„Ich mache mir noch immer Vorwürfe!“ Bénes gibt letztes Interview als HSV-Profi

„Ich mache mir noch immer Vorwürfe!“ Bénes gibt letztes Interview als HSV-Profi

Der Schock war László Bénes noch anzusehen, als er rund 90 Minuten nach dem Abpfiff aus der Kabine trat und sich auf den Weg zum slowakischen Mannschaftsbus machte, der im Bauch der Schalker Veltins-Arena parkte. Brutaler hätte der EM-Traum des Mittelfeldspielers nicht enden können, erst in der fünften Minute der Nachspielzeit musste er mit seinem Team den Ausgleich der Engländer hinnehmen und verlor dann in der Verlängerung mit 1:2. „Es ist nicht zu fassen, was passiert ist“, sagte er der MOPO, ehe er sein letztes Interview als HSV-Profi gab.

Die Zeiger der Uhr waren am Sonntagabend auf 22.12 Uhr vorgerückt, als Bénes bedächtig und mit einem leichten Turnier-Bart im Gesicht seinen letzten EM-Gang antrat. Wenige Minuten zuvor hatte Englands Superstar Jude Bellingham fast den identischen Weg genommen, er wurde dabei allerdings enthusiastisch bejubelt von zwei Dutzend englischen Fans, die sich an den Zaun in Richtung Parkplatz gepresst hatten. Bénes aber blieb nur der Frust, zugleich waren es seine letzten Minuten als HSV-Profi, Nachdem der 26-Jährige vor wenigen Tagen seinen Wechsel zu Union Berlin bekannt gab, ist er ab dem heutigen Montag (1.7.) auch ganz offiziell Spieler der Köpenicker. Für Bénes der nächste Schritt in seiner Karriere, den er mit Vorfreude aber auch reichlich Wehmut im Gepäck antritt.

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MOPO: Herr Bénes, Sie kamen gegen England neun Minuten vor dem Ende ins Spiel, um den Sieg mit abzusichern und erlebten dann einen sportlichen Albtraum. Wie lange werden Sie brauchen, um das Geschehene zu verarbeiten?

László Bénes: Das wird sicherlich noch eine ganze Weile dauern. Wir waren nur ein paar Sekunden von einem historischen Erfolg entfernt, denn die Slowakei hat noch nie in ihrer Geschichte ein Viertelfinale erreicht. Darüber haben wir vor dem Spiel in der Kabine auch gesprochen.

Englands Superstars drehten das Spiel gegen die Slowakei

Und dann kamen Jude Bellingham und Harry Kane und drehten das Spiel noch für England.

Unglaublich bitter ist das. Es tut richtig weh, denn es hat nur so wenig gefehlt. Ich denke, wir hätten es verdient gehabt, weiterzukommen. Aber unser Blick geht nach vorn. Wir haben in der Vorrunde Belgien geschlagen, hatten England fast schon besiegt und gezeigt, dass die großen Nationen in Zukunft mit uns rechnen müssen.

László Bénes und die Slowaken hatten Jude Bellingham (l.) und England am Rande der Niederlage.
imago/AFLOSPORT

László Bénes und die Slowaken hatten Jude Bellingham (l.) und England am Rande der Niederlage.

Sie selbst sind mit einer ungeklärten Vertragssituation ins Turnier gestartet und wussten zunächst nicht, ob Sie beim HSV bleiben oder gehen werden. Hat Sie das belastet?

Es war sehr schwer für mich, das mit mir herumzutragen und diese Entscheidung treffen zu müssen. Ich war immer sehr stolz darauf, bei einem so großen Verein wie dem HSV spielen zu dürfen. Das wirft man ja nicht so einfach weg, ohne sich wirklich ausführlich darüber Gedanken zu machen.

Bénes besaß eine Ausstiegsklausel in seinem HSV-Vertrag

Eine Ausstiegsklausel ermöglichte Ihnen einen Wechsel. Was hat letztlich dazu geführt, dass Sie diese gezogen haben?

Man kann sich das von außen vielleicht nur schwer vorstellen. Aber der verpasste Aufstieg in diesem Sommer hat mir sehr, sehr weh getan und schmerzt noch immer. Ich habe es mir so sehr gewünscht, mit dem HSV in der Bundesliga spielen zu können. 24 Monate habe ich für dieses Ziel gebrannt. Aber es kommt dann der Zeitpunkt, an dem man auch an seine eigene Karriere denken muss. Und ich wollte unbedingt wieder in der Bundesliga spielen.

Der Weg führt Sie nun zu Union Berlin. Zahlreiche Vereine waren an Ihnen dran, unter anderem wurden Feyenoord Rotterdam, Trabzonspor, Hoffenheim und Werder Bremen genannt. Was gab den Ausschlag für Union?

Ich hatte in den Gesprächen mit Union das beste Gefühl. Sowohl der Trainer (Bo Svensson, die Red.) als auch der Sportdirektor (Horst Heldt, die Red.) haben mir das Gefühl gegeben, dass ich als Offensivspieler sehr gut in die Mannschaft passen würde. Dazu kommt: Der Verein hat zwar ein schwieriges Jahr hinter sich, davor aber drei Jahre in Folge im Europapokal gespielt. Das spricht für die Ambitionen dieses Vereins. Sportlich und finanziell passt für mich bei Union alles. Wir wollen so weit oben wie möglich mitspielen und, na klar, dann auch bestenfalls wieder international.

Zwei Jahre lang spielte Bénes für den HSV

Lassen Sie uns ein wenig auf Ihre HSV-Zeit zurückblicken. Was wird bei Ihnen hängen bleiben?

Sehr vieles. Zunächst mal bin ich den Verantwortlichen sehr dankbar, dass sie mir vor zwei Jahren vertraut haben und die Chance gaben, für diesen Verein spielen zu dürfen. Vom ersten Tag an haben meine Frau und ich uns sehr wohl gefühlt. Privat war alles top und sportlich lief es dann für mich im zweiten Jahr ja auch sehr gut.

Was waren Ihre Höhepunkte?

Ich werde die Derbys gegen St. Pauli niemals vergessen, zumal wir ja im Volkspark auch beide Spiele gewonnen haben. Diese Atmosphäre vergisst du nie und sie wird schwer zu toppen sein. Dieser Verein hat so unfassbar geile Fans! Mir fallen auch meine Tore zu Hause gegen Schalke und Hertha ein. Es gibt viele Erinnerungen, die ich mitnehme.

Zum bereits sechsten Mal verpasste der HSV den Aufstieg in die Bundesliga

Der Sprung nach oben aber blieb Ihnen versagt. Haben Sie mit ein paar Wochen Abstand eine Erklärung dafür, warum es nicht gereicht hat?

Weil wir zu oft unter unseren Möglichkeiten geblieben sind. Und zwar auch ich – deshalb mache ich mir auch immer noch Vorwürfe. Ich hätte in manchen Spielen auch besser spielen können, meine Leistung hat nicht gereicht. Und deshalb bleiben neben den vielen positiven Bildern natürlich auch ein paar negative Gedanken. Die Jahre haben auch Kraft gekostet.

Der HSV wird nun ohne Sie in Kürze den siebten Anlauf nehmen, um den Aufstieg zu schaffen.

Ich wünsche dem Verein, dass es endlich klappt. Er gehört in die erste Liga, das weiß ja eigentlich auch jeder. Der HSV wird in jedem Fall in meinem Herzen bleiben. Und das Schöne ist: Unsere Tochter (Liana ist 19 Monate alt, die Red.) wurde in Hamburg geboren. Sie ist also eine echte Hamburgerin, das wird uns für immer mit der Stadt verbinden (schmunzelt).

Gibt es für Bénes bald ein Wiedersehen mit HSV-Kumpel Reis?

Möglicherweise gibt es irgendwann im Nationalteam ein Wiedersehen mit Ludovit Reis. Ihr früherer Teamkollege vom HSV hat sich noch immer nicht entschieden, ob er dem Lockruf der Slowakei folgen will (seine Eltern stammen aus dem Land, die Red.) oder weiterhin auf Einsätze für die Niederlande hofft.

Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Ludovit im Nationalteam wiedersehen könnte. Ich habe immer gern mit ihm zusammengespielt. Aber man muss verstehen, dass er sich mit dieser Frage nicht so leicht tut. Da spielt ja auch die Familie eine Rolle. Bezogen auf das Leben und die Karriere ist das eine große Entscheidung.

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Für Sie geht es nun erst mal in den Urlaub. Hand aufs Herz: Waren Sie nach einer Saison schon jemals derart urlaubsreif?

Es war schon sehr viel, was zuletzt alles passiert ist. Der verpasste Aufstieg, die Vertragslage, dann die Freude an dieser EM und das so bittere Aus zum Schluss. Ehrlich gesagt, bin ich noch nicht richtig in Urlaubstimmung. Wir haben auch noch gar nicht geplant, wo es hingehen soll. Im Moment schwanke ich noch zwischen Abschiedsschmerz und Vorfreude auf Union. Es wird ein paar Tage brauchen, um alles zu verarbeiten.

„Ich mache mir noch immer Vorwürfe!“ Bénes gibt letztes Interview als HSV-Profi wurde gefunden bei mopo.de