Hamburgs einzige Europa-Abgeordnete: „Rechtspopulisten habe ich nie arbeiten sehen”

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Svenja Hahn (34, FDP) ist Hamburgs einzige Abgeordnete in Straßburg und kandidiert dieses Mal erneut. Die MOPO hat mit ihr über Angriffe im Wahlkampf gesprochen und sie gefragt, warum sie lieber ins EU-Parlament als in den Bundestag wollte und ob ihre Fraktion mit Rechtspopulisten kooperieren würde.

MOPO: Überall ist derzeit von Drohungen und Attacken gegen Politiker zu lesen. Wahlplakate werden verunstaltet oder gar zerrissen. Macht Ihnen diese Stimmung Angst?

Svenja Hahn: In den letzten Jahren erlebe ich eine Verrohung in der politischen Debatte auch befeuert durch Kräfte wie die AfD. Als Frau bekomme ich noch anders Hass ab. Jedes Mal, wenn ich in der „Tagesschau“ bin, kommen E-Mails dazu, wie ich aussehe, und aufdringliche Nachrichten. Das darf man nicht zu nah an sich ranlassen.

Werden Sie auch körperlich angegriffen? 

Bedrängt wurde ich schon in diesem Wahlkampf. Ich war mit einer anderen jungen Frau plakatieren, dabei hat uns ein Mann verfolgt und mit rechtspopulistischen Sprüchen bedroht. Wir holten Verstärkung aus dem Team und plakatierten weiter. Am nächsten Tag waren die Plakate verschwunden. Vor vielen Jahren bin ich im Wahlkampf auch mal angespuckt worden. Das macht mir Sorgen, weil dies vor allem die Kommunalpolitiker trifft, deren ehrenamtliches Engagement für unsere Demokratie so wichtig ist.  

Eben hatten Sie die AfD angesprochen. Im Europaparlament weht zunehmend ein rechter Wind. Wie kann man den Rechtsruck noch aufhalten? 

Wir müssen einen Rechtsruck nicht herbeireden. Rechtspopulisten gewinnen Wähler, weil sie einfache Lösungsversprechen machen. Ich kann jeden verstehen, der Sorgen um die Zukunft hat. Aber einfache Lösungen gibt es nicht. Ganz ehrlich, die Rechtspopulisten habe ich nie arbeiten sehen in Brüssel. Bei Verhandlungen sind sie nicht dabei. Wahrscheinlich sind sie damit beschäftigt reißerische TikToks zu machen. Das müssen wir den Wählern sagen und ihnen echte Lösungen präsentieren. 

Sie sprechen von „herbeireden”. Einige Umfragen gehen davon aus, dass die Rechten diesmal ein Viertel aller Sitze im EU-Parlament für sich gewinnen werden. Was heißt das für Europa?

Im Europäischen Parlament gibt es keine Regierung und Opposition. Man muss bei jedem Gesetz neue Mehrheiten finden und je nach Thema zusammenarbeiten. Das haben die demokratischen Parteien bisher ohne die Rechten geschafft und es wäre weiter möglich. 

Im EU-Parlament gibt es zwei rechte Fraktionen, die ID und die EKR. Aktuell wird spekuliert, ob sie sich nach der Wahl zusammenschließen. Welche Konsequenzen hätte das?

Die Rechtspopulisten sind sich untereinander spinnefeind. Sie haben zwar alle eine große Portion Rassismus dabei, aber unterschiedliche Schwerpunkte. Frau von der Leyen überlegt die Unterstützung der Ukraine als Gradmesser zur Zusammenarbeit zu nehmen. Zum Beispiel ist die polnische PiS-Partei zwar pro Ukraine, wenn es aber um Fragen von Frauenrechten oder Rechtsstaat geht, sind sie fernab von Mehrheitsmeinungen. Ob die rechtsaußen Parteien sich zusammenraufen, ist aus meiner Sicht nicht relevant, weil sie an der Mehrheitsfindung im Parlament nicht mitarbeiten. 

Die AfD wurde aus der rechten Fraktion geworfen, nachdem Spitzenkandidat Maximilian Krah bestritten hatte, dass es sich bei SS-Offizieren grundsätzlich um Verbrecher handelt. Sind damit die extremen Rechten im Parlament gebannt?

Diese Kräfte gibt es weiter. Das Rassemblement National in Frankreich, ist auch rechtspopulistisch, die geben sich nur im Gegensatz zur AfD einen bürgerlicheren Anstrich, um in ihrem Land anschlussfähig zu bleiben. Ich glaube nicht, dass es große inhaltliche Distanzen gibt zwischen RN und AfD.

Die Frage ist, wie sollte man mit den Rechten umgehen. Kritiker werfen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oft ihre Kooperationsbereitschaft mit den Rechtskonservativen vor. Wie sehen Sie das, braucht es diese Kooperation oder ist das ein No-Go?

Frau von der Leyen flirtet mit diesen Parteien, weil sie sich keiner Mehrheit für eine erneute Amtszeit in der demokratischen Mitte sicher sein kann. Von daher überrascht mich nicht, dass sie nach rechts blinkt. Wir Liberalen werden nur mit den demokratischen Parteien in der Mitte arbeiten. 

Was ist DAS Thema, dem sich das EU-Parlament in der nächsten Legislaturperiode annehmen muss?

Die beiden Top-Themen sind Sicherheit/Verteidigung und Wirtschaftspolitik. Wir müssen die Ukraine unterstützen. Das größte Sicherheitsrisiko für uns alle wäre es, wenn Russland den Krieg gewinnt. Außerdem brauchen wir mehr Wettbewerbsfähigkeit, dazu müssen wir weiter bürokratische Hürden abbauen und Handel mit der Welt ausbauen. 

Als Spitzenkandidatin der Jungen Liberalen und der Hamburger FDP sind sie 2019 ins EU-Parlament gewählt worden. Warum wollten Sie lieber nach Brüssel, statt in die Bürgerschaft oder den Bundestag?

Als Vorsitzende der liberalen europäischen Jugendorganisation war ich bereits vor dem Mandat in insgesamt 35 europäischen Ländern unterwegs. Alles im Ehrenamt neben dem Vollzeitjob. Dabei habe ich gesehen, dass es für die Chancen junger Leute einen krassen Unterschied macht, aus welchem EU-Land sie kommen. Also habe ich mir gesagt, dass ich an den Tischen sitzen will, wo Entscheidungen getroffen werden, um vor allem jungen Menschen mehr Perspektiven zu schaffen. 

Was konnten Sie in Ihren fünf Jahren im EU-Parlament konkret bewegen? 

Ich habe insgesamt 20 Gesetze mitverhandelt. Das Größte war das europäische KI-Gesetz, da haben wir vier Jahre dran gearbeitet. Mir war zum Beispiel wichtig, biometrische Überwachung wie in China zu verhindern und Innovation zu stärken. 

Sollten Sie wieder gewählt werden: Welche Themen wollen Sie in den nächsten fünf Jahren in Brüssel angehen?

Ich möchte weiter an Wirtschafts-, Digital- und Handelspolitik arbeiten. Wir haben ein KI-Rahmengesetz, jetzt geht es darum, wie wir der Kommission bei der Umsetzung auf die Finger gucken. 

Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl ist traditionell eher niedrig. Wie erklären Sie es sich, dass das Europaparlament in den Köpfen der Menschen immer noch so einen geringen Stellenwert hat?

Für viele Menschen sind Brüssel und Straßburg gefühlt weit weg. Wir müssen mehr über Europapolitik reden – nicht nur vor den Europawahlen, sondern auch vor Bundestagswahlen.

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