Schland, Sportschau, Stadion: Ihr seid nix mehr für mich!

Schland, Sportschau, Stadion: Ihr seid nix mehr für mich!

Sylt-Analogien sind heutzutage ja nicht mehr ganz so en vogue. Egal. „Diese eine Liebe wird nie zu Ende geh’n“ sangen die Ärzte im Song „Westerland“. Das dachte ich auch lange über mich und den Fußball. Tja, falsch gedacht. Wobei, zu Ende gegangen ist sie nie, die Liebe. Sie hat sich nur stark gewandelt. Verengt. Auf einen Bereich von vielen. Und während Bekannte, Freundinnen und Kollegen die tolle EM-Atmosphäre feiern („Die Holländer!“) spüre ich: nix. Ist es der Kommerz? Das Fahnen-Schwenken? Oder bin ich einfach alt geworden? Eine Trotzdem-Liebeserklärung an den Fußball, wenn auch nur den auf dem Bolzplatz.

Montags und donnerstags wurde der Kicker gekauft. Immer. Ob im Klassenzimmer oder später im Hörsaal bei der Vorlesung: Die Aufstellungen zum Wochenende wurden unter dem Tisch studiert. Und nach dem Wochenende die Ergebnisse, die Hintergrundberichte, die Noten von Wörns, Scholl, Kirsten. Meine eigenen an Schule und Uni dürften darunter gelitten haben, war mir aber wurscht. Und dass Dienstag und Mittwoch Champions League anstand – eh klar. Am Samstag natürlich Sportschau. Und wenn ich nachts nach Hause kam, dann auch gerne nochmal das ZDF-Sportstudio in der Wiederholung. Die hatten so schöne, betuliche Analysen der Spiele.

Wochenenden im Stadion

Dann gab es natürlich noch „meine“ beiden Klubs. Der SV Waldhof einerseits – da ging man hin, wenn man in meiner kurpfälzischen Heimat zu den Cool Kids gehörte. Nur Loser fanden den KSC oder den VfB oder gar den FCK gut. Erfolgsverwöhnte Schnösel! Fand ich damals. Als Heidelberger Halbschnösel, der gerne einen auf Arbeiterklasse machte. Heimspiel war lange Pflicht – das Highlight der Woche, Auswärtsspiele die doch häufige Kür. Dass einige meiner Begleiter dabei auch mal rassistisches Zeug brüllten, bescherte mir meinen Zweitklub – den FC St. Pauli. Wie man das so macht als Provinzzecke. Um sich und der Welt klar zu machen, dass man mit dem Gebrüll nix am Hut hat.

Auswärtsspiele in den umliegenden Dörfern waren mal ein wirkliches Highlight.
picture alliance / www.alfiomarino.de | Alfio Marino xmax

Auswärtsspiele in den umliegenden Dörfern waren mal ein wirkliches Highlight.

Als drittes gab es da trotz des Zeckentums noch eine andere Sache. Schon als kleiner Junge verfolgte ich die Nationalelf. Mein erstes Spiel im TV: WM-Finale 86. Im Fernsehzimmer meines Urgroßvaters im Allgäu. Ging bekanntlich nicht gut aus für „uns“, hat sich aber offenbar nicht nachhaltig belastend ausgewirkt. Es gab eine Phase, das war um die WM 2006 rum natürlich, da habe ich es sogar mal mit einem linken Patriotismus ernsthaft versucht. Fand ich als Idee irgendwie gut. Und die Umstände passten. Sie wissen schon, Sommermärchen, die erste wirklich migrantisch durchmischte Mannschaft, das freundliche Gesicht.

„Schland“ bedeutete für migrantische Freunde oft Ärger – aber auch Integration

Währte aber irgendwie nur kurz, meine Freude. Denn neben all der „Schland“-Begeisterung allerorten berichteten mir schon damals Freund:innen mit Migrationshintergrund, dass sie mehr Anfeindungen spüren als sonst. Und das, obwohl ja mit Asamoah, Odonkor & Co. ein bunteres Team auftrat als jemals zuvor. Das bestätigte dann später auch eine Studie: Rechtsradikale Gewalt stieg im Fußballsommer 2006 massiv an, um 20 Prozent. Eine soziologische Studie aus dem Jahr 2018 zeigte: Nationalistische Tendenzen stiegen auch während dieser WM. Deutsche hielten das eigene Volk laut Umfragen etwa plötzlich anderen gegenüber eher für überlegen.

Trotzdem sehe ich natürlich die positive Kehrseite. Sehe die Bilder, bei denen sich Fangruppen unterschiedlicher Länder in den Armen liegen, sich ironisch frotzelnd über Eigenheiten der anderen lustig machen, aber auch mit Selbstironie. Sehe, wie Kinder von Freund:innen mit westafrikanischen oder anatolischen Wurzeln sich glücklich ein Musiala-Trikot oder eins von Gündoğan überstreifen und sich zugehörig fühlen dürfen.

WDR-Umfrage zeigt rassistische Realität

Und dann fallen mir wieder die Anfeindungen ein, die etwa Mesut Özil trafen, noch lange bevor er sich mit Erdoğan ablichten ließ. Der „Özil-Effekt“: Spielst du gut, bist du Deutscher, spielst du schlecht, bist du der Türke. Auch in der umstrittenen WDR-Umfrage vom Anfang des Monates gaben 21 Prozent an, sich mehr „weiße“ Spieler in der Nationalelf zu wünschen. Ich weiß auch nicht, Freunde. In meiner Metropolen-Realität müssten es definitiv mehr Spieler mit Migrationshintergrund sein. Sahen ja Gott sei Dank auch die meisten der Befragten wie ich.

Vielleicht ist es aber auch eh Quatsch, das Festhalten an einer fiktiven Identität wie der Nation. Ich zumindest kann grundsätzlich mit kollektiven Identitäten gar nix mehr anfangen. Und mit der schrecklichen Durchkommerzialisierung auch nix mehr. Im Stadion sieht man mich daher nur noch selten.

Der Bolzplatz als letzter Fußball-Rückzugsort

Wo man mich aber noch sieht? An dem Ort, an dem alles begann. Allerdings rund 600 Kilometer nördlicher. Und statt Gummi gibt’s Grand. Aber davon ab ist hier alles beim Alten. Damals, als ich zur Grundschule ging, gab es keinen geeigneten Bolzplatz in der Heidelberger Altstadt, meinem Viertel. Als der endlich gebaut wurde, wurde meine Klasse zufällig ausgewählt, ihn zu eröffnen. So richtig mit Pressetermin, Fotograf der Rhein-Neckar-Zeitung, das volle Programm. Ab da fand ein Großteil meines Lebens in dem kleinen Gummikäfig statt. Später dann auf größeren Plätzen.


MOPO

Die neue WochenMOPO – ab Freitag wieder überall, wo es Zeitungen gibt!
Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
– Gefährlicher Rausch: So leicht kommen Teenies an Lachgas – der Test
– Wochen ohne Warmwasser oder Heizung: Das Horror-Mietshaus von Jenfeld
– Lost Place: Hier verfällt Blankeneses feinste Terrasse
– 20 Seiten Sport: Das nächste Sommermärchen? Wie die DFB-Elf bei der Heim-EM ganz Deutschland verzaubert
– 28 Seiten Plan7: Die Beatsteaks im Interview. Plus: Tickets für das ausverkaufte Konzert im Herbst zu gewinnen!

Und heute? Bin ich immer noch zweimal die Woche auf dem Bolzplatz meines Vertrauens. Keinen Steinwurf von der Reeperbahn entfernt. Es riecht da ein bisschen. Und wenn ich nachts Betrunkene dort urinieren sehe, dann mache ich immer „Nacken“, so nennt meine Freundin das, und brülle diejenigen an. Sollen woanders hinpissen. Auf dem Bolzplatz aber, da spüre ich das noch, was ich früher auch in den anderen Bereichen gespürt habe. Den Alltag vergessen. Der Zusammenhalt mit dem Nebenmann – und der Nebenfrau übrigens auch. Egal, wo die Leute herkommen. Reich, arm, schwarz, weiß, norddeutsch oder nordirisch. Und beim gemeinsamen Bier danach entstehen Freundschaften.

Das könnte sie auch interessieren: Hamburgs lustigste Taxifahrer gehen mit EM-Song viral

Manchmal wünschte ich, das würde ich auch noch in den anderen Bereichen spüren. „Oh, ich hab solche Sehnsucht..“ Und ich freue mich irgendwie auch für die, die das immer noch tun, jetzt bei der EM etwa. Wirklich. Reingeschaut habe ich auch in ein paar Spiele. Es war in Ordnung. Es hat mich nur nicht mehr wirklich berührt. Schland, Sportschau, Stadion – zumindest für mich seid ihr wohl nix mehr.

Schland, Sportschau, Stadion: Ihr seid nix mehr für mich! wurde gefunden bei mopo.de

Please follow and like us:
Pin Share