Noch ein neuer Lieferdienst? Ist das Pferd nicht totgeritten, Frau Dr. Stüber?

Noch ein neuer Lieferdienst? Ist das Pferd nicht totgeritten, Frau Dr. Stüber?

Gerade erst ist der einstige Branchenriese „Gorillas“ mit Pauken und Trompeten untergegangen, da baut ein anderer Lieferdienst sein Geschäft in Hamburg aus. Und zwar das finnische Unternehmen Wolt, dessen Fahrer in der Hansestadt neuerdings einen eigenen Store nutzen – bisher gab es die in Deutschland nur in Berlin. Kann das funktionieren? Oder ist die Branche nicht tot beziehungsweise übersättigt? Die MOPO hakte bei einer Expertin für Handelsforschung nach.

Die Vorannahme der MOPO beim Gespräch mit Dr. Eva Stüber vom Institut für Handelsforschung in Köln (IFH) war: Das Pferd ist totgeritten, der Markt übersättigt. Oder, Frau Stüber? Die Expertin widerspricht – zumindest vorsichtig: „Lebensmittel-Lieferdienste sind als Geschäftsmodell sehr komplex – aber haben durchaus Zukunft, auch wenn viele gerade noch nicht profitabel sind. Wolt beispielsweise fokussiert sich nicht auf ein Geschäftsmodell, sondern hat verschiedene Standbeine.“

Hat Wolt in Hamburg überhaupt eine Chance?

Das Hamburg-Konzept von Wolt seit Mitte Juli: Der Lieferservice erfolgt aus dem eigenen Store in der Kieler Straße (Eimsbüttel). Beliefert werden aktuell Altona, Eppendorf, Neustadt, Harvestehude, Hoheluft, Othmarschen, Ottensen, Rotherbaum, Bahrenfeld, Lokstedt, Lurup und Groß Flottbek. Dabei arbeiten die Finnen mit einigen lokalen Anbietern zusammen, etwa der Bäckerei Junge, den North Coast Coffee Roasters oder Luicella’s Ice Cream.

Während der Pandemie reichten bei vielen Anbietern schnelle Lebensmittel-Lieferungen. Laut Dr. Stüber sei die Nachfrage nach der Pandemie nun „offensichtlich zu gering“. Aber: Die breite Produktpalette aus eigenen Stores und lokalen Anbietern könne eine Nische füllen – ob das wirtschaftlich am Ende reiche, sei aber noch ungewiss.

Was erwarten die Kunden und wer sind die überhaupt?

Welchen Service muss ein Anbieter liefern, um bestehen zu können? Da gehe es um „Mehrwert“ gegenüber bisherigen Anbietern, so Stüber. „Daher waren die Zehn-Minuten-Lieferungen auch mehr ein Marketingversprechen. Die kurzfristige Lieferung in 30 bis 35 Minuten trifft mehr die wirklichen Bedarfe.“ Mit zehn Minuten waren Gorilla & Co. mal angetreten, Wolt spricht nun von besagten 30 bis 35. „Die größere Sortimentsauswahl bietet einen weiteren Mehrwert“, so Stüber weiter.

Sprach mit der MOPO über Lieferdienste wie Wolt: Dr. Eva Stüber, Expertin vom IFH in Köln.
picture alliance/dpa/IFH Köln

Sprach mit der MOPO über Lieferdienste wie Wolt: Dr. Eva Stüber, Expertin vom IFH in Köln.

Und wer nutzt das Ganze? Menschen, die Zeitersparnis und Bequemlichkeit schätzten, so die Expertin. Ergo: Familien, die wenig Zeit haben, ältere Menschen, die in der Mobilität eingeschränkt seien oder schlicht Menschen, die spontan etwas benötigen. Im Grund also ein recht breiter möglicher Kundenstamm.

Wie steht es ums Mitarbeiterwohl und ökologische Aspekte?

Gerade zu Anfang des Lieferdienst-Phänomens gab es negative Schlagzeilen, weil die Arbeitsbedingungen nicht gerade gut waren. Wie sieht das bei Wolt aus, fragte die MOPO. „Beim hart umkämpften Liefermarkt mit geringen Margen sind die Fahrer und Fahrerinnen oftmals der entscheidende Kostenfaktor“, so Stüber. Die Kuriere bei Wolt seien fest angestellt. „Daher spielt die Auslastung eine große Rolle für die Wirtschaftlichkeit.“ Im Sinne des Sozialwohls sei die Festanstellung mit angemessener Bezahlung aber natürlich der richtige Weg.

Noch im vergangenen Jahr allerdings hatten Recherchen ergeben, dass Wolt in anderen Städten teils auf dubiose Sub-Unternehmen setzt, es nicht immer so gut um das Mitarbeiterwohl bestellt ist. Schlagzeilen machte auch die Klage eines Fahrers in Berlin, der sich um seinen Lohn betrogen fühlte – und in dem Kontext gar über Rassismus klagte.

Und ökologisch? „Die Auslieferung erfolgt überwiegend mit dem Fahrrad, sodass der CO2-Ausstoß geringer ist. Zudem wird mit verschiedenen Mehrwegbehälter-Partnern zusammengearbeitet“, so die Expertin.

Das könnte Sie auch interessieren: Gorillas und Getir verschwinden in wenigen Wochen aus Deutschland

Hat die Branche also eine Zukunft? „Lieferdienste wird es immer geben – es ist schließlich auch kein neuer Service“, so Stüber. Entscheidend sei der Faktor Geschwindigkeit, um auf dem Markt bestehen zu können. Die Zusammenarbeit mit lokalen Anbietern gefällt der Expertin offenbar – auch vielen Konsumentinnen und Konsumenten werde das „immer wichtiger“.

Zusammengefasst: An eben jener Kundschaft wird es am Ende hängen – die Chancen stehen aber gar nicht so schlecht – anders als von der MOPO anfangs auf Wolt bezogen erwartet.

Noch ein neuer Lieferdienst? Ist das Pferd nicht totgeritten, Frau Dr. Stüber? wurde gefunden bei mopo.de

Please follow and like us:
Pin Share