„Heimspiele zur Hölle machen!“ Was Blessin plant und was ihn „echt erschrocken“ hat

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Das Training beim FC St. Pauli unter der Regie des neuen Chefcoaches hat mächtig Pfiff. In zweifacher Hinsicht. Zum einen war das gar nicht zu überhören. Statt einer Trillerpfeife bediente sich Alexander Blessin zweier Finger, die er in den Mund steckte und einen schrillen Signalton hervorbrachte, wann immer das erforderlich war. Zum anderen zeigte schon die erste Einheit nach der Sommerpause, worauf er Wert legt: Intensität. Die Spieler werden in den kommenden Wochen der Vorbereitung ein ums andere Mal aus dem letzten Loch pfeifen. Der Neue hat einiges vor mit seiner Mannschaft. Die Konkurrenz im Oberhaus soll sich auf etwas gefasst machen, kein Gegner gerne gegen St. Pauli spielen.

Um 11.34 Uhr und damit eine gute halbe Stunde später als angesetzt betrat Blessin mit seinem Team zu Wochenbeginn bei strahlendem Sonnenschein und unter den neugierigen Blicken von rund 300 Besuchern den sattgrünen Rasenplatz an der Kollaustraße. Ein historischer Trainingsauftakt, Beginn der ersten Bundesligavorbereitung seit 13 Jahren. Startschuss in eine hoffentlich erfolgreiche Mission Klassenerhalt.

St. Paulis Trainingsauftakt mit neuem Coach Blessin

Blessin – helles Langarm-Trainingsshirt, kurze schwarze Hose, rote Fußballschuhe – war zunächst leiser Beobachter des Aufwärmprogramms. Als es später ans Eingemachte, die intensiven Spielformen und Passformen, ging, da wurde er lauter und deutlich in seinen Ansagen, unterbrach ein ums andere Mal, gab Anweisungen, korrigierte, gestikulierte. Hauptsächlich auf Englisch, aber auch mal auf Deutsch. „Ich switche“, sagte der 51-Jährige bei der anschließenden Medienrunde. Als Hauptsprache bei Ansprachen und Ansagen habe sich die sehr international aufgestellte Mannschaft Englisch gewünscht, wie bei Vorgänger Fabian Hürzeler.

Lauter als geplant geriet der Auftakt. „Ich versuche schon, mich ab und zu rauszuhalten, meine Stimme zu schonen, aber das hat wieder nicht geklappt“, räumte er mit einem Grinsen ein. Es sei ihm wichtig gewesen, von Anfang an klarzumachen, was ihm wichtig sei. Der Umgang mit Fehlpässen zum Beispiel. Da wolle er kein Hadern sehen, sondern sofortigen Fokus auf den Umschaltmoment.

Blessins Weg: „Jagen“ und auch mal „ruhige Kugel“

Apropos. Die Umschaltmomente werden ein zentrales Element des Blessin-Fußballs bei St. Pauli sein. „Letztes Jahr haben wir mehr Ballbesitz gehabt, das müssen wir ein bisschen ändern, das ist keine Frage. Der Ansatz ist so, dass wir ein bisschen mehr über die Umschaltmomente kommen und dann eine saubere Balance finden.“ Er steht für Pressing-intensiven Fußball, weiß aber auch: „Jagen über 90 Minuten wird nicht gehen, das will ich auch nicht. Es geht auch darum, im richtigen Moment eine ruhige Kugel zu spielen.“ Oder auch mal den langen Ball nicht zu scheuen, wenn er hilfreich ist.

St. Paulis Grundausrichtung für die Bundesliga? „Es ist unser Ansinnen, mit viel Arbeit, viel Intensität, viel Mentalität ans Werk zu gehen. Das wollen wir in die Waagschale werfen. Vor allem in den Heimspielen wollen wir mit den Fans zusammen die Spiele für uns gestalten und für jeden Gegner zur Hölle machen.“

Systemfrage: am liebsten zwei Stürmer – aber flexibel sein

Was das System angeht, hat sich Blessin noch nicht festgelegt, weil er die Spieler und ihre Stärken und Schwächen noch genauer kennenlernen muss. Es gilt als sicher, dass er eine Dreierkette spielen lässt, in der vermutlich weiterhin Eric Smith die zentrale Rolle spielen wird.

Blessins favorisierte Formation ist ein 3:5:2 mit einem großen Stoßstürmer und einer hängenden Spitze, die mit einem großen Radius um den zentralen Angreifer „herumschwimmt“, wie er es nennt. Aber er hat angekündigt, flexibel sein zu wollen, wie schon in der zurückliegenden Saison bei Royale Union Saint-Gilloise, wo der gebürtige Stuttgarter sein Team mehrfach auch im 3:4:2:1 oder 3:4:3 (wie Hürzeler) spielen lassen hatte. Vieles hängt vom Gegner, aber vor allem auch vom eigenen Personal ab.

Verstärkungen werden kommen: „Da rauchen die Köpfe“

Mit dem bestehenden Kader sei er „grundsätzlich sehr zufrieden“, sagt Blessin. „Das sind gute Jungs“ und das Team sei „ganz gut bestückt“, wenngleich es gelte, die 30 Torbeteiligungen des in die US-Liga abgewanderten Marcel Hartel zu kompensieren. „Intern erstmal, aber dann natürlich auch extern“, stellt der neue Coach klar. „Da rauchen die Köpfe gerade schon, was wir für Möglichkeiten haben. Da wird sich auch noch etwas tun.“

Einen Neuzugang gibt es im Trainerteam. Auf Blessins ausdrücklichen Wunsch wurde der Belgier Sven Van Der Jeugt (41) als Torwarttrainer verpflichtet, der in dieser Funktion mit Blessin bei Union Saint-Gilloise zusammenarbeitete. „Er hat bei Union zwei Nationaltorhüter trainiert, hat sie nochmal auf ein anderes Level gebracht“, sagt St. Paulis Chef über Van der Jeugts Arbeit mit der luxemburgischen Nummer eins Antony Moris und dem Österreicher Heinz Lindner. „Er ist akribisch, sehr klar in seiner Ansicht. Ich habe sehr gern mit ihm zusammengearbeitet, deswegen war es für mich eine schnelle Entscheidung, ihn zu kontaktieren. Er war auch sehr schnell Feuer und Flamme.“

Blessin: Basis legen, Taktik und Abläufe trainieren

Die Leidenschaft und Begeisterung ist auch Blessin von Tag eins an anzumerken. Er sprüht vor Tatendrang. So eilig es Hürzeler hatte, den FC St. Pauli nach dem Aufstieg in Richtung Brighton zu verlassen, so eilig hat es sein Nachfolger damit, die Grundlagen für die Bundesliga zu legen, seine Vorstellungen zu implementieren, die Ausrichtung zu modifizieren.

Bis zur Abreise ins Trainingslager nach Österreich (15. bis 25 Juli) wolle er mit dem Team an der Kollaustraße „die Basis schaffen“. Die Inhalte: „Nächste Woche geht es um Zweikämpfe, ums Vorwärtsverteidigen, um dann relativ schnell in die taktischen Varianten zu gehen, Abläufe und Prinzipien verdeutlichen.“

Speed-Schnupperkurs: „Wie tickt der Alte eigentlich?“

In den ersten Tagen geht es auch noch ums Beschnuppern, „dass die Jungs mich kennenlernen: wie tickt der Alte eigentlich? Was gibt er von sich?“, formuliert es Blessin kernig und augenzwinkernd und zeigt, warum ihm sein einstiger Trainer-Ausbilder Frank Wormuth in der MOPO neben Kompetenz auch Humor bescheinigt hat.

In Österreich wird der Neue den intensiveren und individuellen Austausch suchen, worauf er großen Wert legt. „Wir werden im Trainingslager sehr viel Zeit für längere Gespräche haben, um die Jungs besser einzuordnen. Das ist für mich ja eminent wichtig, dass wir weiterhin als Team auftreten. Die Geschlossenheit ist extrem wichtig, das wissen wir alle. Das versuche ich natürlich auch entsprechend vorzuleben.“

Warum Blessin „erschrocken“ ist und auf Fingern pfeift

Viele Erwartungen und Hoffnungen haben sich erfüllt in den ersten Tagen nach seiner Vertragsunterschrift. Nur eines habe ihn überrascht, mehr noch. „Ich bin echt erschrocken, dass in den letzten zwei Wochen das Wetter im Süden jedes Mal richtig kacke war. Und jedes Mal, wenn ich in Hamburg war, schien die Sonne. Es ist unglaublich!“, schwärmt Blessin. „Aber schön. Ich werde aber am Anfang nicht die Zeit haben, die Stadt zu genießen. Dafür bin ich auch nicht da.“ Er ist als Trainer gekommen, nicht als Tourist, will etwas bewegen, nicht besichtigen. Immerhin hat er schon eine Wohnung gefunden, was ihm wichtig war, weil er kein Hotel-Fan sei.

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Ein Fan der Trainer-Trillerpfeife ebenfalls nicht. „Ich mag es nicht mit einer Pfeife“, sagt er darauf angesprochen und fügt mit einem Grinsen an: „Das mit den zwei Fingern ist zwar sehr laut – und einige Spieler haben schon einen Tinnitus bekommen, weil sie direkt daneben standen – aber es geht einfach schneller.“ Etwaige Hygiene-Bedenken lässt er gar nicht erst aufkommen. „Ich wasche mir vor und nach dem Training die Hände.“ Auf Bitten eines Radioreporters pfiff er dann noch einmal in die Mikrofone. Ein neuer Ton beim FC St. Pauli.

„Heimspiele zur Hölle machen!“ Was Blessin plant und was ihn „echt erschrocken“ hat wurde gefunden bei mopo.de

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