Mannheim: Experte ordnet Angriff ein – “Neue Dimension der Gewalt”

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Ein toter Polizist, mehrere Verletzte: Das ist die Bilanz des wohl islamistisch motivierten Angriffs in Mannheim. Die muslimische Gemeinde in Deutschland muss jetzt umdenken, fordert Murat Kayman. Der tödliche Messerangriff in Mannheim beschäftigt Deutschland. Während in Berlin eine politische Debatte um Abschiebungen nach Afghanistan und den Umgang mit Islamisten entbrannt ist, trauern Menschen in Mannheim am Tatort um den getöteten 29-jährigen Polizisten. Indes werden immer mehr Informationen zur Tat bekannt. Am Montag übernahm der Generalbundesanwalt die Ermittlungen, weil die Tat mittlerweile als “religiös motiviert” eingestuft wird. Und Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) spricht nun von einer islamistisch-extremistisch motivierten Straftat . Losgelöst vom Islam lasse sich die Tat nicht betrachten, sagt auch Murat Kayman, Jurist und Gründer der muslimischen Alhambra-Gesellschaft. Warum er bei den großen Islam-Verbänden eine Mitschuld sieht und wie die muslimische Gemeinschaft jetzt umdenken muss, erklärt er im Interview mit t-online. t-online: Herr Kayman, nach solchen Angriffen wie dem in Mannheim gibt es die Diskussion, ob die Tat mit dem Islam zusammenhängt oder ob es sich um einen verwirrten Einzeltäter handelt. Wie bewerten Sie das? Murat Kayman: Wir können letztlich nicht in den Kopf des Angreifers schauen, um nachzuvollziehen, was genau der Auslöser, die Motivation, die Gedankenwelt ist. Aber losgelöst vom Islam lässt sich das nicht betrachten. Wir erleben immer wieder Ereignisse, bei denen radikale Muslime Gewalt bis hin zum Mord gegen Menschen ausüben, die ihre Meinung über den Islam nicht teilen. Denken Sie an die Reaktionen auf Mohammed-Karikaturen wie bei Charlie Hebdo oder eben jetzt an Michael Stürzenberger. Das ist hochproblematisch, aber leider hinlänglich bekannt. Der Angriff auf den Polizisten hingegen ist eine neue Dimension der Gewalt hier in Deutschland. Inwiefern? Auf diesen Polizisten geht er nicht los, weil er eine andere Meinung zum Islam hat, sondern weil dieser Mann eine Uniform trägt und Repräsentant des Staates ist. Das allein motiviert den Täter dazu, mit so viel Gewalt und mit Tötungsabsicht auf den Hals des Polizisten einzustechen. Dabei ist der Polizist ein Unbeteiligter und hat dem Täter den Rücken zugedreht. Dieser Hass gegen einen Staatsvertreter, gegen jemanden, der für diese Gesellschaftsordnung steht und diese verteidigt, bedrückt mich besonders. Das und die naheliegenden religiösen Motive müssen jetzt Anlass dafür sein, dass wir darüber diskutieren, welches Bild die muslimische Gemeinschaft von der deutschen Gesellschaft hat. Sie sprechen in dem Zusammenhang oft von einer Wagenburg. Was meinen Sie damit? Es gibt die Erzählung, die sagt: “Wir sind eine geschlossene muslimische Gemeinschaft, die durch das Schicksal in diese nichtmuslimische Gemeinschaft hineingeworfen wurde und nun unser Muslimischsein gegen diese Gesellschaft behaupten und notfalls auch verteidigen muss.” Damit will ich nicht sagen, dass Gewalt gutgeheißen wird. Wenn man aber solche Erzählungen fördert, dann ist gerade für junge Menschen, die Gefallen an radikalen Ideen finden, der logische Schritt nicht weit, zu sagen: “Ich muss meine muslimische Identität jetzt auch mit Gewalt verteidigen”. Das ist eine wirklich gefährliche Tendenz. Sie werfen in dem Zusammenhang besonders den islamischen Verbänden in Deutschland vor, diese Erzählungen zu teilen und zu verbreiten. Warum? Das liegt auch in der Geschichte der großen muslimischen Verbände in Deutschland. Sie entstanden mit der ersten Gastarbeitergeneration aus der Türkei , und es war damals ihre Aufgabe, die kulturelle und religiöse Identität der Gastarbeiter zu bewahren – es war schließlich immer der Plan, dass sie irgendwann zurückkehren. Über die letzten Jahrzehnte aber hätten sich diese Organisationen hin zu originär deutschen Religionsgemeinschaften wandeln müssen, die ihre Aufmerksamkeit dieser Gesellschaft widmen. Dieser Entwicklungsprozess aber hat nicht stattgefunden. Die großen Verbände nehmen ihre Existenz in Deutschland noch immer als Enklave, als Diaspora wahr, die mit der Gesellschaft hier nichts zu tun hat. Es gibt natürlich auch in der deutschen Gesellschaft Diskriminierung und Ausgrenzung. Absolut, Muslimen wird immer wieder gespiegelt, dass sie fremd sind, auch durch einige Parteien. Diese unselige, jahrelange Debatte darum, wer zu unserer Gesellschaft gehört und wer nicht, hat Auswirkungen. Als viel größer aber schätze ich den Effekt der Selbstwahrnehmung der Muslime, der eigenen Verortung ein. Sie haben lange selbst bei einem der großen Verbände, der Ditib, gearbeitet. Wie wird dort darüber gesprochen? Ein Beispiel: Man muss in den muslimischen Gemeinschaften – ob Ditib, im Zentralrat oder im Islamrat – eigentlich nur die Diskussion beginnen, ob es treffend ist, Muslime jetzt als deutsche Muslime zu bezeichnen. Das führt sofort zu extremen Ablehnungsreflexen und Zurückweisungen. Das Deutsche und das Muslimische wird einfach nicht als Gemeinsamkeit gedacht oder empfunden. Und da beginnt der Weg, der zu einer Ablehnung dieser Gesellschaft führt und der in letzter Konsequenz den Weg ebnet für Menschen, die auch bereit sind, diese Ablehnung gewaltsam auszuleben, wie nun bei dem Täter in Mannheim. Das ist kein Einzelereignis. In abgeschwächter Form haben wir es kürzlich auch bei Demonstrationen der Kalifatbewegung in Hamburg gesehen. Dort forderten die Redner vor rund 1.000 Teilnehmern das Kalifat und setzten während der Veranstaltung auf strenge Geschlechtertrennung. Die Anziehungskraft dieser Veranstaltungen liegt nicht unbedingt darin, dass die Teilnehmer intellektuell durchdringen, welche Forderungen auf der Bühne gerade formuliert werden. Es geht mehr darum, dass man laut ist, dass man gemeinsam “Allahu Akbar” ruft, dass der Staat so viele Polizisten ihretwegen schicken muss. Sie sind auf einmal eine Gemeinschaft, die stark und geschlossen dasteht. Wir müssen hinterfragen, woher das kommt und wieso es dieses Bedürfnis gibt. Da schließt sich meiner Meinung nach der Kreis zu der Wagenburgerzählung in den Verbänden. Gerade für diese Demonstrationen ist ja auch stark über Plattformen wie TikTok mobilisiert worden. Ja, gerade die jungen Muslime können kaum mehr über die klassischen Kommunikationswege der muslimischen Verbände und Moscheegemeinden erreicht werden. Einfach auch, weil die genutzte Sprache für sie kaum verständlich und konsumierbar ist. Diese religiösen Influencer haben hingegen einen großen Einfluss. Sie verbreiten die Vorstellung eines objektiven Islam, in dem es nur eine einzige Wahrheit gibt. Das ist hochgefährlich, weil sie Individualität oder andere Meinungen ausschließen. Das führt dazu, dass ihre Anhänger die Gesellschaft ablehnen, Andersdenkende diskriminieren, frauenfeindlich sind. Diese Influencer, die am Ende vor allem ihre Videos verkaufen wollen, sind sehr erfolgreich. Und ich sehe bislang nicht, dass dem etwas entgegengesetzt wird – auch nicht von der Bundespolitik. Die steht derzeit in der Kritik, sie habe das Thema Islamismus vernachlässigt, etwa weil Innenministerin Nancy Faeser 2022 den Expertenkreis Politischer Islamismus nicht hat weiterführen lassen. Wie sehen Sie das? Ich glaube, dass die Politik derzeit zu nachsichtig etwa mit den Verbänden umgeht. Unsere Bundespolitik hat offenbar kein Interesse, die muslimischen Ansprechpartner darauf aufmerksam zu machen, an diesen Themen intensiv zu arbeiten. Da findet derzeit keine Konfrontation statt, die es jetzt eigentlich mehr denn je bräuchte. Dabei wäre es besonders wichtig, dass die Verbände endlich ihre Einstellung gegenüber der deutschen Gesellschaft diskutieren. Und zwar so, dass die Öffentlichkeit daran teilhaben kann. Sonst droht die Gesellschaft an diesem Punkt noch mehr auseinanderzubrechen.