Kult-Wirt, Rocker und Weltrekord-Halter: Hamburger Leben zwischen Tresen und Stars

Kult-Wirt, Rocker und Weltrekord-Halter: Hamburger Leben zwischen Tresen und Stars

Mit getönter Sonnenbrille und Lederjacke, die grauen Haare nach oben frisiert, sitzt er da. Einen halben Liter Apfelschorle im Bierglas vor sich. Alkohol ist tabu. Seit 25 Jahren hat er keinen Tropfen mehr getrunken. Der Mann, der mit Weltstars auf der Bühne stand, gemeinsam mit anderen Musikern den Grundstein für die „Hamburger Szene“ mit Otto Waalkes und Udo Lindenberg legte und in dessen Läden so viele internationale Stars feierten, dass es ihm unmöglich ist, sich an jeden Einzelnen zu erinnern. Uli Salm, Vollblutmusiker und Kult-Wirt des „Zwick“ in Pöseldorf und auf dem Kiez, spricht offen über feuchtfröhliche Abende mit Promis wie Elton John, Herbert Grönemeyer und Hugh Grant, der ganz schön einstecken musste. Er erzählt von tiefen Abstürzen, hohen Höhenflügen und ganz viel Leidenschaft.

Ulis Welt ist die Musik. Natürlich ist er auch Wirt, seinetwegen auch Kult-Wirt, auch wenn er das etwas übertrieben findet. Doch vor allem ist er Rocker. „Also, mittlerweile natürlich Altrocker“, sagt der 76-Jährige lachend. Dabei hat es vor fast 70 Jahren durchaus leiser angefangen. Uli lernte Geige. Musste er. Die Eltern wollten es so. Damit er seine beiden älteren Schwestern, die Klavier spielten, begleiten konnte. Besonders an Weihnachten eine große Freude für die Familie. Für ihn nicht gerade ein Highlight. „Ich habe in sieben Jahren das gelernt, was andere in einem Jahr lernen.“

„Musiker-Kommune“ mit Udo Lindenberg, Marius Müller-Westernhagen und Otto

Als in der Schule in Uelzen eine Skiffle-Band den Bassisten verlor, war es vorbei mit den leisen Tönen. Uli stieg mit ein. Zum großen Unmut seiner Eltern? „Ach was“, Uli winkt ab. „Meine Eltern waren außergewöhnlich tolerant. Wir haben sogar immer in unserem Keller geprobt.“ Schon mit der Schulband kam der Durchbruch. 1964 nahmen die Jungs bei einem großen Schallplatten-Label eine Langspielplatte in Hamburg auf. Ein großes Ding. Allerdings anders als erhofft. „Wir mussten deutsche Volkslieder spielen.“ Nicht das, was sie wollten. „Aber ich bin nach wie vor stolz darauf.“ Und es war der Beginn seiner Musikkarriere mit etlichen Auftritten im Star-Club.

Nach der Schule machte Uli die Biege. Ab nach Hamburg. Sein Vater, ein Kartoffelgroßhändler, hatte bereits Jahre zuvor zwei Häuser am Mittelweg (Rotherbaum) gekauft. In dem einem befand sich das „Zwick“, in dem Uli schon zu Schulzeiten gefeiert hatte. Er zog in das Hinterhaus. „Eine tolle Zeit“, sagt der schlanke Mann fast wehmütig. Zwei Häuser weiter wohnte Udo Lindenberg. Darüber Marius Müller-Westernhagen. Um die Ecke hatte Otto eine Wohnung. Über dem Zwick Lonzo, der bereits verstorbene „Teufelsgeiger“. Sein bester Freund. „Wir waren eine lustige und wilde Musiker-Kommune.“


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Zu einigen hat er auch heute noch Kontakt. Wie zu seinem engen Freund Otto Waalkes. Uli hatte ihn vor Jahrzehnten in Live-Clubs kennengelernt, als dieser gerade auf der Kunsthochschule zu studieren begann. „Da war Otto natürlich noch völlig unbekannt.“ Ulis Band Leinemann hingegen war damals angesagt. Sie wurden auch die Gründungsväter der „Hamburger Szene“ genannt. „Otto spielte im Vorprogramm. Für 100 Mark. Es gab da nur ein Problem. Er kam so gut an, dass wir danach gerne mal Probleme hatten, unser Publikum wieder für uns zu gewinnen.“ Kurz darauf erledigte sich das Problem von selbst. Otto hatte im Audimax seine erste Live-Aufnahme. Ein Volltreffer. „Da waren wir dann bei ihm im Vorprogramm.“

Eine Zeit, in der Uli mit seiner Band Leinemann schwer unterwegs war. Dabei studierte er eigentlich Jura. Und das sehr ausgiebig. „Weil die Krankenkasse so günstig war.“ Er machte alle Scheine, das Examen aber nicht. „Die Musik war immer meine Nummer eins.“ Uli war ein gefragter Bassist. Er ging mit Jerry Lee Lewis auf Tour, stand mit Bill Haley („Rock Around The Clock“) und Chuck Berry auf der Bühne.

Ein Erlebnis der anderen Art mit Chuck Berry

Uli erinnert sich noch genau an den Auftritt am 6. Dezember 1991 im CCH. Joja Wendt am Piano, Dicky Tarrach von den „Rattles“ am Schlagzeug und er, damals mit blonder, langer Matte, am Bass. Alles gute Musiker. Keine Frage. Allerdings mussten sie „nackt“ auf die Bühne. „Wir hatten kein Programm, keine Tonarten. Nichts.“ Zur Begrüßung war Chuck Berry wortlos an ihnen vorbeigestiefelt und hatte auf der Bühne seine Gitarre gestimmt. Der Star erwartete, dass es reichte, wenn er vier Takte vorspielte. Seine Band sollte erkennen, was er meinte. „Dabei hören sich viele seiner Songs sehr ähnlich an. Echt ein Erlebnis der anderen Art“, sagt Uli und verdreht die Augen. Am Ende aber trotzdem ein Erfolg. Nach dem Auftritt sei Chuck Berry in die Garderobe gekommen und habe sich bedankt.

Für Uli war der 6. Dezember 1991 noch aus anderem Grund ein ganz besonderer Tag. Nach dem Auftritt eilte er ins „Zwick“. Es war der Abend, an dem er die Kneipe am Mittelweg das erste Mal als Besitzer eröffnete. „Ich wollte das ,Zwick‘ immer übernehmen.“ Ende der 80er ging es bergab mit dem legendären Laden. Der Pächter gab auf. Uli kaufte das „Zwick“. Mit welchem Geld? „Wir hatten gerade einen Hit. Damals gab es von den Wildecker Herzbuben dieses Herzilein. Wir dachten: ‚Das ist ja so arschkrank‘ und haben daraus mit Rudolf Rock und die Schocker eine Rock ’n’ Roll-Version gemacht. Das ist uns ziemlich gut gelungen.“ Bei „Geld oder Liebe“ mit Jürgen von der Lippe traten sie auf. Damals ein Erfolgsgarant.

Seit Jahrzehnten befreundet: Hugo Egon Balder (v.l.), Uli Salm und Otto Waalkes im „Zwick“.
Privat.

Seit Jahrzehnten befreundet: Hugo Egon Balder (v.l.), Uli Salm und Otto Waalkes im „Zwick“.

Nun war Uli Wirt vom „Zwick“. Doch trotzdem tourte er weiter. Hinterm Tresen stehen war nicht sein Ding. „Ich bin nicht so gut im Smalltalk. Das muss man können.“ Viel Zeit verbrachte er trotzdem im Laden. Der Alkohol floss in Strömen. „Wir haben fast jede Nacht Party gemacht. Dass man da zum Alkoholiker wird, ist völlig klar.“ Es ging Uli immer schlechter. Nach den Abstürzen kam er nur schwer wieder auf die Beine. Er versuchte es mit Alkoholpausen, glaubte jahrelang, er könne seinen Konsum einschränken. Zwei bis drei Bier – dann ist aber Schluss. „Das schafft man nicht. Als Alkoholiker gibt es nur eins: Ganz aufhören.“

Das tat er. Und auch das Rauchen gab er auf. Am 11. Juli 1999. Wie Uli heute sagt, sein zweiter Geburtstag. „Da begann mein zweites Leben.“ Sechs Wochen Klinik, in denen er viel über sich und seinen Körper lernte. Uli ist stolz: „Ich hatte in 25 Jahren nicht einen einzigen Rückfall.“ Klar, er feiert noch immer gerne. Doch wenn es zu wild wird, geht Uli. Selbst wenn internationale Stars das „Zwick“ besuchen. Musiker wie Elton John, „ein eher zurückhaltender Typ“, Eric Clapton, Pink und Jimi Hendrix waren da. AC/DC haben es krachen lassen. Ebenso wie Schauspieler Hugh Grant. „Am Ende hatten die alle so gut einen drin, dass sie Armdrücken gemacht haben. Hugh Grant hatte keine Chance gegen die Gäste“, sagt Uli lachend. Auch deutsche Promis wie Udo Jürgens, Howard Carpendale und Vicky Leandros kamen gerne vorbei. „Es sind unheimlich viele Beziehungen bei uns entstanden. Herbert Grönemeyer lernte zum Beispiel seine erste Frau im ,Zwick‘ kennen.“

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Auch heute kommen die Stars noch. Nicht nur nach Pöseldorf. Seit Mitte September 2010 betreibt Uli ein zweites „Zwick“ auf St. Pauli. „Ich wollte mein Leben lang schon einen Laden auf dem Kiez. Ich war schon immer viel hier unterwegs.“ Mit seinem Freund Hugo Egon Balder suchte er eine Kneipe, die so groß ist, dass man eine Bühne hat „und immer Musik machen kann“. Am Millerntorplatz (Ecke Reeperbahn) wurden sie fündig. Ein altes China-Restaurant. „Vor der Tür lagen mittags schon Betrunkene, und auch drinnen war es gruselig. Aber die Miete war nicht zu hoch und der Laden groß genug.“ Sie rissen alles raus, gestalteten den etwa 350 Quadratmeter großen Laden selber. „Wir wollten eine Kneipe, die so alt aussieht, als sei das Haus drum herum gebaut worden.“ Es ist ihnen gelungen. Schwarz-Weiß-Fotografien von Musikern zieren die Wände. Aus den Boxen dringt Jethro Tull. Etwa 100 Bass-Gitarren sind über den Laden verteilt. Alles Ulis.

Seit Jahrzehnten kauft der „unverbesserliche Sammler“ Bass-Gitarren. Kürzlich wurde er ausgezeichnet, vom Guinness-Buch der Rekorde. Mit seinen 854 Bässen (mittlerweile sind es noch mehr) hat er die weltweit größte Sammlung. Nicht nur eine Sammelleidenschaft. Manche seiner Instrumente sind bis zu 40.000 Euro wert. Mit seinen Bässen hat er bereits schwere Zeiten überbrückt. Wie die Schließung von zwei „Zwick“-Kneipen in Lüneburg und Altona, die „mehr Probleme machten als Freude“. Uli will keine neuen Läden mehr. Er hat genug um die Ohren mit seinen beiden Kneipen und genießt die Zeit mit seiner Frau Susi, Sängerin seiner Band „Rudolf Rock und die Schocker“, und den vier Hunden im Haus im Landkreis Harburg. Außerdem ist da ja auch noch die Musik. Uli steht nach wie vor regelmäßig auf der Bühne. Vor Kurzem hatte er zwei Auftritte an einem Tag. In Hamburg und Eutin. Jeweils drei Stunden auf der Bühne. „Noch immer ein großer Spaß.“ Allerdings nicht mehr ganz so lässig wie früher. „Da tut hinterher der Rücken weh“, sagt Uli lachend. Er habe schon so ein paar „Zipperlein“. Aber leiser – das wird er nicht.

Uli Salm (76) liebt die Musik. Seine Anfänge machte er mit der Geige. Weil die Eltern es so wollten.
Marius Röer

Uli Salm (76) liebt die Musik. Seine Anfänge machte er mit der Geige. Weil die Eltern es so wollten.

Steckbrief Uli Salm (76)

Spitzname und Bedeutung: Mein Künstlername ist Rudolf Rock. Damals gab es einen Opernsänger, der hieß Rudolf Schock. Das war der Inbegriff dessen, was wir nicht wollten. Ich dachte, dann nennen wir unsere Band Rudolf Rock und die Schocker
Beruf/ erlernte Berufe: Musiker und Gastronom
St. Pauli ist für mich … meine zweite Heimat.
Mich nervt es tierisch, wenn … man redet und redet und es ändert sich nichts. Aber eigentlich bin ich sehr entspannt und habe immer gute Laune. 
Ich träume davon … endlich mal wieder in den Urlaub zu fahren. Seit Jahren waren wir nicht mehr richtig im Urlaub.
Wenn mir einer blöd kommt, … kann ich auch böse werden.
Zum Abschalten … gehe ich auf die Bühne.
Als Kind … hatte ich die schönste Zeit, die man haben kann.
Meine Eltern … waren die besten und tolerantesten Eltern der Welt. Bessere Eltern hätte ich mir nicht wünschen können.
Vom Typ her bin ich … entspannt.

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