„Manchmal allein im Supermarkt“: So ist es wirklich, auf eine Nordseeinsel zu ziehen

„Manchmal allein im Supermarkt“: So ist es wirklich, auf eine Nordseeinsel zu ziehen

Vivien Wolfs und Kilian Stegmann leben seit gut einem Jahr auf Baltrum. Neuankömmlinge sind auf den Ostfriesischen Inseln hochwillkommen. Wer überlegt umzuziehen, sollte aber ein paar Dinge bedenken.

Dort leben, wo andere ihren Urlaub verbringen: Für Vivien Wolfs und Kilian Stegmann ist das seit etwas über einem Jahr Wirklichkeit. Das Paar, beide Anfang 30, hat den Schritt gewagt und ist vom Festland nach Baltrum gezogen – auf die kleinste der Ostfriesischen Inseln. Ein paar Hundert Insulaner leben dort, statt Autos fahren Pferdekutschen durch die Straßen vom Ost- und Westdorf, der Sandstrand ist immer in wenigen Fußminuten erreichbar – Ferienidylle pur. „Es ist doch eine andere Welt“, sagt Wolfs und meint damit den Vergleich zum Leben in einer Stadt an Land. „Es ist natürlich viel weniger Lärm und man hat das Gefühl, dass die Zeit stehen bleibt.“

Pferdekutschen statt Autos: „Eine andere Welt“

„Insel-Vibe“ fasst ihr Partner Kilian dieses Gefühl zusammen. Wer für einen Sommerurlaub auf eine Nordseeinsel reise, bekomme dieses Gefühl von Entschleunigung besonders schnell zu spüren, sagt der Neu-Insulaner. Stegmann arbeitet als Inselpolizist auf Baltrum, Wolfs ist Lehrerin für Sport und Deutsch an der Schule der kleinen Nordseeinsel. 


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Ihre Entscheidung, nach Baltrum zu ziehen, haben sich die beiden genau überlegt. „Das war keine Schnapsidee“, sagt Stegmann. Viele Stunden hätten sie abgewogen und gesprochen. „Wir haben alles durchgeplant.“ Dass ihr Lebensmittelpunkt mal eine Insel sein könnte, das hatte sich das Paar, das gern segelt, aber schon früh vorgestellt. „Wir sind schon immer oft in Urlauben auf Inseln gefahren“, sagt Stegmann. „Wir hatten dann auch immer den Drang, die Inseln ganz zu sehen“, ergänzt Wolfs. „Jede einzelne Bucht, am besten menschenleer.“ Ein Großstadtleben, das wäre wohl eher nicht das Richtige für sie, sagt das Paar.

Neuankömmlinge sind auf Inseln willkommen

Am Ende hätte es auch eine andere Insel als Baltrum werden können, doch dort waren gerade auch passende Stellen frei. Bereut haben sie ihren Umzug bislang keine Minute, sagen die beiden. Die Wellen der Nordsee in Sichtweite, dazu das Hufgeklapper der Pferdekutschen – „wo gibt es so etwas schon?“, fragt Stegmann.

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Tatsächlich sind die Ostfriesischen Inseln als Wohnort begehrt. Vergleicht man Zuzüge und Fortzüge in der Wanderungsstatistik des Niedersächsischen Landesamtes für Statistik, lässt sich ein Trend erkennen: Innerhalb der vergangenen zehn Jahre verbuchten alle Inseln – bei jährlichen Schwankungen – unter dem Strich etwas mehr Neuankömmlinge als Wegziehende. Auf größeren Inseln wie Borkum fällt das Plus an Zuzügen etwas größer aus als auf kleineren Inseln wie Wangerooge. Selbst Baltrum ist der Statistik zufolge seit 2013 insgesamt etwas gewachsen. Rund 650 Einwohnerinnen und Einwohner leben dort dauerhaft.

Infrastruktur: Baltrum benötigt Bewohnerzuwachs

Neue Mitbürgerinnen und Mitbürger würden auf Baltrum dringend gebraucht, sagt Inselbürgermeister Harm Olchers. Nicht nur, um die Inselinfrastruktur mit Feuerwehr, Kita, Schule oder Bäderbetrieb am Laufen zu halten. Auch für das Inselleben selbst seien neue Gesichter wichtig, erklärt Olchers. Baltrum biete jede Menge Gemeinschaft, wer Gefallen daran habe, sei schnell dabei. „Die Anonymität der Großstadt gibt es hier nicht.“

Harm Olchers, Bürgermeister der Nordseeinsel Baltrum, steht vor dem Rathaus der Insel.
picture alliance/dpa/Hauke-Christian Dittrich

Harm Olchers, Bürgermeister der Nordseeinsel Baltrum, steht vor dem Rathaus der Insel.

Weitere Vorteile des Insellebens liegen für ihn auf der Hand: „Baltrum ist eine ideale Kinderstube.“ Auf der Insel gebe es keinen Motorenverkehr, gleichzeitig aber kurze Wege. An der Inselschule sei das Schüler-Lehrer-Verhältnis so eng, dass man fast von Privatunterricht sprechen könne. „Was Besseres gibt es aus meiner Sicht nicht“, sagt Olchers.

Knapper Wohnraum erschwert Start ins Inselleben

Wäre da nur nicht der Wohnraummangel. Denn Dauerwohnraum ist auf Baltrum wie auf allen Ostfriesischen Inseln knapp. Wo die Fähren abhängig von den Gezeiten fahren, ist auch Pendeln vom Festland aus nicht möglich. Vivien Wolfs und Kilian Stegmann hatten Glück. Über den Job als Inselpolizisten war eine Dienstwohnung der Polizei auf der Insel frei. 

Passenden Wohnraum auf einer Ostfriesischen Insel zu finden, stelle viele Neuankömmlinge erst einmal vor eine kleine Herausforderung, sagt Cornelia Bittner. Sie ist Insellotsin auf Baltrums Nachbarinsel Langeoog und dort bei der Inselgemeinde für die Gemeinwesenarbeit und das Quartiersmanagement zuständig. Auch für Neu-Insulaner ist sie dort eine wichtige Ansprechpartnerin – eine Stelle, die es so auf Baltrum nicht gibt.

Die Ostfriesischen Inseln verzeichnen einen Bevölkerungszuwachs. Foto: Strand von Baltrum
picture alliance/dpa | Focke Strangmann

Die Ostfriesischen Inseln verzeichnen einen Bevölkerungszuwachs. Foto: Strand von Baltrum

Auf Langeoog hilft sie etwa beim Erstellen von Wohnungsannoncen, vermittelt Kontakte oder gibt Tipps zur Wohnraumsuche. Neuankömmlinge sollten sich genug Zeit nehmen und früh genug, in der Nebensaison mit der Suche anfangen, erklärt Bittner. Auf Langeoog etwa sei im Januar und Februar weniger los. Dann stünden die Chancen besser, eine geeignete Unterkunft zu finden. Es gebe auch oft die Möglichkeit, über einen Arbeitgeber Wohnraum zu mieten, was den Neustart auf einer Insel erleichtere, sagt Bittner. 

Inselleben ist mit viel Planung verbunden

„Grundsätzlich ist der Traum auf eine Insel zu ziehen, egal um welche Insel es sich handelt, wohl immer mit etwas mehr Logistik, Planung und Zeit verbunden“, sagt die Insellotsin. Das liege etwa an den Fährverbindungen, die je nach Insel mitunter von den Gezeiten abhängig seien. Hinzu komme, dass auf autofreien Inseln der Umzug über die Inselspeditionen laufe. „Durch die Autofreiheit läuft ein Transport so bei uns mit E-Karren, auf Baltrum mit Pferdefuhrwerken, was man einfach mit einplanen sollte“, sagt Bittner.

Erst einmal angekommen, ließen sich dann auch die Vorzüge eines Insellebens genießen. „Ich bin in zwei Minuten von meiner Wohnung in einem wunderschönen Inselwald und in drei Minuten am Meer“, sagt Bittner, die selbst vor eineinhalb Jahren neu nach Langeoog kam.

„Manchmal die einzige Person im Supermarkt“

Um herauszufinden, ob ein Inselleben tatsächlich das Richtige für jemanden ist, empfehlen Kilian Stegmann und Vivien Wolfs auch einen längeren Besuch im Winter, wenn abseits der Hochsaison kein Trubel sei. Denn die Sommerurlaube vermittelten wahrscheinlich nicht das komplette Bild vom Inselleben, sagt Wolfs. „Manchmal ist man im Winter die einzige Person im Supermarkt.“ Wer die Vorzüge eines bunten Kneipen- und Kulturlebens einer Großstadt liebe, werde im Winter auf einer Nordseeinsel wohl kaum glücklich, sagt sie. 

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Einsam sein brauchen Neuankömmlinge aber trotzdem nicht, erzählt das Paar. Über den Kultur- und Sportverein gebe es auf Baltrum etwa viele Angebote, über die man auch Anschluss zum Inselleben erhalte. Beide seien ziemlich schnell aufgenommen worden in die Inselgemeinschaft, sagen sie – auch wenn man zuerst womöglich etwas beäugt werde. „Man muss offen sein und zeigen, dass du Bock hast auf Insel“, sagt Stegmann. Insulaner hätten ein gutes Gespür dafür, ob Neuankömmlinge es ernst meinten und langfristig planten. 

Für Vivien Wolfs und Kilian Stegmann ist Baltrum inzwischen Zuhause geworden. Beide haben vor, lange zu bleiben. „Zu 99 Prozent bleiben wir bis zur Rente hier“, sagt Stegmann. Danach wollen sie noch mehr segeln, die Welt erkunden – und weitere Inseln sehen. 

„Manchmal allein im Supermarkt“: So ist es wirklich, auf eine Nordseeinsel zu ziehen wurde gefunden bei mopo.de

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