„Massives Vollzugsdefizit“: Experte kritisiert Verschärfungen des Waffenrechts

„Massives Vollzugsdefizit“: Experte kritisiert Verschärfungen des Waffenrechts

Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen ist auch in Hamburg die Debatte um das Waffenrecht neu entflammt: Der Senat um Grote, Fegebank und Co. spricht sich für eine Gesetzesreform aus. Aber ist ein schärferes Recht wirklich die Lösung? Ein Experte ist da mehr als skeptisch. Währenddessen wurde das erste Straßenfest in der Stadt abgesagt – aus Angst vor einer Nachahmungstat. Und die Zahl der Messerangriffe steigt auch in Hamburg.

„Mannheim und Solingen waren öffentliche Veranstaltungen, dort ist das Tragen von Waffen ohnehin verboten“, sagt Lars Winkelsdorf. Der Hamburger ist Waffenexperte, arbeitet als Sachverständiger und Journalist, verfasste ein Buch über Waffenrecht. Ihm zufolge braucht es keine Rechtsverschärfung. „Die Gesetze müssen angewendet werden. Wir haben ein massives Vollzugsdefizit.“

Hamburg: Messer-Debatte nach Solingen wieder entflammt

Der Anschlag auf das „Fest der Vielfalt“ in Solingen mit drei Toten und acht Verletzten war keine 48 Stunden her, da forderte Innensenator Andy Grote (SPD) eine Rechtsverschärfung. Eigentlich ein Plan von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Der FDP im Bund warf er Blockade vor: „Das ist ein Riesenproblem für die Sicherheit in Deutschland“, sagte Grote. „Es braucht dringend eine Entwaffnungsstrategie für unser Land.“


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Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) beeilte sich mit einem ähnlichen Statement. Einzig CDU-Fraktionschef Dennis Thering erklärte, das geforderte Messerverbot sei keine Lösung zur Verhinderung eines Anschlags. Es handele sich um „eine reine Ablenkungsdebatte“.

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Faesers Plan sieht vor, dass Messer mit einer Klingenlänge von mehr als sechs Zentimetern nicht mehr mitgeführt werden dürfen, für Springmesser soll es ein Umgangsverbot geben. Die FDP stellte sich bisher gegen den Plan.

Der Attentäter scherte sich um kein Verbot

Dabei ist fraglich, ob sich der mutmaßliche Attentäter von Solingen, der Syrer Issa al H. (26), von solchen Vorgaben hätte abhalten lassen. Nach aktuellem Ermittlungsstand war die Tat geplant und politisch motiviert. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) reklamierte den Anschlag für sich. Die Klingenlänge der Tatwaffe betrug 15 Zentimeter, und war damit bereits verboten.

Winkelsdorf zufolge hätten Behörden die Möglichkeit, bei Veranstaltungen das Waffenverbot zu kontrollieren – zumindest in Stichproben. Auch könne man verurteilten Straftätern ein präventives Waffenverbot aussprechen. Das gebe die Rechtslage bereits her. „Ich kenne in Hamburg Intensivtäter, die haben kein Waffenverbot“, sagt Winkelsdorf.

Laut der Polizei Hamburg lag die Zahl der Waffen- und Munitionsbesitzverbote Ende Juni bei 4020. Über die Anzahl der Waffenverbotskontrollen bei Veranstaltungen machte die Polizei hingegen keine Angaben. Eine Erhebung darüber finde nicht statt, sagte ein Sprecher.

Der Hamburger Waffenexperte Lars Winkelsdorf
Privat.

Der Hamburger Waffenexperte Lars Winkelsdorf

Erhoben wird jedoch die Zahl der Messerdelikte in Hamburg: Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik gab es im Jahr 2023 davon insgesamt 1269. 885 Mal wurde mit einem Messer gedroht, in 384 Fällen setzte ein Täter es ein. Im Vorjahr geschah dies 312 Mal – es gibt also ein Plus von 23 Prozent. Die Vor-Corona-Marke aus 2019 (334 Fälle) wurde damit wieder überschritten.

In Mitte wird weiter zugestochen – trotz Verbot am Hauptbahnhof

Der Hauptbahnhof ist seit Oktober 2023 Waffenverbotsgebiet, das Mitführen von Waffen fast aller Art ist untersagt. Seither stellte die Polizei rund 350 Messer sicher. Laut dem Innensenator ein Erfolg: „Jedes Messer, das wir einsammeln, ist ein Risiko weniger“, sagte Grote am Dienstag. Auch plädierte er für weitere Waffenverbotszonen. Neben dem Hauptbahnhof gibt es bisher ein Verbot auf dem Kiez und dem Hansaplatz.

Winkelsdorf ist nicht überzeugt: „Andy Grote hat am Hauptbahnhof einen Schrotthandel aufgemacht. Die Zahlen gehen nicht runter, aber wir sammeln Altmetall. Das ist doch absurd!“ Tatsächlich registrierte die Polizei in der ersten Jahreshälfte von 2024 im Bezirk Mitte, der Heimat des Hauptbahnhofs, 87 Delikte, bei denen ein Messer zum Einsatz kam. In der ersten Hälfte des Vorjahrs waren es zwei Fälle weniger.

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Unterdessen erklärte der Veranstalter des Grindelfestes am Mittwoch, dass die für September geplante Veranstaltung im Stadtteil Rotherbaum abgesagt wird. Die Sorge vor einem Anschlag wie in Solingen ist zu groß.

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