Hartel, nun Hürzeler: Das Ende von St. Paulis Sommermärchen und die Folgen

Hartel, nun Hürzeler: Das Ende von St. Paulis Sommermärchen und die Folgen

Es gibt Situationen im Leben, da erscheint gerade Erlebtes plötzlich ganz weit weg und die eben noch frische und lebendige Erinnerung verblasst, löst sich auf in diffuse Bilder. Glücksgefühle und Euphorie zerplatzen wie Seifenblasen. So dürfte es vielen Fans des FC St. Pauli gerade gehen. Den rauschenden Aufstiegsfeierlichkeiten folgt in Rekordzeit ein emotionaler Kater, eine Mischung aus Enttäuschung, Ernüchterung, Wut. Der energische Wechselwunsch von Cheftrainer Fabian Hürzeler – eben noch auf Händen getragen und zigtausendfach gehuldigt – hat dem braun-weißen Sommermärchen ein jähes Ende gesetzt. Krisenstimmung kurz nach dem größten Erfolg des Kiezklubs seit 13 Jahren. Das ist nicht nur bedauerlich, sondern auch gefährlich. St. Pauli braucht dringend ein Comeback der guten Laune. Denn die MOPO weiß: Die Zeichen stehen immer deutlicher auf Abschied.

Was kommt denn bitte schön als Nächstes? Diese bange Frage mag sich so mancher St. Pauli-Fan in diesen Tagen stellen, nachdem es zuletzt schlechte Nachrichten in Serie gegeben hatte. Den Abschied von Topscorer Marcel Hartel, bester Kiezkicker der abgelaufenen Saison. Die (aus Vereinssicht nachvollziehbare, aber für Fans natürlich immer ärgerliche) Erhöhung der Ticketpreise zur kommenden Saison. Und last but not least but worst: der Wechsel-Wunsch des Trainers, der für den Anhang aus einem mehr als heiteren St. Pauli-Himmel kommt.

FC St. Pauli: Hürzeler-Wechsel bestimmt die Schlagzeilen

Eben noch machte der Kiezklub bundesweit und sogar international Schlagzeilen mit seiner Rückkehr in die Bundesliga, dem spannenden jungen Trainer, dem aufregenden Fußball, der spektakulären Aufstiegsparty inklusive politischer Demo. Jetzt gibt es nur noch ein Thema: den von Hürzeler angestrebten Wechsel zum englischen Premier-League-Klub Brighton & Hove Albion und den harten und zähen Poker um die Millionen-Ablösesumme sowie die Auswirkungen auf den FC St. Pauli.

WochenMOPO-alle-3-14624
MOPO

Die neue WochenMOPO – ab Freitag wieder überall, wo es Zeitungen gibt!
Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
– Ein Sommermärchen? MOPO-Gastautor und Fußball-Edelfan Arnd Zeigler über die EM, seine Vorfreude und seine Zweifel
– Gefährliche Radwege: Behörde kündigt große Wende an
– Sind die Grünen nicht mehr cool, Frau Fegebank? Die Zweite Bürgermeisterin im Interview zur Bezirks- und Europawahl
– 20 Seiten Sport: Welche EM-Stars hierherkommen und wo Sie sie treffen können
– 28 Seiten Plan7: Hamburgs grüne Oasen – wo Sie in der Stadt so richtig durchatmen können

Von allen drei beteiligten Parteien – dem Kiezklub, Hürzeler und Brighton – ist ein Transfer die angestrebte Lösung, natürlich möglichst zu den eigenen Bedingungen. Wenngleich es bis dato und anders als behauptet und vermeldet keine Einigung gibt, so ist es jedoch kaum vorstellbar, dass Hürzeler seinen mutmaßlich noch zwei Jahre laufenden Vertrag bei St. Pauli, den er erst im Frühjahr verlängert hatte, doch erfüllt. Selbst wenn der Deal mit Brighton platzen sollte, was immer unwahrscheinlicher wird. Die Anzeichen, dass die Nummer zeitnah vonstatten gehen dürfte, hatten sich am Donnerstagabend noch einmal verdichtet.

Die Tatsache, dass viele Spieler des Aufstiegskaders ihrem Trainer die Gefolgschaft in den sozialen Netzwerken aufgekündigt haben, dürfte zum einen den innerlich bereits vollzogenen Abschied von ihrem Übungsleiter dokumentieren und zum anderen wohl auch zeigen, wie groß die Enttäuschung in der Mannschaft ist, dass der gemeinsame Weg so abrupt endet – vom Chefcoach forciert. Das dürfte den meisten Kiezkickern, gleichwohl sie alle natürlich die harten Regeln des Geschäfts kennen, zumindest vorübergehend den Urlaub verhageln und für viele Fragezeichen sorgen – im Hinblick auf den Trainingsstart am 8. Juli und auch im Hinblick auf die neue Saison.

St. Pauli-Boss Bornemann braucht jetzt eine Entscheidung

Der Verein – allen voran Sportchef Andreas Bornemann – muss jetzt die strategische Entscheidung treffen, ob der mit Hürzeler eingeschlagene Weg möglichst identisch weiterverfolgt und ein Trainer verpflichtet wird, der zum bisherigen Spielstil und dem Personal passt (wie es Brighton mit Hürzeler als De-Zerbi-Nachfolger praktiziert). Oder aber, ob St. Pauli den ungewollten Wechsel auf der Position des Chefcoaches als Chance sieht, mit einem anderen Trainertypen und einer veränderten fußballerischen Ausrichtung, die ohnehin mindestens in Form von Anpassungen für die Bundesliga nötig gewesen wäre, die Aussichten auf den angestrebten Klassenerhalt möglicherweise sogar zu verbessern.

Fabian Hürzeler und Marcel Hartel bei der Aufstiegsparty. Beide zieht es weg von St. Pauli.
WITTERS

Hürzeler und Marcel Hartel bei der Aufstiegsparty. Beide zieht es weg von St. Pauli.

Die Vereinsführung muss auch aufpassen, dass der Abschied von Hartel und der bevorstehende von Hürzeler nicht eine Kettenreaktion innerhalb der Mannschaft auslösen und weitere Leistungsträger wechselwillig werden. Dafür gibt es aktuell allerdings keinerlei Anzeichen und der Reiz, mit St. Pauli und am Millerntor Bundesliga zu spielen, ist grundsätzlich nicht geschmälert, wenngleich die Erfolgsaussichten erst einmal geschrumpft sind, weil das eingespielte und erfolgreich funktionierende Gebilde aus Mannschaft und Trainerteam auseinanderbricht.

Für den Kiezklub gilt es jetzt nicht nur, schnellstmöglich einen neuen Mann für den Job an der Seitenlinie zu finden, sondern auch die Stimmung aus dem Keller zu holen. Das mag auf den ersten Blick als Nebensache erscheinen, geradezu banal. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist zentral. Denn eine positive Grundstimmung und Vorfreude auf die Bundesliga, bestenfalls eine wiederbelebte Euphorie nach dem Trainer-Beben, ist unabdingbar als Basis für einen guten Start in die extrem herausfordernde Mission Klassenerhalt.

Der FC St. Pauli braucht jetzt wieder positive Signale

Auf allen Ebenen. Im Team, bei den Fans, bei den Partnern. Der FC St. Pauli will im Vorfeld des Erstliga-Comebacks auch positive Signale an bestehende und potenzielle Sponsoren senden, von denen ein eingetragener Verein im Haifischbecken Bundesliga nicht genug haben kann, sofern sie – das ist beim FC St. Pauli bekanntlich wichtig – zum Verein passen. Die Causa Hürzeler ist diesbezüglich ein Dämpfer, denn von Aufbruchstimmung kann derzeit keine Rede sein.


MOPO

Haben Sie mehr Fachwissen als die MOPO-Sportredakteure? Dann machen Sie jetzt mit bei unserem EM-Tippspiel, messen Sie sich mit den MOPO-Reportern und gewinnen Sie nach jedem Spieltag tolle Preise im Gesamtwert von über 5.000 Euro! Hier kostenlos anmelden, mitmachen und gewinnen!

Andererseits ist der Abschied eines Trainers nicht der Untergang des Abendlandes und St. Pauli nicht der erste Verein, der damit konfrontiert ist. Sollte es dem Kiezklub gelingen, eine für einen noch jungen Trainer hohe Millionen-Ablöse zu erzielen (und davon ist in Anbetracht von Bornemanns Verhandlungsgeschick auszugehen), dann wären auf einmal ungeahnte finanzielle Mittel da, um die Mannschaft weiter zu verstärken. Das dürfte die Stimmung aufhellen. Der Verein könnte dann allen Widrigkeiten zum Trotz herausstellen, dass man nicht mehr nur Spieler hervorragend entwickle und mit reichlich Gewinn verkaufe, sondern neuerdings auch Trainer. In diesem sehr speziellen Fall gezwungenermaßen.

Es gilt, das Beste aus der äußerst misslichen Lage zu machen, die noch vor wenigen Wochen niemand für möglich gehalten hätte.

Hartel, nun Hürzeler: Das Ende von St. Paulis Sommermärchen und die Folgen wurde gefunden bei mopo.de