Rotlicht-Report: Darum spielen Kiez und Luden keine Rolle mehr

Rotlicht-Report: Darum spielen Kiez und Luden keine Rolle mehr

Löwenmähne, Schnauzbart, Klunker, Sonnenbrille: So wird in TV-Serien oft der Prototyp des Luden dargestellt. Und so sahen viele Zuhälter in den 80er Jahren ja auch aus. Nicht nur ihr Look hat sich über die Jahre verändert – vielen fehlt heute gar die Daseinsgrundlage: Das Rotlicht-Geschäft hat sich drastisch gewandelt, Frauen arbeiten lieber selbstständig – und die meisten gar nicht mehr auf St. Pauli. Für die einen ein finanzielles Desaster, für die Prostituierten eine wohl positive Entwicklung.

Wilfried „Frieda“ Schulz, „Karate-Tommy“ Thomas Born, „Der schöne Klaus“ Barkowsky. Nur einige der Namen, die im Rotlicht auf St. Pauli bekannt wurden. Hier boomte einst das illegale Glücksspiel, die Prostitution sowieso.

„Dari“ F. (r.) oder „der schöne Klaus“: Solche Typen dominierten einst das Rotlicht-Geschäft auf dem Kiez.
Abi Schmidt/RUEGA

„Dari“ F. (r.) oder „der schöne Klaus“: Solche Typen dominierten einst das Rotlicht-Geschäft auf dem Kiez.

Hunderte Frauen arbeiteten im „Eros Center“ oder „Palais d’Amour“. Andere wurden von ihren Luden an die Straßenecken der Reeperbahn geschickt. Sie erwirtschafteten Tag für Tag ein Vermögen. Den Großteil mussten sie an die Männer abdrücken, die sich als ihre „Beschützer“ inszenierten.

Prostituierte arbeiten auf eigene Rechnung

Dass das Geschäft mit dem käuflichen Sex unter Druck steht – ist nicht neu. Aids. Gewalttätige Revierkämpfe auf dem Kiez. Internet-Pornos. Doch noch immer arbeiten laut Polizei rund 2500 Prostituierte in Hamburg. Szenekenner und Ermittler sehen allerdings eine fundamental neue Entwicklung: In vielen Fällen tun sie dies inzwischen auf eigene Rechnung. Eine Spurensuche.


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– Rotlicht-Report: Darum spielen Kiez und Luden keine Rolle mehr
– 20 Seiten Sport: Trainer mit Gewinner-Gen: Was Sie über St. Paulis neuen Coach Alexander Blessin wissen müssen
– 28 Seiten Plan7: Die Hamburgerin, der die größten Musik-Stars vertrauen. Welche Filme jetzt laufen – endlich auch wieder unter freiem Himmel!

Der Kiez? In Sachen käuflicher Sex weitgehend tot. Schon lange nahm die Zimmerbelegung in Bordellen stetig ab, Freier blieben aus. Selbst in einst hochfrequentierten Läden wie dem „Eros Center“ (heute „Pink Palace Sex House“) läuft es nicht mehr; die meisten Zimmer stehen leer. Inhaber ist inzwischen nicht mehr ein Hamburger, sondern ein Unternehmer aus Süddeutschland.

„Das war das Ende“

Touristen und Freier fürchten nach vielen Medienberichten Abzocke. „Und dann kam auch noch Corona. Das war das Ende“, bilanziert ein Türsteher.

Die Pandemie verstärkte aber nur einen Trend, der sich bereits vor Corona abzeichnete: Nicht nur virtueller Sex, bei dem Prostituierte vor der Live-Kamera gegen Bezahlung zeigen, was der Freier will, boomte. Auch direkt übers Internet arrangierte Treffen waren für viele Sexarbeiter attraktiv. Auch weil sich so Vorgaben des Prostituiertenschutzgesetzes und der damit verbundenen steuerlichen Erfassung umgehen ließen.

Man traf sich mit Freiern im Hotel – oder bei ihnen daheim. Oder in „Modellwohnungen“, verstreut über die ganze Stadt. Von außen nicht zu unterscheiden von normalen Wohnungen. Nur der viele Besuch deutet manchmal auf die besondere gewerbliche Nutzung hin.

Insider: „In die Bordelle kehrte nach der Pandemie kaum eine Frau zurück“

Ein Insider: „In die Bordelle kehrte nach der Pandemie kaum eine Frau zurück.“ Frauen gehen oft allein oder mit anderen Frauen zusammen in den Wohnungen anschaffen. Rund 100 Frauen arbeiten allein zwischen den Straßen Wartenau und Wandsbeker Chaussee.

Elena (45, Name geändert) aus Barmbek hat früher auch in Bordellen gearbeitet, heute teilt sie sich mit mehreren Frauen eine Modellwohnung: „Es gibt mittlerweile viele Frauen, die nach Feierabend fürsorgliche Mutter und Ehefrau sind, für die die Sexarbeit nur ein Job ist, das Bett nur ein Arbeitsplatz.“

Heute arbeiten viele Huren von zu Hause aus oder in angemieteten „Modellwohnungen“.
RUEGA

Heute arbeiten viele Huren von zu Hause aus oder in angemieteten „Modellwohnungen“.

Und die Zuhälter? Spielen in dieser Konstellation in vielen Fällen keine Rolle mehr. Für die Frauen verbessert sich die Einnahmesituation ohne die Abgaben an die Luden deutlich. Selbst in den Bordellen sind die oft testosterongesteuerten Mucki-Typen oft unerwünscht – zu oft gebe es ihretwegen Stress mit der Polizei. Eine Erkenntnis, die auch das Hauptzollamt teilt, das bei Schwarzarbeitkontrollen auch immer wieder auf illegale Prostitution trifft, so Sprecher Oliver Bachmann.

Fehlt jetzt der Schutz vor gewalttätigen Freiern?

Und der Schutz vor gewalttätigen Freiern, den die Luden oft versprachen? Fehlt der nun? Elena vermisst da nichts: „Viele der Männer hockten eh nur in der Spielhalle oder waren mit Kumpels unterwegs.“ Jedes Bordell habe eine funktionierende Security, in jedem Zimmer sei ein Alarmknopf. Und in Modellwohnungen arbeiteten mehrere Frauen zusammen und passten aufeinander auf.

Im Bereich der Wandsbeker Chaussee und Nebenstraßen bieten Dutzende Prostituierte ihre Dienste an.
RUEGA

Im Bereich der Wandsbeker Chaussee und Nebenstraßen bieten Dutzende Prostituierte ihre Dienste an.

Elena selbst hat ihr Pfefferspray stets griffbereit. „In der Regel werden Freier nicht übergriffig, weil sie wissen, dass noch weitere Personen in der Wohnung sind.“ Betrunkene werden schon an der Tür abgewimmelt. Absolute Sicherheit gebe es aber natürlich nicht.

Haben die Zuhälter ihr Geschäft denn freiwillig hergegeben, wollen wir von Elena wissen. Nein, der Druck der Behörden vor allem auf illegale Bordelle und auf ausbeuterische Luden habe gewirkt, sagt sie. „Und die Frauen sind auch selbstbewusster geworden. Wir lassen uns nicht mehr für dumm verkaufen.“

Von einer „heilen Welt“ ist das Gewerbe noch weit entfernt

Alles also heile Welt im Rotlicht-Gewerbe? Natürlich nicht. ​Auch wenn die Polizei die Entwicklung grundsätzlich bestätigt: Zwangsprostitution spiele noch immer eine Rolle. „Es werden nicht selten die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in den Herkunftsländern der Frauen ausgenutzt, ihnen andere Jobs versprochen, um sie herzulocken, oder die Prostitutionstätigkeit als gute Verdienstmöglichkeit dargestellt“, so Polizeisprecherin Nina Kaluza. Was die Aufdeckung von Straftaten erschwert: „Häufig sagen die Opfer nicht aus. Daher ist hier von einem großen Dunkelfeld auszugehen.“

Der Kiez lebt heute vor allem von seiner Legende. Mehr als die Hälfte aller Bordelle stehen leer. In Tabledance-Bars sinken die Gästezahlen. Die letzten Zuhälter, die damals ein Vermögen verdienten, bieten heute Kiez-Touren für Touris an. Viele sind pleite. Oder tot. Selbst an der Herbertstraße ist in den meisten Fenstern das Licht aus, einige Häuser werden schon zum Verkauf angeboten. Die Frauen, die hier noch arbeiten, bedienen mit Domina-Diensten einen Nischenmarkt.

„Für Täter ist es einfacher geworden, neue Opfer zu rekrutieren“

Die Dezentralisierung macht es der Polizei schwieriger, Opfer zu identifizieren oder überhaupt „Prostitutions-Stätten“ festzustellen. Auch die Abwicklung vieler Abläufe über das Internet erschwere die Ermittlungsarbeit. Sprecherin Kaluza: „Für Täter ist es einfacher geworden, neue Opfer zu rekrutieren und deren Dienste in der Anonymität des Internets anzubieten.“ Nicht zuletzt über Social Media werden noch immer Frauen mit der „Loverboy“-Methode in die Prostitution gelockt, indem eine „emotionale Abhängigkeit“ erzeugt wird.

Prostituierte stehen an der Davidstraße. Heute arbeiten dort wesentlich weniger Frauen.
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Prostituierte stehen an der Davidstraße. Heute arbeiten dort wesentlich weniger Frauen.

Neben deutschen Frauen seien es welche aus Bulgarien, Rumänien, Ungarn, aber auch Thailand und Äquatorialguinea, die in Hamburg mit Sexarbeit Geld verdienen. Wie viel sie dabei umsetzen? Das weiß auch die Polizei nicht.

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Klar ist aber, dass am Ende in jedem Fall nach wie vor oft Männer stark vom Sexgewerbe profitieren – auch ohne selbst einen Finger krummzumachen. Oft haben sie die Hand auf den Immobilien, die die Frauen zu hohen Preisen für ihr Gewerbe anmieten müssen.

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