Gefährlicher Leichtsinn: Wie Eltern das Leben ihrer Kinder am Elbstrand riskieren

Gefährlicher Leichtsinn: Wie Eltern das Leben ihrer Kinder am Elbstrand riskieren

Etwas mehr als eine Woche ist es her, da verschwand ein zehnjähriges Mädchen in der Elbe – spurlos. Das Kind war mit seiner Familie am Falkensteiner Ufer (Blankenese) baden. Plötzlich ging es vor den Augen seiner Eltern unter, mitgerissen von der Strömung. Eine Suchaktion blieb ohne Erfolg. Ertrinkungsunfälle wie diese gehören zu den traurigen wie regelmäßigen Nachrichten des Sommers. Dabei warnt die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) seit Jahren eindringlich vor den Gefahren, die von dem Fluss ausgehen. Doch von einem Bewusstseinswandel sind viele Badegäste weit entfernt.

Am Dienstagnachmittag ist der Elbstrand von Övelgönne (Othmarschen) rappelvoll. Kein Wunder: Die Sonne scheint, der Himmel ist wolkenfrei, das Thermometer misst 31 Grad im Schatten. Viele Menschen haben nur eines im Sinn: Ab ans Wasser! Auf Höhe der „Strandperle“ tummeln sich die Badegäste am Ufer, sonnen sich, schwimmen. Kinder spielen am Ufer.

Hamburg: Wie Eltern das Leben ihrer Kinder am Elbstrand riskieren

Augustin V. (32) kommt aus dem Wasser gestiegen. Gerade war er ein gutes Stück hinaus und schließlich am Ufer entlanggeschwommen – der Strömung entgegen. Kein leichtes Unterfangen, aber Augustin V. hat es geschafft. „Ich bleibe immer im flachen Wasser“, sagt der junge Mann aus Berlin.

Dass die Elbströmung sogar den geübtesten Schwimmer in die Fahrrinne zieht, wisse er nicht. „Schließlich komme ich nicht aus Hamburg.“ Für die Kinder am Strand tauge er womöglich nicht als Vorbild, räumt Augustin V. ein. „Aber ich bin erfahren und weiß, was ich tue.“

Augustin V. (32) ist aus Berlin zu Besuch in Hamburg. Er traut sich das Schwimmen in der Elbe zu.
Florian Quandt

Augustin V. (32) ist aus Berlin zu Besuch in Hamburg. Er traut sich das Schwimmen in der Elbe zu.

Dabei ist die Empfehlung der DLRG glasklar: Kein Schwimmen im Fluss. „Die Elbe ist eine der meistbefahrenden Wasserstraßen Europas“, sagt Heiko Mählmann, Präsident der DLRG Hamburg. „Dort haben wir gegenläufige Strömungen, Tidewechsel, Stacks.“ Auch könne der Sog vorbeifahrender Schiffe Menschen ins Wasser ziehen, selbst wenn sie nur darinstehen. Mählmann nennt es den „Tsunami-Effekt“.

Besonders davon gefährdet sind junge Badegäste. Sein Rat: „Kinder nicht aus den Augen lassen und nie mehr als eine Armlänge Abstand halten.“ Im Notfall sollten Eltern in der Lage sein, jederzeit zugreifen zu können. Ist ein Kind erstmal unter Wasser, werde es kritisch: „Die Sichtweite beträgt nur wenige Zentimeter, man sieht die Hand vor Augen nicht!“ Also auch ein Kind nicht.

Heiko Mählmann, Präsident der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft Landesverband Hamburg e. V. warnt ausdrücklich vor dem Baden in der Elbe. (Archivfoto)
dpa

Heiko Mählmann, Präsident der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft Landesverband Hamburg e. V. warnt ausdrücklich vor dem Baden in der Elbe. (Archivfoto)

In Övelgönne scheint sich der Rat der Lebensretter noch nicht herumgesprochen zu haben. Ein Stück den Strand hinunter steht ein Vater am Ufer. Mit seinem Handy fotografiert er seinen Sohn im Grundschulalter, der etwa vier Meter entfernt im Wasser schwimmt. Auf den Todesfall am Falkensteiner Ufer angesprochen, reagiert der Mann defensiv, will vom Unglück nichts gehört haben. „Solange das Kind noch stehen kann, ist doch alles ok“, meint er.

Nicht alle sind über die Aufklärungsarbeit erfreut

Ähnlich halten es Katharina Graf (42) und Martin Ziegler (43). Das Paar aus Würzburg macht mit seinen zwei Töchtern Urlaub in Hamburg. „Wir sind immer wieder schockiert, von solchen Ertrinkungsfällen zu hören“, sagt Graf, die dicht neben ihren Kindern am Wasser steht. Ein Elternteil passe immer auf, beteuert sie. „Unsere Regel lautet: Nur bis zum Bauchnabel rein.“

Katharina Graf (42) und Martin Ziegler (43) aus Würzburg. Mit ihren Kindern haben sie klare Baderegeln vereinbart, sagen sie.
Florian Quandt

Katharina Graf (42) und Martin Ziegler (43) aus Würzburg. Mit ihren Kindern haben sie klare Baderegeln vereinbart, sagen sie.

Heiko Mählmann sind solche Erklärungen altbekannt. Seine Helfer von der DLRG patrouillieren an Wochenenden am Elbstrand. Um aufzupassen, aber auch aufzuklären: „Viele Angesprochene reagieren unwissend, manche ungehalten“, berichtet Mählmann. „Was wollt ihr denn?“, hieße es dann. Letztlich können die Ehrenamtlichen nur auf die Gefahr hinweisen, verboten ist das Schwimmen in der Elbe nicht.

Wie riskant das Baden in Hamburgs Gewässern ist, verdeutlicht die DLRG-Jahresstatistik. Die traurige Bilanz der Retter für das vergangene Jahr: 21 Ertrinkungstode in Elbe, Alster und Co. – ein Zuwachs um 110 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Elbe: Junge Nichtschwimmerin paddelt alleine im Wasser

So geht im Juni 2023 ein 39-jähriger Mann beim Schwimmen in Övelgönne unter, einen Tag später findet die Feuerwehr seinen Leichnam. Im Juli verschwindet ein 16-jähriger Badegast am Falkensteiner Ufer, ein Segler entdeckt nach vier Tagen seinen leblosen Körper. Wenige Wochen später ertrinkt erneut ein Jugendlicher (15) am Falkensteiner Ufer. Er war von einem Stack – einem Steindamm, der bis in die tiefere Elbe reicht – ins Wasser gesprungen und nicht wieder aufgetaucht.

Der Strandabschnitt in Blankenese gilt als besonders tückisch, weil die Strömungsverhältnisse zwischen den Stacks unvorhersehbar sind. Um die Menschen vor der Elbströmung zu warnen, haben DLRG und Hafenbehörde mehrsprachige Schilder entlang des Strands aufgestellt, auch in Övelgönne sind sie zu finden. Eine vergebliche Mühe, so jedenfalls der Eindruck. Das Wasser ist voll mit Menschen.

Eine junge Nichtschwimmerin paddelt völlig unbeaufsichtigt im Wasser herum.
Florian Quandt

Eine junge Nichtschwimmerin paddelt völlig unbeaufsichtigt im Wasser herum.

Darunter: Ein Mädchen im Grundschulalter. Mit Schwimmflügeln paddelt es unbeaufsichtigt vor dem Ufer herum, ein Elternteil ist nicht in Sicht. Nach einiger Zeit taucht schließlich die Mutter auf.

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Darauf angesprochen wirkt sie schuldbewusst. Sie wisse von der Strömung, im Wasser habe sie sie am eigenen Leib gespürt. Auch könne ihre Tochter nicht schwimmen, daher die Flügel. Doch im Normalfall passe immer jemand auf, gerade sei der Vater dran gewesen. „Morgen“, sagt sie, „gehen wir wieder ins Schwimmbad.“

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