Indien: Modi verliert absolute Mehrheit – Auch für Deutschland eine Warnung

RMAG news

Die Partei von Narendra Modi verliert bei der Wahl in Indien überraschend die absolute Mehrheit. Das ist eine gute Nachricht für die indische Demokratie und gleichzeitig eine Mahnung für die deutsche Politik. Er hat gewonnen, aber der erwartete Erdrutschsieg ist ausgeblieben. Indiens Premierminister Narendra Modi hat sich am Dienstagabend zum Sieger der Parlamentswahl erklärt und wird wahrscheinlich seine dritte Amtszeit antreten können. Doch heftige Stimmenverluste führen dazu, dass Modis hindu-nationalistische BJP die absolute Mehrheit im Unterhaus verliert. Das bedeutet: Der Premierminister muss sich einen Koalitionspartner suchen. Sicherlich ist das eine bittere Enttäuschung für den 73-Jährigen, der Indien bereits zehn Jahre regiert. Doch was für Modi einem Schlag in die Magengrube gleichkommt, ist gleichzeitig ein Fest für die indische Demokratie. Die Wahl zeigt: Der indische Premier bekam die Quittung für den Hass, den er selbst gesät hat. Auch westliche Länder sollten dieses Ergebnis ernst nehmen. Sieg für die Demokratie Es war die größte Wahl der Welt. Knapp 970 Millionen Menschen waren vom 19. April bis zum 1. Juni zur Wahl aufgerufen. Und viele Inderinnen und Inder machten von diesem Recht Gebrauch, wählten unerwartet oft das Oppositionslager. Eine Überraschung. Viele Wahlhelfer arbeiteten im Land rund um die Uhr daran, ihre Demokratie zu schützen, die Wahl möglichst fair über die Bühne zu bringen. Sie waren die Beschützer der indischen Demokratie und das nötigt Respekt ab. Denn die Widerstände wären groß, politische Diversität wird von Teilen der indischen Bevölkerung bekämpft. Modi inszeniert sich selbst als starker Herrscher, der konsequent eine hindu-nationalistische Agenda verfolgt. Er und seine Partei sehen in Indien einen Staat nur für die hinduistische Mehrheit im Land, die 80 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Es macht fassungslos, wie schon heute Minderheiten im Land behandelt werden. Den Wahlkampf hatte der Premierminister auf den Ruinen einer jahrhundertealten Moschee in Ayodhya begonnen, die radikale Hindus zerstört hatten. Bei blutigen Zusammenstößen zwischen Hindus und Muslimen starben hier im Jahr 1992 mehr als 2.000 Menschen. Diesen Schandfleck der indischen Geschichte feiert Modi nicht grundlos: Seine Partei BJP ist der politische Arm der Hindutva-Bewegung, die für einen hinduistischen Gottesstaat eintritt. In diesen Momenten zeigt der Premier sein wahres Gesicht. Seine Agenda ist das genaue Gegenteil der Vision von Gründervater Mahatma Gandhi, der sich einst für eine strikte Trennung von Religion und Staat ausgesprochen hatte. Schon jetzt werden Muslime und andere religiöse Minderheiten zunehmend wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Modi bezeichnete Muslime gar als “Eindringlinge”. Wohlstand und Demokratie Der indische Regierungschef hat keine Skrupel, gegen Menschen vorzugehen, die nicht in sein Staatsbild passen. Die indische Justiz ließ bei dieser Wahl Oppositionelle aufgrund von Korruptionsvorwürfen nicht antreten, sodass in einigen Wahlbezirken lediglich BJP-Kandidaten übrig blieben. Zudem ist der öffentliche Druck, der von Modis Anhängern auf Gegner ausgeübt wird, in Indien allgegenwärtig. Diese politische Gewalt ist ein Grund für das Wahlergebnis . Modi ist zwar in der Bevölkerung noch immer sehr beliebt, aber viele Menschen im Land stößt der Konformitätszwang ab. Sie wollen ihre Demokratie schützen – und das ist gut so. Ein zweiter Grund für das Ergebnis: Viele Inderinnen und Inder wünschen sich vor allem Frieden und Wohlstand. Modi galt lange Zeit als Garant für wirtschaftliches Wachstum. Unter seiner Regentschaft hat sich die Wirtschaftsleistung nahezu verdoppelt, inzwischen ist Indien die fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, was Investoren anlockt. Aber die Fassade bekommt Risse. Viele finden keinen Job, Arbeitslosigkeit und Inflation sind hoch. Rund 800 Millionen der 1,4 Milliarden Menschen kommen offiziellen Angaben zufolge nur mit Sozialhilfe über die Runden. Das Wachstum ist also ungleich verteilt – und das macht zu Recht viele wütend. Auch für Deutschland eine Warnung Modi überspielt diese Probleme oft mit seinem Talent für große Inszenierungen. Er praktizierte vor dem UN-Hauptquartier in New York Yoga, oder er verabschiedete sich vor dem Ende der Wahl in Indien in eine mehrtägige Meditation. Gläubig, bescheiden, dieses Bild will er von sich zeichnen. Wer im Westen denkt schon darüber nach, dass der 73-Jährige, der auf internationalen Gipfeln fröhlich lächelnd die Hände der Staats- und Regierungschefs schüttelt, sein Land immer autokratischer macht und seine politischen Gegner verfolgen lässt? Niemand – und das ist äußerst gefährlich. Denn Modi zeigt schon jetzt Anzeichen von Hybris. Er wollte bei dieser Wahl 400 der 543 Sitze im Unterhaus gewinnen, nannte sich als der von “Gott Gesandte”. In erster Linie klingt das absurd, aber auch Deutschland muss dieses Streben nach Macht ernst nehmen, auch wir dürfen nicht wegschauen. Nicht schon wieder. Indien ist schon jetzt wichtig für die deutsche Wirtschaft. Aber der deutsch-indische Handel wird weiter wachsen, denn deutsche Unternehmen werden das Land als Alternative zur chinesischen Wirtschaft sehen. Für Modi eine gute Entwicklung, weil er Indien zur wirtschaftlichen Supermacht machen will. Für Deutschland bietet das Land mit Hunderten Millionen Arbeitskräften eine Möglichkeit, sich im geopolitischen Ringen mit China und Russland aus der Abhängigkeit von der Volksrepublik zu lösen. Dieser Weg ist verständlich, trotzdem darf auch die Bundesrepublik nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Stattdessen ist es wichtig, dass Deutschland wirtschaftlich auf möglichst viele Karten setzt, denn sonst könnten kommende Bundesregierungen die Blindheit ihrer Vorgänger bitter bereuen. Modis Innenpolitik muss ein Warnschuss sein. Nicht nur für die indische Bevölkerung bei Wahlen, sondern auch für uns.