Muss Deutschland für den Frieden aufrüsten? Das große Pro und Kontra

Muss Deutschland für den Frieden aufrüsten? Das große Pro und Kontra

Die MOPO-Gastautoren Fabio De Masi und Christian Gummig wollen im Grunde das Gleiche: den Frieden bewahren. Nur über den richtigen Weg dahin liegen sie komplett über Kreuz. Der eine sagt, das gehe nur mit Aufrüstung gegen eine mögliche Gefahr aus Moskau. Der andere sagt, genau das führe unweigerlich in die Katastrophe.

Kontra Aufrüsten: „Wir brauchen diplomatische Initiativen, kein Sondervermögen“

Der BSW-Politiker Fabio De Masi findet: Die Ampel riskiert derzeit aktiv unsere Sicherheit.

Der Autor: Der Hamburger Fabio De Masi saß für die Linke im EU-Parlament und Bundestag – dort bekannt als „Finanzdetektiv“ in Sachen Wirecard oder Cum-Ex. 2022 trat er aus der Linken aus und 2024 dem BSW bei.
imago/Christian Schroedter

Der Autor: Der Hamburger Fabio De Masi saß für die Linke im EU-Parlament und Bundestag – dort bekannt als „Finanzdetektiv“ in Sachen Wirecard oder Cum-Ex. 2022 trat er aus der Linken aus und 2024 dem BSW bei.

Seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine rüstet Deutschland massiv auf. Während unsere Straßen, Brücken, Schulen und Krankenhäuser verlottern und unsere Züge kaum noch pünktlich fahren, weil Deutschland seit Jahrzehnten zu wenig in die Infrastruktur investiert, wurde ein Sondervermögen für die Bundeswehr über 100 Milliarden Euro geschaffen.

Verteidigungsminister Pistorius will militärische Investitionen, nicht aber zivile von der Schuldenbremse ausnehmen und auch die Militärhilfen für die Ukraine weiter erhöhen. Selbstverständlich ist es ein Problem, wenn die Bundeswehr für ihre Kernaufgabe, die Landesverteidigung, nicht befähigt wird und Soldaten keine trockenen Unterhosen haben.

Doch dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Die Bundeswehr wurde in den letzten Jahren zunehmend auf weltweite Militäreinsätze ausgelegt. Die wie in Afghanistan oder Mali im Desaster endeten. Und es gibt einen systematischen Filz im militärisch-industriellen Komplex. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen wurde nur nach Brüssel befördert, weil sie als Verteidigungsministerin einst über die Berater-Affäre stolperte.

NATO-Haushalt zehnmal höher als der Moskaus

Die Bundeswehr verfügte bereits vor der sogenannten Zeitenwende über einen Militärhaushalt, der etwa der Atommacht Frankreichs entsprach. Und die Militär- und Rüstungsausgaben der NATO-Staaten betrugen 2023 etwa 1,3 Billionen US-Dollar und somit mehr als das Zehnfache der russischen Ausgaben. Es ist nicht anzunehmen, dass Putin morgen mit der Armee vor dem Brandenburger Tor steht. Gleichwohl sollen nun auch westliche Waffen von der Ukraine auf russischem Gebiet eingesetzt werden. Das nukleare Frühwarnsystem Russlands wurde bereits von der Ukraine angegriffen. Dies kann in einen dritten Weltkrieg und den nuklearen Winter führen.

Mit der Ausdehnung der NATO und vielen völkerrechtswidrigen Kriegen des Westens seit Ende des Kalten Krieges wurde die Chance auf eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung mit Russland, wie sie Altkanzler Helmut Schmidt vorschwebte, verpasst. Auch Charles Kupchan, Ex-Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama, oder CIA-Direktor William Burns kritisierten die NATO-Ausdehnung gen Osten.

Krieg nur durch Sicherheitsgarantien zu beenden

Nichts davon rechtfertigt den russischen Angriff. Doch den Krieg können wir nur durch Sicherheitsgarantien für die Ukraine bei Neutralität des Landes beenden. Denn egal, wie viele Waffen wir liefern: Russland ist eine Nuklearmacht und der Ukraine gehen die unversehrten Männer aus.

Auch in den blutigen Gaza-Konflikt liefern wir weiter Waffen, obwohl der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs bereits Haftbefehle für die terroristische Hamas-Führung und Israels Premier Benjamin Netanjahu beantragt hat, da beide Seiten schwerste Kriegsverbrechen verübt haben sollen. Die Bundesregierung sollte sich auf diplomatische Initiativen konzentrieren und die Bundeswehr für die im Grundgesetz vorgesehene Aufgabe befähigen, die Territorialverteidigung, statt unsere Sicherheit aufs Spiel zu setzen.

Pro Aufrüsten: „,Wird schon schiefgehen?‘ Ist keine Option!“

Der Reservist Christian Gummig findet: Frieden lässt sich nur über Abschreckung sichern.

Der Jurist Christian Gummig führt in Hamburg eine Kommunikationsagentur. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs ist er wieder regelmäßig als Reserveoffizier der Bundeswehr aktiv.
Raimar von Wienskowski

Der Jurist Christian Gummig führt in Hamburg eine Kommunikationsagentur. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs ist er wieder regelmäßig als Reserveoffizier der Bundeswehr aktiv.

Angenommen, es bestünde eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass Sie in drei Jahren Ihre Wohnung verlieren, Hamburg keinen Strom und keine Wasserversorgung mehr hat, Lebensmittel rationiert werden und Freunde und Familienangehörige ihr Leben verlieren. Und Sie vielleicht auch. Was würden Sie tun?

Wenn ein nahes mächtiges Land bereits einen rücksichtslosen Krieg angezettelt hat, damit beginnt, seine Streitkräfte massiv aufzubauen, paramilitärische Ausbildung und Kriegspropaganda zum Pflichtprogramm der Schulen macht und wiederholt verkündet, seine einst verlorenen Grenzen wiederherstellen zu wollen, dann besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dieses Land und seine Führung das ernst meinen.

Natürlich wissen wir nicht, wie hoch diese Wahrscheinlichkeit ist, aber selbst bei optimistischster Betrachtung wird man zu dem Ergebnis kommen müssen, dass sie jedenfalls nicht vernachlässigenswert gering ist. Und die Konsequenzen dieses Szenarios wären so gravierend, dass schon die geringste Chance darauf gebietet, alles für sein Nichteintreten zu tun.

Das ist die Situation, in der wir uns befinden:

Russland macht gerade genau all das, was oben beschrieben ist. Putins Plan sieht in circa drei bis fünf Jahren nach einem aus westlicher Sicht aktuell nicht als erfreulich zu erwartenden Ende des Ukraine-Kriegs einen Angriff auf die baltischen Staaten und vielleicht auch auf Polen vor. Das wissen wir natürlich alles ebenfalls nicht mit hundertprozentiger Sicherheit, aber ein „Wird schon schiefgehen“ ist hier keine Option.

Und was tun wir, um das zu verhindern?

Wenig. Man erfreut sich zwar daran, von „Zeitenwende“ zu schwärmen und „Kriegstüchtigkeit“ herbeizuwünschen, aber die aktuellen Maßnahmen, so gut gemeint und so richtig sie auch sein mögen, verstellen den Blick auf eine unangenehme Wahrheit: Wenn sich Deutschland nicht sofort und mit aller Macht auf einen Krieg vorbereitet, besteht eine sehr hohe Chance, dass wir einem Angriff in drei bis fünf Jahren nichts entgegenzusetzen haben. Faktisch spielen wir gerade also volles Risiko – und der Spieleinsatz dabei ist alles, was wir haben.

Was könnten wir tun?

Mehr. Sogar viel mehr, denn noch sind wir ein Land, dessen Infrastruktur, wirtschaftliche Kraft, finanzielle Leistungsfähigkeit, Bevölkerungsstruktur und Innovationskraft geeignet sein sollten, eine solche titanische Aufgabe zu stemmen. Vorausgesetzt, wir legen Betulichkeit, Bürokratie, Selbstgefälligkeit und Bequemlichkeit ab, die sich nach dem Ende der militärischen Bedrohung durch den Warschauer Pakt, aber auch durch übertriebene Sattheit etabliert haben. Es gäbe genug konkrete Aktivitäten, die mit einer bis nach Moskau zu spürenden Entschlossenheit angegangen werden könnten. Dazu gehören zum Beispiel die Wiedereinführung der Wehrpflicht, eine deutliche Erhöhung des Wehretats ohne Rücksicht auf Schuldenbremsen, die Umwidmung des Soli, Sondersteuern, die Beschleunigung von Verwaltungsverfahren unter dem Grundsatz „Military First“ (Militär zuerst) oder die konsequente Heranziehung von Reservisten.

Übrigens ist diese Diskussion keine, die mit ideologischen Argumenten oder parteipolitischem Kalkül zu führen ist. Politik und das Sich-Beschäftigen mit politischen Zielen setzt die Abwesenheit von Krieg voraus. Umgekehrt macht Krieg unmittelbar zunichte, was unserer Gesellschaft wichtig oder erstrebenswert erscheint: Der Kampf gegen den Klimawandel, die Bewältigung der Flüchtlingsproblematik, Sozialpolitik oder sexuelle Selbstbestimmung sind Themen, die im Kriegsfall auf unbestimmte Zeit jede Priorität verlieren würden.

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Nichts wäre schlimmer, als einen Krieg führen zu müssen. Aber eine militärische Waffengleichheit hat es in der Nachkriegsgeschichte nach Gründung der NATO 1949 immerhin schon einmal über rund 50 Jahre geschafft, eine konkrete Bedrohung im Zaum zu halten. Ich bin überzeugt, dass dies auch diesmal gelingen kann. Aber es erfordert radikales und konsequentes Handeln. Und zwar jetzt.

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