Hamburgs Gastro-Abenteurer: Penis-Tortillas und Todesangst auf der Toilette

Hamburgs Gastro-Abenteurer: Penis-Tortillas und Todesangst auf der Toilette

Sie sind Freunde, Kollegen und echte Abenteurer: Die Hamburger Gastronomen Thomas Kosikowski (35) und Johannes Riffelmacher (37) reisen gemeinsam um die Welt und sammeln Rezepte und Inspirationen für ihre „Salt & Silver“-Restaurants. Jetzt haben sie mit „Am Meer“ auch ein neues Kochbuch herausgebracht. Die MOPO hat mit den beiden über ihre Reise-Erlebnisse gesprochen: von Tortillas mit Rinder-Penissen, gegrillten Piranhas und Todesangst auf dem Klo. Außerdem verraten sie, was sie Neues planen und mit welcher Idee sie der Gastrokrise trotzen.

MOPO: Sie schreiben in Ihrem neuen Kochbuch, dass Sie erst jetzt einen typischen „Salt & Silver“-Geschmack entwickelt haben. Wie schmeckt der denn?

Johannes Riffelmacher: Wir lieben beide Streetfood auf Märkten in tollen fernen Ländern. Das hat meistens eine Ehrlichkeit, eine Unbestechlichkeit. Da ist kein Chichi dran. Das ist immer intensiv, hat eine knackige Säure und Frische, ist crunchy, schlonzig, da tropft irgendeine Soße raus. Und es hat Bumms, also Schärfe. Das ist unsere Geschmackssprache. Jedes „Salt & Silver“-Gericht vereint diese Attribute.


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Wie entstehen Ihre Rezepte?

Riffelmacher: Wir hatten nie den Anspruch, Rezepte aus anderen Ländern mit nach Hause zu bringen und die hier einfach 1:1 nachzukochen. Wir lassen uns woanders inspirieren und machen dann, mit den Mitteln und Produkten hier, was Eigenes draus.

Umgeben von Rindern: Thomas Kosikowski (l.) und Johannes Riffelmacher auf Reisen in Ecuador
Salt & Silver

Umgeben von Rindern: Thomas Kosikowski (l.) und Johannes Riffelmacher auf Reisen in Ecuador

Sie sind durch 22 Länder gereist. Welches Erlebnis werden Sie nie vergessen?

Thomas Kosikowski: Ich bin mal drei Wochen alleine durch Japan gereist. Und als ich erst wenige Tage da war, wurde Japan von dem stärksten Taifun seit 60 Jahren getroffen. Zuerst hatte ich das alles nicht so richtig wahrgenommen und ernst genommen, weil dort in Tokio nicht so viel Englisch gesprochen wird. Ich habe immer wieder Warnungen auf mein Handy bekommen, aber alle auf Japanisch. Ich hatte mich wirklich erst in letzter Sekunde noch per Taxi in eine Airbnb-Wohnung gerettet. Das war ein altes Haus, ich war im dritten Stock, es hatte einfach verglaste Fensterscheiben und gefühlt Papierwände. Der Nahverkehr war eingestellt, alle Läden waren leer gekauft, ich hatte nur noch sechs Mandarinen und ein paar Dosen Bier bekommen. Und dann ging der Taifun los.

Wie haben Sie den erlebt?

Kosikowski: Es gab Windgeschwindigkeiten von 300 km/h und sintflutartigen Regen. Da ist in 24 Stunden doppelt so viel Regen gefallen wie in Deutschland in einem Jahr. Draußen habe ich Mülltonnen, Plakatwände und Dachziegel vorbeifliegen sehen. Gerade als ich auf der Toilette saß, ist auf einmal der Strom ausgefallen und ein Erdbeben hat angefangen. Ich saß da also im Dunkeln auf dem Klo, alles hat gewackelt, das Gebäude hat geknackt. Und ich war mir nicht sicher ob ich lebend rauskomme. Da habe ich zum ersten Mal vor Angst geweint. Das war eine echte, tiefe Ur-Angst.

Thomas Kosikowski: „Da habe ich zum ersten Mal vor Angst geweint“

Wie ist das Ganze für Sie ausgegangen?

Kosikowski: Ich bin irgendwann auf dem Sofa, angetrunken vom Bier, eingeschlafen. Um 5 Uhr morgens bin ich wach geworden, habe aus dem Fenster geguckt und es war strahlend blauer Himmel. Keine Wolke, die Sonne ging gerade auf. Als wäre ich aus einem Albtraum aufgewacht. Dieser Taifun war ein einschneidendes Erlebnis.

In welchem Land haben Sie das beste Essen gehabt?

Kosikowski: Lieblingsgerichte ändern sich bei uns ständig. Aber ich bin seit einigen Jahren großer Fan der japanischen und koreanischen Küche. Kimchi mache ich viel selbst und esse es wirklich täglich.

Riffelmacher: Ich glaube nicht an Lieblingsgerichte, weil ich dafür viel zu interessiert an Essen bin. Aber ich mag momentan die indische Küche, diese sehr scharfe Schmor- und Gewürzküche dort. Currypasten sind gerade mein Ding.

Was war das Ekligste, das Sie jemals probiert haben?

Kosikowski: Neulich haben wir in St. Peter-Ording von unserem Fischhändler zwei handgeangelte Adlerfische bekommen, jeweils um die 28 Kilo schwer. Die haben wir zerlegt und bei uns im Restaurant verarbeitet. Ich interessiere mich für Innereien und hatte mir eine Leber mit nach Hause genommen und gebraten. Und die sah lecker aus, war aber eines der ekligsten Dinge, die ich in meinem Leben gegessen habe. Die schmeckte wie jahrzehntealter, vergammelter Fisch. Ein Experte hat mir später erzählt, dass die Leber von alten Fischen enorm schwermetallbelastet ist und extrem viel Vitamin D enthält – das kann wohl die Nieren schädigen und sogar blind machen, wenn man zu viel davon isst. Zum Glück habe ich nur ein Mini-Stückchen probiert.

Riffelmacher: In Mexiko haben wir beide mal einen Taco mit Rinderaugen gegessen. Die Augen wurden gehackt und scharf angegrillt und kamen als halb glitschiges Ragout auf den Taco. Und es gab dort auch in Essig eingelegte Rinder-Penisse – die waren glibberig und sauer, wurden in kleine Scheiben geschnitten und auf Tortillas serviert. Das muss ich auch nicht noch mal essen. Wobei vieles ja auch Kopfsache ist.

Die Freunde essen an einem Foodstand in Guadalajara (Mexiko).
Salt & Silver

Die Freunde essen an einem Foodstand in Guadalajara (Mexiko).

Sie haben mal Piranhas gegrillt.

Riffelmacher: Das war mitten im Amazonas-Regenwald. Wir hatten einen Fischer am Strand der Dschungelstadt Iquitos angesprochen, ob er uns tief in den Amazonas-Regenwald  bringen kann. Er hat uns mit seinem Boot zu einer Familie gefahren, die mitten im Wald ohne Strom und sanitäre Anlagen in einer Stelzenhütte gelebt hat. Und die hat uns fürs Abendessen mit zum Piranha-Fischen genommen. Wir mussten als Köder eine tote Möwe aus dem Wasser fischen, die haben wir dann zerlegt und an einem Stock ins Wasser gehalten. Piranhas sind sehr flink und gefräßig, da musste man schon im richtigen Moment einmal kräftig anziehen. Die wurden dann auf einen Spieß gesteckt und über dem Feuer gegrillt.

Wie schmeckt Piranha?

Kosikowski: Am ehesten wie eine Forelle. Aber eigentlich so wie das Wasser, in dem er schwimmt.

Ihren größten Traum, ein Restaurant am Meer, haben Sie sich in St. Peter-Ording schon erfüllt. Was kommt jetzt?

Riffelmacher: Erst mal eine Doku! Wir haben uns von einer Film-Crew begleiten lassen, als wir unser Restaurant in St. Peter-Ording aufgemacht haben, von der Schlüsselübergabe über den Umbau bis zur Eröffnung. Man sieht alle Höhen und Tiefen, die so ein Projekt mit sich bringt. Wir entscheiden gerade noch, ob die Doku Ende des Jahres als mehrteilige Serie rauskommt oder vielleicht sogar als Kinofilm.

Neues Konzept: Die beiden „Salt & Silver“-Restaurants in Hamburg werden umgekrempelt

Gibt es Pläne für ein weiteres Restaurant?

Riffelmacher: Nächstes und übernächstes Jahr wird es keine neuen Restaurants geben. Aber wir wollen 2025 unsere beiden Restaurants in Hamburg noch mal umkrempeln. Es wird umgebaut, die Küche muss neu aufgestellt werden, es wird neue Lieferanten geben. Alle unsere Werte vertreten wir weiterhin, aber mit einem neuen Konzept. „Lateinamerika“ und „Levante“ wird es in dieser Form dann nicht mehr geben.

Viele Gastronomen ächzen unter all den Krisen und der Mehrwertsteuer von 19 Prozent. Sie auch?

Riffelmacher: Diese Krisen sind ein ernstes Thema. Die Gastronomie ist extrem unter Druck. Wir selbst haben gemeinsam mit anderen Gastronomen eine Art Selbsthilfegruppe gegründet, mit dem Namen „Bund der Gastfreundschaft“. Da ist zum Beispiel auch das „Klippkroog“ aus Altona dabei, der „Weinladen St. Pauli“, das „Überquell“, das „Klinker“, das „Haebel“ und noch viele andere. Wir haben uns zusammengeschlossen, um in der Gruppe günstigere Konditionen zu erstreiten. Wir kaufen gemeinsam Verbrauchsmaterialien ein, wollen unsere Buchhaltung zusammenlegen und haben als Gruppe zu einem anderen Reservierungssystem gewechselt. Wenn die Läden voll sind und wir eine Reservierung nicht annehmen können, geben wir die weiter an die anderen. So versuchen wir, mit dieser Krise gerade umzugehen.

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Haben Sie „Michelin“-Sterne-Ambitionen?

Riffelmacher: Wir freuen uns über jede Auszeichnung, aber der Stern war uns als Ziel nie wichtig. Der „Guide Michelin“ bewertet die Qualität der Speisen und des Kochhandwerks, und setzt damit zweifelsfrei den Maßstab für die Fine-Dining-Szene. Aber grausame Produkte wie Gänstestopfleber, teures Tafelsilber, weiße Handschuhe beim Servieren – das ist nicht unsere Welt. Uns ist Nachhaltigkeit sehr wichtig, wir mögen ein lockeres Ambiente und einen ungezwungenen Service. Da setzen wir unsere eigenen Maßstäbe. Ich persönlich finde, dass viele klassische Sterne-Restaurants oft ganz grauenhaft eingerichtet sind und etwas aus der Zeit gefallen wirken. Auch wenn ich wirklich großen Respekt vor der Koch-Leistung der Kolleginnen und Kollegen habe.

Ihr Restaurant am Meer: das „Salt & Silver“ in St. Peter-Ording
Salt & Silver

Ihr Restaurant am Meer: das „Salt & Silver“ in St. Peter-Ording

Zur Person:

Thomas Kosikowski und Johannes Riffelmacher haben drei „Salt & Silver“-Restaurants: das „Lateinamerika“ und „Levante“ auf St. Pauli und das „Salt & Silver am Meer“ in St. Peter-Ording. Riffelmacher war früher Art Director in einer Werbeagentur, Kosikowski studierte Kinematographie – bis sie gemeinsam auf Reisen gingen.

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