Hamburgs Polizei mit Uralt-Technik auf Verbrecherjagd: „Das ist wie Höhlenmalerei“

Hamburgs Polizei mit Uralt-Technik auf Verbrecherjagd: „Das ist wie Höhlenmalerei“

Internetbetrug, Identitätsdiebstahl und Kinderpornografie: Die Zahlen im Bereich Internetkriminalität steigen und die Polizei kommt wegen Personalnot und veralteter IT-Technik nicht mehr hinterher. Ein Kripobeamter schildert unfassbare Zustände mit Uraltrechnern und Festplatten, die durch die Stadt kutschiert werden, als wäre die Cloud noch nicht erfunden – dabei müssten tausende Terabytes auf sichergestellten Datenträgern möglichst schnell ausgewertet werden. Zusätzlich wird die Verfolgung der Straftäter durch Neuerungen bei Facebook, WhatsApp und Co. auch noch erschwert.

Mehr als 3400 Fälle von Internetkriminalität wurden 2023 in Hamburg registriert. Darunter 2800 Vermögens- und Fälschungsdelikte, 1588 Fälle von Waren- und Kreditbetrug sowie 447 Fälle, bei denen wegen Ausspähens von Daten ermittelt wird. Außerdem gab es fünf Anzeigen, bei denen wegen Kinderpornografie ermittelt wird.

Für 2024 liegen noch keine validen Zahlen vor. Aber: Um die Fälle aus dem Jahr 2023 aufzuklären, müssen bergeweise sichergestellte Festplatten, USB-Sticks, Handys und mobile Datenträger ausgewertet werden.

Veraltete Technik und Einhaltung gesetzlicher Vorschriften behindern Ermittlungen

Und genau dabei hapert es. Laut Jan Reinecke, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), sind auf den sichergestellten Datenträgern Hunderte Terabytes an Daten, die gespeichert, gesichtet und ausgewertet werden müssen. Doch das sei nicht so einfach, wie es sich vielleicht anhöre. Neben der Einhaltung des Datenschutzes erschwerten veraltete Technik und strenge Vorgaben zur Vorgehensweise die Arbeit – und das vor dem Hintergrund, dass viel zu wenig Beamte dafür zur Verfügung stünden. Das BKA bietet den Dienststellen zwar Cloudmöglichkeiten, doch Hamburg nutzt diese bisher nicht. Die MOPO fragte bei der Polizei nach.  Dort heißt es, dass in einem Projekt aktuell geprüft werde, wie verschiedene Abteilungen an das BKA-Netz angeschlossen werden können. Das Projekt soll im Juni 2025 beendet werden.

Jan Reinecke, Hamburger Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK).
RÜGA

Jan Reinecke, Hamburger Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK).

Das Problem: Sichergestellte Datenträger dürfen zur Auswertung nicht einfach an Dienstcomputer angeschlossen werden. Dies würde das Beweismittel zerstören, weil der Datensatz geändert würde. Aus diesem Grund muss zunächst eine Kopie des Datensatzes angefertigt und ein Gutachten erstellt werden, welches belegt, dass dieser mit dem Original übereinstimmt. Diese Prozedur wird als Forensische Datensicherung bezeichnet. Angesichts der immer größer werdenden Mengen an sichergestellten Datenträgern verzögern sich die forensischen Sicherungen beschlagnahmter Datenträger immer mehr. Die Sicherung eines Handydatensatzes kann bis zu 18 Monate in Anspruch nehmen.

Probleme bei der Auswertung hochauflösender Videos und Fotodateien

Ist die forensische Sicherung dann endlich abgeschlossen, können die Ermittlungen aber immer noch nicht fortgeführt werden. Denn: Die Datenträger mit den Kopien müssen zunächst per Auto zu den örtlichen Kommissariaten im Stadtgebiet gebracht werden. Dort gibt es sogenannte „Stand-Alone“-Rechner. Das sind PCs, die nicht mit dem Internet verbunden sind. Dabei handelt es sich nach Informationen der MOPO um veraltete Computer mit einem ebenso veralteten Betriebssystem. „Wenn hochauflösende Videos und Fotomaterial gesichtet werden müssen, kommt der Rechner an seine Leistungsgrenze“, so Reinecke.

Bis vor wenigen Jahren wurde laut Reinecke noch mit dem Betriebssystem Windows 7 gearbeitet. Auch als Microsoft den Support dafür nicht länger unterstützte, wurden die Rechner nicht gegen neuere Systeme ausgetauscht. Stattdessen flossen Gelder an das Unternehmen, um dennoch Updates zu erhalten. Die Polizei weist daraufhin, dass seit Ende 2021 alle  „Internet- und Arbeitsplatzrechner“ auf Windows 10 umgestellt worden sind.

In vielen Abteilungen wurde bis vor Kurzem noch mit Windows 7 gearbeitet. (Symbolfoto)
dpa

In vielen Abteilungen wurde bis vor Kurzem noch mit Windows 7 gearbeitet. (Symbolfoto)

Haftsachen, also Fälle, bei denen der Beschuldigte in U-Haft sitzt, haben immer Priorität. Das allein sorgt für Stau bei der Bearbeitung anderer Fälle. Dennoch soll es immer wieder vorkommen, dass die Ermittlungen im gesetzlich vorgegebenen Rahmen nicht abgeschlossen werden können und der Inhaftierte wieder auf freien Fuß gesetzt werden muss.

Meta hilft bei Kriminalitätsbekämpfung und sorgt für zusätzliche Arbeit

Zusätzliche Arbeit wird den Ermittlern durch Neuerungen aufgebürdet wie etwa beim Zuckerberg-Konzern Meta. Das amerikanische Unternehmen hat sich verpflichtet, bei der Kriminalitätsbekämpfung behilflich zu sein und verdächtige Daten, die über WhatsApp, Facebook und Co. verbreitet werden, zu melden. Das ist zwar lobenswert, führt aber zu zusätzlichen Belastungen. Es soll schon vorgekommen sein, dass ein Kinderfoto vom Strandurlaub, welches in der Familiengruppe geteilt wurde, als verdächtig eingestuft wurde und Ermittlungen daraus erwuchsen.

Dazu Jan Reinecke: „Der Austausch gegen ,moderne‘ Arbeitsplatzcomputer mit dem aktuellem und von Microsoft unterstützten Betriebssystem Window 10 ist nach viel Druck durch den BDK endlich vollzogen worden. Tatsächlich aber hat der vollkommen unnötige, exklusive Weiterbetrieb von Window 7 die Polizei Hamburg schlussendlich mehrere hunderttausend Euros gekostet.“

Straftaten können wegen veralteter Technik nicht aufgeklärt werden

Wichtig sei jetzt, „dass wir so schnell wie möglich davon loskommen, dass forensische Sicherungen von digitalen Spuren und Beweismitteln als Kopien auf Festplatten den Ermittlerinnen und Ermittlern per Staffettenfahrzeug an die Dienststellen zur Auswertung an einem Standalone-PC zugeliefert werden müssen“.

Das könnte Sie auch interessieren: Organisierte Kriminalität in Hamburg: So hoch sind die Gewinne der Täter

Die Daten müssten, wie es das BKA der Polizei Hamburg gegen Bezahlung anbietet, in einer datensichereren Cloud gespeichert und dort von den Ermittlerinnen und Ermittlern für die Auswertung abgerufen werden können. Reinecke: „Unglaublich, dass dieses noch immer nicht Anwendung findet. Aber die Hamburger Kriminalpolizei malt bekanntlich was die IT-Ausstattung angeht, in vielerlei Hinsicht nach wie vor auf Höhlenwände. Bedauerlich führt dies dazu, dass Straftaten nicht aufgeklärt werden können.“

Polizeisprecher beschwichtigt und verweist auf umfangreiche Neuerungen

Dazu teilte ein Sprecher der Polizei mit, dass man stetig dabei sei, die IT zu verbessern. Auch bei der vom BKA angebotenen Cloud-Lösung werde geprüft eine mögliche Kooperation mit der Justiz sowie Aus- und Fortbildungsbedarfe in projektbasierter Arbeit zu realisieren. Auch wir halten bei der Digitalisierung und den Entwicklungen in der IT Schritt. Die verwendeten Softwareprodukte und Hardwarekomponenten werden stets aktuell gehalten. Im Juli vergangenen Jahres wurde beim LKA 54 zudem ein neues Forensik-Labor in Betrieb genommen.

Hamburgs Polizei mit Uralt-Technik auf Verbrecherjagd: „Das ist wie Höhlenmalerei“ wurde gefunden bei mopo.de

Please follow and like us:
Pin Share