Róisín Murphy und Peaches im Stadtpark: Nackte Tatsachen und Breitwand-Pop

Róisín Murphy und Peaches im Stadtpark: Nackte Tatsachen und Breitwand-Pop

Zwei starke charismatische Frauen präsentierten sich am Mittwoch beim zweiten Teil der musikalischen Veranstaltungsreihe „Off Days“ im Stadtpark – und jede der beiden Künstlerinnen ist auf ihre Weise längst Kult: Mit der in Berlin lebenden Kanadierin Peaches gab es viel nackte Brust zum Electroclash. Die Irin Róisín Murphy setzte auf bildgewaltige Groove-Musik. Ein Abend, den alle Anwesenden so schnell nicht vergessen dürften …

So viel nackte Tatsachen wie am Mittwochabend hat es beim Stadtpark Open Air noch nie auf der Bühne gegeben – da legen wir uns fest. Nachdem die mit bunter Kriegsbemalung dekorierte Peaches anfangs noch bekleidet vor das Publikum trat, wurde es rasch freizügiger, bis sie schließlich nur noch im silbernen Slip und hohen Stiefeln und umgeben von tanzenden Vulven über die Fläche fegte.

Konventionen? Nicht bei Peaches!

Das muss man sich auch erst mal trauen, mit 57 am hellichten Tag die Brüste baumeln zu lassen! Aber die Kanadierin, die seit 24 Jahren in Berlin lebt und von Anfang an mit ihrer Sex- und Bodypositivität den dortigen Underground aufmischte und die Szene nachhaltig beeinflusste, scheißt nun mal auf Konventionen.

Sie ist nicht nur feministische Queer-Ikone, sondern macht anderen Frauen auch vor, wie frei und ungeniert es sich lebt, wenn der eigene Kopf den männlich voyeuristischen Blickwinkel ignoriert. Wer braucht schon ein Schäm-Gen?

Ihre brachialen Elektrorock-Songs heißen „Rub“, „Vaginoplasty“, „Dick In The Air“ und „Pussy Mask“. Während man sich bei manch männlich besetzter Band heutzutage schon mal fragt, ob das noch Punkrock ist, ist es bei Peaches offensichtlich: Das ist Punkrock, und sie das personifizierte Rebellentum! Ihre fünf ebenso spärlich bekleideten TänzerInnen üben sich wahlweise in Aerobic-Choreografien wie zu Sydne-Rome-Zeiten oder formieren sich zu Fleischbergen auf der Bühne.

Zu Peaches größtem Hit „Fuck The Pain Away“ machen sie Beischlaf-Bewegungen und geben viel Blick frei auf ihre intimsten Körperstellen. Peaches spritzt derweil mit dem Bier aus zwei Flaschen aufs Publikum. Viele feiern das, andere drehen sich angewidert weg. „I’m your private dancer / A dancer for money / I′ll do what you want me to do“, singt Peaches gegen Ende ihres Sets ganz angenehm den Hit von Tina Turner über eine Sexarbeiterin. Es passt wie die Faust aufs Auge.

Róisín Murphy: So geht Heilung mit Musik!

Und dann kommt sie: Die ehemalige Moloko-Sängerin Róisín Murphy, die eine Aura hat, die auf keine Breitbildleinwand passt, auch wenn sie jene für ihr Stadtpark-Konzert mitgebracht hat. Es wird merklich kunstvoller, avantgardistischer und ganz ladylike.

Viele sind nur wegen ihr hier und feiern sie, wenn sie ins Mikro fleht: „Come make me whole – body and soul.“ So geht Heilung mit Musik! Ihre Stimme sitzt und die Garderobe auch: Sie trägt anfangs einen schwarzen Flokati-Mantel mit Mütze, wechselt aber immer wieder die oberste Lage ihres Outfits: vom Blazer über ein extravagantes Kostüm mit eckigen Ausbuchtungen sowie einem Cape mit Zylinder bis hin zum roten Kleid, das nur eine Vorderseite hat. Sie ist genauso „CooCool“ wie ihr gleichnamiger Song, bei dem sie stimmlich an Lisa Stansfield erinnert.

Roisin Murphy im Stadtpark: Die Irin setzte auf Stil
Arist von Harpe

Roisin Murphy im Stadtpark: Die Irin setzte auf Stil

Murphy ist wandelbar, aber auch unverwechselbar. Von funkig bis jazzig, von der Disco bis in den Nachtclub entführt sie uns mit ihren Liedern. Sie stöhnt darin auch mal, aber züchtiger als eine Peaches. Divasques Spoken Word und tanzbare Elektrosounds gehen bei ihr in butterweiche, wärmende Klangfarben über, die dem herbstlich anmutenden Abend nur zuträglich sind. Mal stolziert sie wie ein Storch über die Bühne, mal tanzt sie ausgelassen oder umarmt die Menschen in der ersten Reihe.

„Thank you so much, dankeschön“, sagt sie und schickt Liebe ins Rund. Auf der Leinwand hinter ihr und ihrer Band gibt es mitunter absurde Dinge zu sehen: So zeigt sie MRT-Aufnahmen eines (ihres?) Schädels oder lässt die Zuschauer mit einer Kamera das Innerste ihrer Mundhöhle betrachten – aber alles immer mit Stil!

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Da der Hamburger Musiker DJ Koze ihr aktuelles Album „Hit Parade“ produziert hat, fühle es sich an, wie nach Hause zu kommen, meint Mrs. Murphy. Jubel total. Und natürlich hat sie auch die alten Hits dabei: Zu den Remix-Versionen der Moloko-Hits „The Time Is Now“ und „Sing It Back“ singt der Stadtpark leise mit, und man kann sich gar nicht vorstellen, dass die Songs schon ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel haben. So frisch kommt und erhaben kommt Róisín Murphy rüber. Ein Abend mit zwei tollen Frauen.

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