Nordstream 2: Wie Robert Habeck die Pipeline stoppte

Nordstream 2: Wie Robert Habeck die Pipeline  stoppte

Die Gaspipeline Nord Stream 2 gilt als einer der großen Irrtümer der Ära Angela Merkel. Nun zeigen Dokumente, wie Robert Habeck die Pipeline kurz nach Amtsantritt stoppte. Es ist der zweite Weihnachtsfeiertag, als Robert Habeck eine “politische Bombe” vorbereitet. So beschreibt er selbst, was er am 26. Dezember 2021 um 18.50 Uhr in einer E-Mail an seine engsten Vertrauten formuliert. Garniert mit festlichen Grüßen, immerhin: “Frohe Tage R”. “R”, also Robert Habeck, war damals seit nicht einmal drei Wochen in seinem neuen Amt als Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Das erste Weihnachtsfest verbrachte er also damit, sich durch Akten zu wühlen – und seine Schlüsse anschließend mit seinen Mitarbeitern zu teilen. Denn Habecks Anliegen war so heikel wie dringlich: Auf zwei Seiten und in 25 Fragen verpackt formuliert er in der E-Mail seine gewaltigen Zweifel an einem Megaprojekt, das die vorige Große Koalition trotz internationaler Warnungen bis zuletzt vorangetrieben hatte und das kurz davor war, in Betrieb zu gehen: Nord Stream 2 . Habecks E-Mail markiert damit den Anfang vom abrupten Ende der Ostsee-Pipeline. Eine Kehrtwende. Die E-Mail und weitere Dokumente, die t-online vorliegen, zeigen, wie Habecks Vorgänger in der Bundesregierung und der Ministerialbürokratie des Wirtschaftsministeriums bis zuletzt die Augen zugekniffen haben. Um nicht sehen zu müssen, was sich längst abzeichnete: Dass sich Deutschland noch erpressbarer von Russland machen würde, wenn die Pipeline erst einmal in Betrieb ginge. Internationalen Warnungen zum Trotz Grund zur Sorge gab es schon länger. Wladimir Putins Vollinvasion der Ukraine war zu diesem Zeitpunkt zwar noch einige Wochen entfernt. Der Stopp der russischen Gaslieferungen nach Deutschland genauso. Im Juni 2021 wies Polen die Partner darauf hin, dass russische Truppen an der ukrainischen Grenze aufmarschierten. Das polnische Parlament rief Deutschland einmal mehr eindringlich dazu auf, den Bau von Nord Stream 2 zu stoppen. Seit Jahren warnte auch Deutschlands wichtigster Verbündeter, die USA , vor den zementierten Abhängigkeiten durch die Pipeline. Im Spätsommer wies die Fachebene des Wirtschaftsministeriums ihren damaligen Minister Peter Altmaier von der CDU auf eine weitere Entwicklung hin, die ein Alarmsignal hätte sein können. In einer sogenannten Leitungsvorlage schreiben die Beamten ihrem Minister am 6. August 2021, dass die deutschen Gasspeicher “weiterhin sehr schleppend” volllaufen. “Ende Juli waren sie erst zur Hälfte gefüllt”, heißt es dort. Und: Die Gasimporte aus Russland sowie das LNG aus Norwegen “liegen unterhalb des Möglichen”. Die Beamten machen dafür den hohen Gaspreis mitverantwortlich, aber auch etwas anderes: Russland und seine Interessen bei Nord Stream 2. “Durch eine Verknappung des Gases könnte RUS versuchen, eine vorherige faktische Inbetriebnahme zu erzwingen.” Die Beamten gestehen also selbst ein, dass Wladimir Putin Deutschland schon damals ein Stück weit erpressen konnte. Doch sie relativieren ihre eigenen Bedenken schnell wieder. Ein großes Gashandelsunternehmen widerspreche dem: “Der Markt funktioniere, die aktuellen Importpreise seien schlicht zu hoch.” Die Große Koalition schaffte Fakten Für die Große Koalition und den damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier war all das jedenfalls kein Grund zur Umkehr. Einen Monat nach der Warnung vor den halbvollen Gasspeichern und dem Hinweis auf das Erpressungspotenzial wird der Bau der Pipeline auf dem Grund der Ostsee am 6. September 2021 fertiggestellt. Und die Bundesregierung tut alles dafür, dass sie schnell in Betrieb gehen kann. Noch am letzten Tag im Amt versucht die Große Koalition Fakten zu schaffen. Das Wirtschaftsministerium bescheinigt Nord Stream 2 am 26. Oktober 2021 im sogenannten Versorgungssicherheitsbericht, dass die Pipeline die Widerstandsfähigkeit des europäischen Gasversorgungssystems sogar noch erhöhe. Und wischt damit alle internationalen Bedenken beiseite. Es ist dieser Bericht, der der Bundesnetzagentur unter anderem gefehlt hatte, um den Betrieb von Nord Stream 2 zertifizieren zu können. Und es sind genau diese 54 Seiten, die Robert Habeck an Weihnachten 2021 durcharbeitet und kommentiert. Ohne den Bericht keine Inbetriebnahme, so das Kalkül. “Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung” Robert Habeck und seine Grünen hatten seit vielen Jahren Bedenken, dass Deutschland durch Nord Stream 2 die hohe Abhängigkeit vom billigen russischen Gas noch verstärken würde. In der Opposition konnten sie nicht viel mehr tun, als zu warnen – und die Pipeline zum Thema im Wahlkampf machen. Im Wirtschaftsministerium aber konnte Habeck nun mehr bewirken. Den notwendigen Versorgungssicherheitsbericht auseinandernehmen, zum Beispiel. “Der Bericht liest sich wie eine selbsterfüllende Prophezeiung”, schreibt Habeck Weihnachten 2021 also an seine Vertrauten, “mit fast schon unfreiwillig komischen Formulierungen”. Das Urteil des Neu-Wirtschaftsministers ist deutlich: “Ich glaube nicht, dass er die Versorgungssicherheit belegt. Aber sie infrage zu stellen, ist natürlich eine politische Bombe.” Um diese “politische Bombe” inhaltlich zu unterfüttern, formuliert Habeck zunächst 25 Fragen. Und zwar Fragen an seine eigenen Leute im Bundeswirtschaftsministerium, was die Sache für ihn heikel macht. Zumal die Fragen sehr grundsätzlicher Natur sind, um es vorsichtig zu formulieren. “Liest sich absolut beunruhigend!” Schon zu Beginn seines Fragenkatalogs stellt Habeck fest, dass das Wirtschaftsministerium selbst definiere, was “Versorgungssicherheit” bedeute, um sie dann zu überprüfen und sich die Sicherheit selbst zu bescheinigen. “Inwiefern ist damit nicht ein Zirkelschluss vorbereitet?”, fragt Habeck. “Müsste die Definition nicht von einem Dritten, z. B. EU KOM [Anm. d. Red.: EU-Kommission], eingeholt werden?” Später hinterfragt Habeck die Behauptung des Berichts, “dass allein aus der Erweiterung der Importkapazitäten aus Russland nicht zwingend eine Steigerung der Abhängigkeit folgt”. Habeck merkt an: “Aber möglich ist sie folglich? Wäre es nicht Aufgabe des Berichts, genau diese Möglichkeit zu prüfen, nicht sie abzuwehren?” “Liest sich absolut beunruhigend!”, kommentiert Habeck zur Formulierung, dem Ministerium lägen “derzeit keine Kenntnisse über Umstände vor, die mit ausreichender Sicherheit belegen, dass ein politisch gesteuertes Verhalten vorliegt”. Der Neu-Minister fragt rhetorisch und fast sarkastisch: “Ist aus der Tatsache, dass die Belege nicht mit Sicherheit vorliegen, abzuleiten, dass die Versorgungssicherheit nicht gefährdet ist?” Dann ist Nord Stream 2 Geschichte Das Ziel der Fragen ist klar, der Bericht soll zurückgezogen werden, um die Zertifizierung von Nord Stream 2 zu stoppen. Wenige Tage nach Habecks E-Mail befasste sich das Wirtschaftsministerium im neuen Jahr 2022 also erneut mit dem Bericht. Am 15. Februar dann fiel die Entscheidung, so ist es einem Vermerk zu einer “Besprechung auf Leitungsebene” zu entnehmen. “Die Prüfungen der letzten Wochen haben ergeben”, heißt es dort, dass der Bericht “überarbeitet werden muss”. Schon eine Woche später, am 22. Februar, war Nord Stream 2 faktisch Geschichte. Weil Putin die selbsternannten “Volksrepubliken” Donezk und Luhansk anerkannt hatte, stoppte die Bundesregierung die Zertifizierung. Vorerst – wie es damals noch hieß. Vor der russischen Invasion der Ukraine zwei Tage später. Man habe sich zu lange der Illusion hingegeben, sagte Habeck am Abend des Stopps in der ARD , dass “die Pipeline nur wirtschaftspolitisch zu betrachten ist”. Energiepolitik sei aber immer “auch Sicherheitspolitik”, sagte Habeck, und: Es wäre klüger gewesen, Nord Stream 2 nicht zu bauen.