Melanie Leonhard zur Köhlbrandbrücke: „Oh ja, ich hatte viele schlaflose Nächte“

Melanie Leonhard zur Köhlbrandbrücke: „Oh ja, ich hatte viele schlaflose Nächte“

Sie soll die neue Köhlbrandbrücke umsetzen (inklusive Radweg) und den Hafen vor der Bedeutungslosigkeit retten: Wenn Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) das schafft, hat sie beste Chancen, irgendwann den jetzigen Bürgermeister abzulösen. Im Interview erklärt sie, was ihr schlaflose Nächte bereitet, wie sie den Hafen wieder flottmachen will und warum sie gegen eine Aufarbeitung der Corona-Zeit ist.

MOPO: Frau Leonhard, Sie gelten als Frau für die schwierigen Fälle. Was ist bzw. war schlimmer: Corona, Flüchtlingskrise oder der Bau einer neuen Köhlbrandbrücke?

Melanie Leonhard: Corona war das Einschneidendste, weil es alle Lebensbereiche tangiert hat und Menschen existenziell bedroht waren. Die Nerven lagen blank – im Politikbetrieb und bei uns allen im Alltag. Das vergisst man nicht.

„Das Spielplatzbetretungsverbot hätten wir aus heutiger Sicht niemals machen dürfen“

Viele fordern eine Aufarbeitung dieser Zeit. Wie stehen Sie dazu?

Zuerst müsste man klären, welche Frage bei so einer Aufarbeitung beantwortet werden sollte. Die Frage, ob Fehler gemacht worden sind, braucht keine Aufarbeitung – natürlich war nicht alles richtig. Es war eine Pandemie, wir hatten so etwas noch nie und mussten schnelle Entscheidungen treffen. Ich glaube allerdings, dass dabei 99,9 Prozent der Menschen, die Verantwortung getragen haben, nach bestem Wissen und Gewissen entschieden haben. Ein Beispiel: Das Spielplatzbetretungsverbot hätten wir aus heutiger Sicht niemals machen dürfen. Aber im Frühjahr 2020 wussten wir das eben nicht.

Wie viele schlaflose Nächte hatten Sie denn wegen der Köhlbrandbrücke?

Viele. Es gab die schwierige Phase, in der wir entscheiden mussten: Treiben wir die Tunnelplanung weiter voran, trotz der neuen Erkenntnisse? Wir mussten davon ausgehen, dass es teurer, schwieriger und aufwendiger werden würde. Ich habe dann entschieden, sehr ehrlich zu sein und noch mal alle Fakten auf den Tisch zu legen – damit man dann mit möglichst guten Informationen eine grundsätzliche Entscheidung treffen kann. Noch mal alle Varianten zu überprüfen  kostet allerdings Zeit, deswegen gab es viel Kritik an dieser Entscheidung. Das war eine Phase mit schlaflosen Nächten.

Es sind Hunderte Millionen in die Tunnelplanung geflossen.

Das ist richtig. Und gerade wegen der hohen Kosten für das neue Bauwerk ist es vernünftig, umzusteuern, wenn eine Planung viel höhere Hürden und Kosten hat als zunächst angenommen. Sonst hätten wir hier ein „Stuttgart 21“ bekommen.

Jetzt ist alles geritzt?

Wenn die Bürgerschaft zustimmt, geht die Arbeit erst los.

2040 soll die neue Brücke stehen. Warum dauert das so quälend lange?

Wir haben uns in Deutschland – zum Teil aus guten Gründen – sehr aufwendige Genehmigungsverfahren zugelegt. Dritte, Unbeteiligte und Verbände haben das Recht, Planungen immer wieder juristisch prüfen zu lassen. Das führt zu sehr gut überprüften Prozessen und wahnsinnig breit diskutierten Entscheidungen. Und es kostet viel Zeit.

Melanie Leonhard erklärt den MOPO-Redakteuren auf einer großen Karte ihre Infrastruktur-Pläne im Hafen.
Marius Rooer

Melanie Leonhard erklärt den MOPO-Redakteuren auf einer großen Karte ihre Infrastruktur-Pläne im Hafen.

Der Fokus liegt auf Wahnsinn?

Die Beschleunigung von Planungsverfahren wird politisch diskutiert. Aber immer wenn man etwas findet, was man zur Zeitersparnis weglassen kann, gibt es Gruppen, die meinen, dass gerade dieser Punkt im Verfahren bleiben muss. Und solange das so ist, werden wir uns auf diese langjährigen Planungsverfahren einlassen müssen.

Die alte Köhlbrandbrücke war in vier Jahren fertig.

Ja, die Drucksache zur alten Köhlbrandbrücke hatte nur wenige Seiten. Allerdings waren die Rahmenbedingungen damals auch noch andere und beispielsweise noch nicht so umfangreiche Beteiligungsverfahren vorgeschrieben …

Aber dann stand das Ding.

Genau.

Und es war mal eben ein ganzes Stadtviertel dafür plattgemacht worden.

Ja, das steht auf der anderen Seite! Wenn Sie mit alten Waltershofern und Neuhofern sprechen, dann hören Sie, wie tief der Schmerz auch heute noch drüber ist. Es muss ja auch noch etwas geben zwischen extrem schnellen Planungen wie Ende der 60er Jahre und extrem langsamen wie heute.

Was fordern Sie konkret?

Bei Infrastrukturmaßnahmen dieser Größenordnung sollte es im Planfeststellungsverfahren eine Hürde geben, ab der keine Klagen mehr möglich sind. Dann muss es möglich sein, kleinere Veränderungen vorzunehmen, ohne dass das ganze Verfahren wiederholt wird. Wir erleben das jetzt bei der A26 ganz extrem: Das Verfahren begann, als ich mich in der Bezirksversammlung engagiert habe – das ist fast 25 Jahre her und die Argumente sind heute exakt dieselben wie damals. Es muss einen Punkt geben, wo klar ist, dass ein Projekt kommt.

A26 und Köhlbrandbrücke: „Hamburg braucht beide Querungen“

Stichwort A26: Braucht Hamburg zwei Brücken über die Süderelbe? Und wird der Bund, der die A26 bezahlt, auch noch die Hälfte der fünf Milliarden Euro für die Köhlbrandbrücke übernehmen?

Ja, der Bund hat seine Zusage für den Köhlbrand gerade erneuert. Und Hamburg braucht beide Querungen. Der Bund baut bereits die Autobahn A26. Ihr Nutzen liegt darin, die A7 mit der A1 zu verbinden, etwas, was die Köhlbrandbrücke nicht leisten kann. Außerdem wird die A26 den Süderelberaum von Verkehr entlasten, das ist dringend notwendig.

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Aber könnte man nicht auf die Köhlbrandbrücke verzichten, wenn wir die A26 haben? Beide Brücken trennen gerade mal zwei Kilometer.

Nein, weil die Köhlbrandquerung einen anderen Zweck hat. Sie ist für die Verkehre im Hafen erforderlich und verbindet auch die Terminals im nördlichen Hafen. Ich bin sehr sicher, man wird beide Querungen brauchen, und ich glaube auch, die werden beide kommen.

Sie selbst sind nicht weit von der Köhlbrandbrücke aufgewachsen, in Wilhelmsburg im Reiherstiegviertel. Hätten Sie jemals gedacht, dass Sie eine neue Köhlbrandbrücke bauen würden?

Im Leben nicht! Im Gegenteil. Es gibt ein Foto, auf dem meine Patentante, mein Patenonkel und meine Eltern zu Fuß über die Brücke laufen. Anlass ist die Eröffnung, für mich ist es daher immer schwer vorstellbar, dass die Brücke schon so alt ist.

Stimmt es, dass Umweltsenator Kerstan auf einem Fahrradweg auf der Brücke bestanden hat?

Wir haben viele Themen besprochen, aber Fahrradwege nicht. Die Brücke soll vor allem den Lkw-Verkehr aufnehmen. Aber ja, es wird im Rahmen der Brückenplanung auch ein Konzept für Radverkehr geben.

Wer soll denn den nutzen?

Ich weiß es nicht.

200 Millionen Euro für das Instandhalten der alten Köhlbrandbrücke

Was kostet der Erhalt der alten Brücke bis zur Eröffnung der neuen?

2023 haben wir etwas mehr als drei Millionen Euro für den Unterhalt ausgegeben. Wir müssen in den kommenden Jahren immer mehr Geld dafür einplanen, es werden wohl zehn Millionen Euro werden – im Jahr.

Wir stecken noch mal 200 Millionen Euro in den Erhalt der alten Brücke?

Es wird von Jahr zu Jahr aufwendiger und teurer – und deswegen haben wir eine extrem hohe Motivation, jedes Beschleunigungspotenzial zu heben.

Nun wird eine neue Köhlbrandbrücke die Grundprobleme des Hafens nicht lösen. Der wächst nicht mehr, die Konkurrenz ist günstiger, mehr auf Zack, wir verlieren Marktanteile. Bereitet Ihnen das auch schlaflose Nächte?

Der Hafen hat in den letzten Jahren keine gute Entwicklung durchlaufen. Andere Häfen in Europa sind schneller, aus drei Gründen: 1. Mehr Investitionen in die Infrastruktur durch die Nationalstaaten. 2. Private Terminalbeteiligungen. 3. Automatisierung. Wir haben als Senat nicht mehr die Vorstellung wie noch in den Jahren 2008 bis 2010, dass wir unseren Umschlag verdoppeln und an die weltweite Spitze der Häfen gehen. Dazu hat sich auch weltweit im globalen Handel zu viel geändert. Aber wir müssen mindestens eine Stabilisierung hinkriegen. Und wir müssen alle drei oben genannten Punkte ausbauen: Infrastruktur, Automatisierung, Beteiligungen von Unternehmen ermöglichen, die heute noch nicht im Hafen aktiv sind.


MOPO

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Ja, aber außerhalb von Hamburg fast ausschließlich positive. Da wurde wahrgenommen, dass unser Hamburger Hafen doch noch attraktiv ist und Potenzial hat. Wir brauchen nur den Mut, auch außerhalb von Hamburgs Grenzen nach Partnern zu suchen, und mein Eindruck ist, das gelingt uns zunehmend besser.

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