Nach den Nazi-Gesängen von Sylt: So werden aus rassistischen Parolen virale Trends

Nach den Nazi-Gesängen von Sylt: So werden aus rassistischen Parolen virale Trends

Frauen und Männer aus vermeintlich „besseren Kreisen“ singen Pfingsten in Kampen auf Sylt rassistische Parolen. Dann kommt raus: Gigi D’Agostinos Song „L’Amour Toujours“ geistert – mit verändertem Text – schon seit Monaten durch die sozialen Medien, ist längst ein echter rechter Ohrwurm – und immer mehr junge Leute finden ihn witzig und trällern mit, ob bei privaten Feten, Volks- und Schützenfesten oder beim Schlagermove. Wie das möglich ist? Warum plötzlich rassistische Parolen salonfähig sind? Das erklärt im Interview mit der MOPO der Soziologe und Politologe Professor Matthias Quent (38). Er ist einer der besten Kenner des Rechtsextremismus und lehrt an der Hochschule Magdeburg-Stendal.

MOPO: Nach dem rechten Gegröle in Kampen ist die Republik erschrocken darüber, dass rechtes Gedankengut sogar in den vermeintlich besseren Kreisen angekommen ist. Sie auch?

Matthias Quent: Nein. Dieses umgetextete Lied zieht in sozialen Netzwerken schon seit Monaten seine Kreise. Neu ist, dass das Lied jetzt in Milieus aufgetaucht ist, von denen man bisher die Illusion hatte, dass sie weniger rassistisch oder weniger rechtsextrem seien. Wie gesagt: Das war eine Illusion. Aus der Forschung wissen wir schon lange, dass rechtsextremistische Einstellungen keineswegs nur unter wirtschaftlich Abgehängten verbreitet sind. Wir sehen im Gegenteil, dass die AfD gerade von der sogenannten Mitte und teilweise auch von sozial überdurchschnittlich Privilegierten gewählt wird.

Professor Matthias Quent (38): Der Soziologe und Politologe ist Rechtsextremismus-Experte und lehrt an der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Kerstin Seela

Professor Matthias Quent (38): Der Soziologe und Politologe ist Rechtsextremismus-Experte und lehrt an der Hochschule Magdeburg-Stendal

Diese Leute singen „Ausländer raus“ und finden das lustig. Wie erklären Sie sich das?

Na ja, die AfD ist in den Parlamenten präsent, äußert sich dort offen rassistisch und rechtsextremistisch. Gleichzeitig gibt es Demokraten, die – beispielsweise aus taktischen Gründen – ebenfalls vorurteilsbehaftete Positionen öffentlich vertreten. Ich denke da zum Beispiel an die Bemerkung von CDU-Chef Friedrich Merz, dass Asylbewerber den Bürgern die Zahnarztplätze wegnehmen. Wenn so etwas in den Parlamenten und sogar von demokratischen Politikern geäußert wird, dann führt das dazu, dass in der Bevölkerung immer mehr Menschen glauben, sie könnten sich rassistisch äußern. Sie glauben, sie müssen sich nicht länger verstecken. Rechtsextreme Parolen sind mit einem Mal wieder sagbar und werden online zu viralen Trends. Rassistisch orientierte Leute treten mit neuem Selbstbewusstsein auf.


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Spielt bei diesem Rechtsruck die AfD eine besondere Rolle?

Sie ist die Kraft in Deutschland, die planvoll und provokativ rassistische und rechtsextreme Positionen über die sozialen Netzwerke in den öffentlichen Raum trägt. Das Ziel der Neuen Rechten ist es, in der gesellschaftlichen Debatte Stück für Stück menschenrechtswidrige Positionen sag-, denk- und machbar zu machen. Die AfD ist da der mit Abstand größte Akteur in Deutschland. Die Partei arbeitet mit einem großen Stab an Mitarbeitern professionell an der Normalisierung des Rechtsextremismus.

Würden Sie sagen, dass jemand, der auf einer Party dieses Lied singt, schon ein Nazi ist?

Nazi – das ist keine hilfreiche Kategorie. Vom Mitsingen eines solchen Liedes auf eine ganze Persönlichkeit zu schließen ist verkürzt. Kann gut sein, dass diese Fünf in ihrem Alltag ganz freundlich zu ihren ausländischen Kollegen oder Kommilitonen sind, obwohl sie gerade „Ausländer raus“ gesungen haben. Aber ihr Handeln auf Sylt steht stellvertretend dafür, was auch gesellschaftlich passieren kann. Sie mögen jetzt keine Rechtsextremisten sein, aber wenn es nützlich oder gesellschaftlich angebracht ist oder sich der Wind dreht, dann können sie es ganz schnell werden. Denken Sie an die sogenannten „Arisierungen“ in der NS-Zeit: Da hatten viele Leute vielleicht persönlich gar nichts gegen Juden, aber als sie die Chance hatten, sich an Besitz und Positionen der Verfolgten und Ermordeten zu bereichern, haben sie gerne mitgemacht.

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