„So schlimm war es noch nie“: Wie sich das Drogen-Problem vom Hauptbahnhof verlagert

„So schlimm war es noch nie“: Wie sich das Drogen-Problem vom Hauptbahnhof verlagert

„Problemfall“ Hamburg Hauptbahnhof: Die Politik will die dort sichtbare Drogenszene mit immer mehr Maßnahmen unter Kontrolle bekommen. Seit kurzem darf dort kein Alkohol mehr getrunken werden, die Polizeikontrollen wurden massiv verstärkt. Wie schon vorher von Experten befürchtet, schafft das allerdings nur neue Problemeunter denen vor allem Anwohner und Gastronomen leiden.

In der Nähe des Hauptbahnhofs zu wohnen, war noch nie idyllisch. Aber: „So schlimm wie jetzt war es wirklich noch nie“, erzählt ein Gastronom am Hansaplatz in St. Georg. „Seit einigen Monaten hängen hier immer mehr Drogenabhängige rum.“ Er ist in St. Georg aufgewachsen und wohnt auch immer noch hier – will wegen seiner beiden kleinen Kinder aber demnächst umziehen. „Das ist kein Umfeld für sie“, sagt er. „Immer wieder gibt es Prügeleien, es wird geklaut und gedealt. Letztens hat auch einer vor mein Geschäft gepinkelt und wollte nicht mehr weg.“ Er zeigt ein Video, das er von dem Vorfall aufgenommen hat.

Verdrängung Hauptbahnhof: Das erleben Gastronomen am Hansaplatz

„Viele von denen werden aggressiv, wenn man sie wegschicken will“, berichtet ein weiterer Gastronom. „Die Folgen spüren wir bei unseren Einnahmen. Wer kommt als Tourist schon gerne hierher?“ Er rufe mehrmals die Woche die Polizei.


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Aus ihrer Sicht ist die Situation das Ergebnis einer seit Monaten praktizierten Verdrängungs-Politik. Zuletzt kündigte die Hochbahn an, gegen das Betteln in den Zügen konsequenter vorzugehen. Der Grund: Es hätten sich immer mehr Fahrgäste darüber beschwert, dass sie sich unsicher fühlten. Seit Anfang April 2024 ist rund um den Hauptbahnhof das Trinken von Alkohol drastisch eingeschränkt. Davor, im September 2023, wurden die gemeinsamen „Quattro Streifen“ aus Vertretern der Hamburger Polizei, der Bundespolizei sowie der Sicherheitsdienste von Bahn und Hochbahn noch einmal erweitert.

„Quattro-Streife“: Bundes- und Landespolizei patrouillieren gemeinsam mit Einsatzkräften von DB Sicherheit und der Hamburger Hochbahn.
dpa / Daniel Bockwoldt

„Quattro-Streife“: Bundes- und Landespolizei patrouillieren gemeinsam mit Einsatzkräften von DB Sicherheit und der Hamburger Hochbahn.

Ebenfalls im September 2023 wurde der Hamburger Gabenzaun am Heidi-Kabel-Platz vom Bezirksamt Hamburg-Mitte untersagt. Hier wurden Spenden für Bedürftige angehängt. Nach langen Gesprächen konnte der Verein immerhin mit einem „Gabenzaun-Café“ in die Ferdinandstraße, ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs, umziehen.

Hilfe für Obdachlose: Am Hamburger Gabenzaun konnten Helfer und Hilfsbedürftige Spenden anonym an- und abhängen. 
Hamburger Gabenzaun e.V.

Hilfe für Obdachlose: Am Hamburger Gabenzaun konnten Helfer und Hilfsbedürftige Spenden anonym an- und abhängen. 

Umgezogen sind inzwischen allerdings auch die Süchtigen. „Das verteilt sich über den ganzen Stadtteil“, sagt Michael Joho vom Einwohnerverein St. Georg. Mehrere Anwohner hätten sich bereits bei ihm gemeldet und von vermehrt Drogenabhängigen in Hausfluren berichtet. „Verdrängung löst das Problem nicht“, kritisiert er. Der Verein setzt sich unter anderem für mehr Beratungs- und Hilfsangebote ein. „An der Kehre am Ferdinandstor, wo es einen Durchgang zur Ernst-Merck-Straße gibt, wäre aus unserer Sicht ein guter Standort.“

St. Georg: Immer mehr Obdachlose vom Hauptbahnhof werden verdrängt

Straßensozialarbeiter Florian Pittner kritisiert die Verdrängung ebenfalls. „Die Menschen lösen sich ja nicht in Luft auf.“ Er arbeitet in der Beratungs- und Begegnungsstätte „Palette“ an der Stresemannstraße in Altona. „In den letzten Monaten sind viele vom Hauptbahnhof zu uns gekommen, weil sie sich dort nicht mehr sicher fühlten“, erzählt der 49-Jährige. Je mehr sich die Szene zerstreue, desto schwerer hätten Sozialarbeiter Zugriff. Das Problem in den Griff zu bekommen, sei ein Langzeitprojekt: es brauche Wohnraum sowie einfache Zugänge zu Gesundheitsangeboten und Behörden.

Die Sozialraumläufer weisen die Menschen rund um den Hauptbahnhof auf die geltenden Regeln hin.
dpa

Die Sozialraumläufer weisen die Menschen rund um den Hauptbahnhof auf die geltenden Regeln hin.

Dem stimmt Markus Schreiber, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter und selbst Anwohner in St. Georg, prinzipiell zu. Er setzt gleichzeitig aber auch auf mehr Polizeipräsenz, wünscht sich einen Polizeicontainer am Hansaplatz. „Das größte Problem aus meiner Sicht sind die Crack-Konsumenten. Sie nehmen gar nichts mehr um sich herum wahr, sind nur auf der Suche nach der nächsten Pfeife. Und es gibt – im Gegensatz zu Heroin – keine Ersatzdroge, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen“, sagt er.

Polizei führt Schwerpunktkontrollen in St. Georg durch

Auch die Polizei nimmt Verdrängungseffekte wahr. Laut Sprecher Thilo Marxsen habe man darauf zeitnah mit regelmäßigen Kontrollen reagiert. Einen Schwerpunkteinsatz gab es zum Beispiel am Mittwochnachmittag mit einer Razzia in der Kneipe „Windstärke 11“ am Hansaplatz, einem bekannten Treffpunkt der Trinker- und Drogenszene. „Diese sogenannten Trinkerlokale sind ein Pull-Faktor für entsprechendes Klientel“, sagt Andre Krüger, Leiter des Polizeikommissariats am Steindamm. Bei der Razzia fanden die Beamten unter anderem Kokain. Die Kneipe musste zudem aufgrund von mangelndem Brandschutz und einer defekten Fluchttür vorerst komplett schließen.

In der SPD weckt die Diskussion um den Hauptbahnhof vor den Bürgerschaftswahlen 2025 schlechte Erinnerungen. Im Jahr 2001 fiel ihnen das Thema mit Karacho auf die Füße: Bei den Wahlen kam die Schill-Partei damals aus dem Stand auf 19 Prozent, die SPD musste die Regierung abgeben. Kein Wunder also, dass Innensenator Andy Grote (SPD) und Bezirkschef Ralf Neubauer (SPD) mit aller Gewalt versuchen, eine starke Sicherheitspolitik am Hauptbahnhof zu etablieren.

Einwohnerverein St. Georg appelliert an Hamburger Senat

Joho vom Einwohnerverein St. Georg appelliert wiederum an den Senat, den Hauptbahnhof nicht mehr als reine Verkehrsfläche zu betrachten. „Er ist gleichzeitig, wie nahezu alle Bahnhöfe der Welt, Aufenthaltsort und teils sogar Lebensmittelpunkt für hunderte Menschen.“ Die Situation in St. Georg könne sich nur dann ändern, wenn es auch einen neuen Umgang mit Drogen und Armut gebe. Dass der Hansaplatz auch für Anwohner wieder ein positiverer Ort wird, dafür setzt sich unter anderem die private Initiative „Marktlust“ ein.

„So schlimm war es noch nie“: Wie sich das Drogen-Problem vom Hauptbahnhof verlagert wurde gefunden bei mopo.de