen Menschen die Bagage einfach wählen, egal wie groß deren Skandale sind, sind viele müde von den endlosen Empörungsschleifen und Tabubrüchen und genervt vom Ampel-Gehampel. Jetzt aber nicht wählen zu gehen, wäre fatal. Die zwielichtige Trümmertruppe der AfD abzufangen, ist wichtig. Denn:

2. Die Messer-Attacke von Mannheim auf einen Islam-Kritiker, bei der ein Polizist ums Leben kam, bestätigt die berechtigten Sorgen vieler vorm wachsenden Einfluss von Islamisten und ist Wasser auf die Mühlen der AfD. Lippenbekenntnisse zur Bekämpfung der Kalifat-Fans gab es genug. Es braucht Ergebnisse. Nur: Dass ausgerechnet die Knallchargen der AfD die superkomplexen Probleme bei den Themen Grenzschutz, Abschiebungen und Asylrecht rechtssicher in den Griff bekommen, glauben die wahrscheinlich selbst nicht.

Worum geht’s hier überhaupt? Wer kann das schon so genau sagen?

3. Der Einfluss der extremen Rechten in Europa ist bereits groß und wächst. Italien, Frankreich. Österreich, Ungarn: Alles Länder, in denen es Mehrheits-Potenzial für Parteien gibt, die mühsam erarbeitete Fortschritte im Umweltschutz zurückdrehen würden und deren Positionen in Teilen die Axt an die Werte der europäischen Idee legen. Mit der zuletzt vollzogenen Abgrenzung zur AfD haben zwar selbst Europas Rechtspopulisten eine Art Brandmauer gegen NS-Gedankengut gezogen, doch das halten viele für ein rein taktisches Geplänkel für die Wahl.

4. Aber worum geht’s hier überhaupt? Das Skurrile ist ja: Wer kann das schon so genau sagen? Ist Ihnen klar, wofür die einzelnen Parteien sich da konkret starkmachen? Freiheit, Frieden, Schubidu: Die Kommunikation der Parteien in diesem irgendwie blutleer wirkenden EU-Wahlkampf wirkt auf Plakaten noch blumiger als sonst. Können Sie die Spitzenkandidaten der Parteien und ihre Positionen benennen? Neben Strack-Zimmermann und ihrer Ukraine-Linie kommt erst mal: nix. Wer sich inhaltlich auseinandersetzen will, muss sich Entscheidungshilfen erarbeiten. Aus meiner Sicht versagen die Parteien bei der Kommunikation der entscheidenden Themen.

Die Sitzverteilung nach der Wahl 2019. In Umfragen liegt in Deutschland die CDU bei rund 30 Prozent. Es folgen AfD, SPD und Grüne mit jeweils 14 bis 15 Prozent. Dahinter das BSW mit 6,3, die FDP mit 3,9 und die Linke mit 3,3 Prozent.
Europaparlament

Die Sitzverteilung nach der Wahl 2019. In Umfragen liegt in Deutschland die CDU bei rund 30 Prozent. Es folgen AfD, SPD und Grüne mit jeweils 14 bis 15 Prozent. Dahinter das BSW mit 6,3, die FDP mit 3,9 und die Linke mit 3,3 Prozent.

5. Und was ist mit der Bezirkswahl? Viele junge Kandidaten sind auf den Plakaten zu sehen. Sie sind, wie die alten, engagiert und verbringen viele Abende auf langweiligen Sitzungen und in endlosen Gesprächen zu oft eher drögen Themen. Sie bilden die Basis unseres politischen Systems und machen das, worauf von uns kaum einer Lust hat. Müssen sich beschimpfen und verhauen lassen. Entscheiden über Bau- und Verkehrsprojekte. Wählen den Bezirks-Bürgermeister, der mit der Verwaltung in Ihrem Viertel den Alltag reguliert und prägt. Alle Politiker doof zu finden ist schlicht und bequem. Diese Leute hängen sich rein, weil sie etwas verändern wollen. Ruhm und Reichtum ist da nicht zu holen, jede Menge Arbeit schon. Mal ab davon, dass schon der Respekt es verlangt, für sie abzustimmen – es soll sonst auch keiner über Parkplatz-Politik und Stadtteil-Gestaltung klagen! (Helfen würde es natürlich, wenn man auf den Plakaten nicht nur irgendwelche Leute sehen würde, sondern auch nur ansatzweise wüsste, was die eigentlich vorhaben).

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6. Am Freitag auf die Straße! Das machtvolle Bekenntnis der wohl 180.000 Menschen, die im Januar in Hamburg gegen Rechtsextremismus auf die Straße gingen, hat die AfD getroffen. Weil es die Erzählung von der angeblichen Mehrheit auf ihrer Seite beschädigt hat. Die kümmerliche Reaktion mit den Vorwürfen der Bildmanipulation, die von Höcke und Co. kamen, sprachen da Bände. Die grundsätzliche Idee, Probleme gemeinsam anzugehen und nicht gegeneinander, gibt Kraft und macht Mut, wenn sie von so vielen Schultern getragen wird.

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