Militärforschung am DESY? Mitarbeiter in Sorge

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Jahrzehntelang war es ein ehernes Gesetz: Die „Forschung dient zivilen und friedlichen Zwecken“, hieß es im Leitbild des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY), einer der wichtigsten wissenschaftlichen Einrichtungen der Stadt. Das könnte sich nun ändern. Steigt das DESY in die Militärforschung ein?

Für viele der 3000 Mitarbeiter war es ein Schock: Auf einer Belegschaftsversammlung am Montag vor einer Woche teilte das Direktorium des weltberühmten Forschungszentrums in Bahrenfeld mit, dass ein interner Prozess gestartet werde, um die Rolle des DESY „bei der Verteidigung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ zu überdenken.

Heftige Diskussion um Positionspapier des Bundesbildungsministeriums

Hintergrund ist die wochenlange, bundesweite Diskussion um ein Positionspapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), das empfiehlt, die strikte Trennung von ziviler und militärischer Forschung aufzulösen. Als positives Beispiel wurde dabei zuvor schon von der Expertenkommission „Forschung und Innovation“ die Militär-Einheit 8200 in Israel genannt.

Auf Folien wurde der überraschten Belegschaft mitgeteilt, welche Rolle das DESY in der „Nationalen Sicherheitsstrategie“ spielen könnte und zu welchen drei Bereichen der Landesverteidigung man einen Beitrag leisten könnte: 1. Nationale Resilienz, 2. Nationale Wehrhaftigkeit und 3. Nationale Robustheit.

Auf MOPO-Anfrage bestätigte das Forschungszentrum die Planungen: „Durch aktuelle Entwicklungen – auch und natürlich im geopolitischen Bereich – gibt es derzeit Überlegungen, die Leitlinie des Forschungszentrums so anzupassen, dass Nutzer aus anderen Wissenschaftsinstitutionen wie beispielsweise der Fraunhofer Gesellschaft an der Röntgenlichtquelle PETRA III auch Fragestellungen untersuchen, die in den Bereich der Wehrforschung fallen“, so ein Sprecher.

DESY: Keine Forschung im Bereich von Rüstungs- oder Waffensystemen

Das bedeute jedoch nicht, dass das DESY sein Forschungsprogramm umstellen werde. Vielmehr könnten beispielsweise Untersuchungen an der Röntgenlichtquelle PETRA III „interessant für materialwissenschaftliche Fragestellungen, die naturgegeben häufig Dual-Use-Charakter haben“. Die ohnehin vorgenommenen Forschungen könnten also auch in den Dienst der Bundeswehr gestellt werden.

Um Rüstungs- oder Waffensysteme solle es dabei nicht gehen. „Hierin sehen wir keine Kompetenz bei DESY“, so der Sprecher. Wobei es auch in diesen Bereichen materialwissenschaftliche Überschneidungen geben könne. Nach MOPO-Informationen könnten auch die Anlagen des Supermikroskops Petra IV für die Wehrforschung zur Verfügung gestellt werden, zum Beispiel bei Fragen der Cybersicherheit beziehungsweise Abschirmung von Computersystemen.

Das DESY weist darauf hin, dass das Hamburger Forschungszentrum anders als seine große Schwester CERN in Genf in seiner Satzung „keine ausdrückliche Zivilklausel“ hat. Das CERN hat auf diese Weise schon zu Gründungszeiten festgelegt, dass es „sich nicht um die Arbeit für militärische Anforderungen kümmern“ darf.

DESY-Mitarbeiter sehen Abkehr von Friedensziel kritisch

Vielen Mitarbeitern des DESY stößt die Kehrtwende des Direktoriums sauer auf. In einem Statement für die MOPO schreiben sie: „Viele DESY-Mitarbeiter sind, wie auch viele Mitarbeiter der Universität Hamburg, über das BMBF-Papier und seine Auswirkungen auf die deutsche Forschungslandschaft sehr besorgt, und möchten daher das Angebot des Direktoriums zu einer Diskussion des Themas sehr gerne annehmen“, so die Wissenschaftler, die aus Sorge vor beruflichen Konsequenzen lieber anonym bleiben möchten.

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Der pensionierte Physiker Dr. Hannes Jung, der früher sowohl am DESY als auch am CERN tätig war und inzwischen Vorsitzender des Forums „Science4Peace“ ist, erklärte: „Die zivile Forschung mit internationalen Kooperationen ist ein hohes Gut. Forschung soll friedlichen Zwecken dienen, und auf eine friedliche Welt hinarbeiten. Eine Aufhebung der Trennung von ziviler und militärischer Forschung, wie sie in dem Positionspapier des BMBF, wie auch den Empfehlungen der EFI und im WhiltePaper vorgeschlagen und empfohlen wird, lehnen wir ab.“

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